Freitag, 5. August 2016

Brief 204 vom 14./15.8.1941


Mein liebster Ernst!                                                           Konstanz, den 14.8.1941                                         

Heute habe ich mich hingesetzt und habe die Fragebogen von der Stadt soweit als möglich ausgefüllt. Den Rest mußt eben Du dazuschreiben.
Wenn ich die Fragebogen zurückbringe, muß ich doch die Unterlagen dazu mitbringen. Bei den mit einem Häkchen versehen Namen habe ich die Unterlagen, bei den mit einem Kreuz versehen habe ich nur unbestätigte Abschriften. Ich glaube, da haben wir die bestätigten Unterlagen wieder an die Eltern zurückgeschickt. Von meinen Eltern und Deiner Großmutter habe ich überhaupt nichts da. Was soll ich da machen? Soll ich die unbestätigten Abschriften an meine Eltern schicken, damit sie sie bestätigen lassen und soll ich schreiben, daß sie doch bitte auch von sich die Unterlagen schicken? Vorläufig frage ich einmal in diesem Sinne bei den Eltern an.
Ich habe gestern ganz vergessen Dir zu schreiben, daß Du auch noch einen Lebenslauf schreiben mußt. Außerdem muß ich hier für Dich ein Leumundszeugnis von der Polizei beschaffen. Ich muß schon sagen, das Beamten werden ist ziemlich umständlich.
Der Tag heute ist ziemlich mit Arbeit ausgefüllt. Es dauert doch eine Weile, bis man wieder richtig im Gleis ist. Da ist manches, was man schmutzig wieder mit heimgebracht hat. Das kann man auch nicht so lange liegen lassen. Zum Garten bin ich heute noch nicht gekommen, aber wäre ich heute noch in Leipzig, hätte es auch gehen müssen.
Heute haben wir wieder ein wunderschönes Wetter, vollkommen blauen Himmel und wirklich schön warm. Da können wenigstens die Kinder runter. Die letzten 14 Tage soll es hier ziemlich geregnet haben. In Leipzig war es ja nicht so schlimm, es war nur meist trüb. Schöne Tage waren es aber doch.
Von Kurt habe ich heute einen Brief bekommen. Er hat jetzt die 2 Zeitungspäckchen erhalten. Da schicke ich ihm nun auch noch das Zurückgekommene hin. Ich möchte nur wissen, warum sie das damals zurückgeschickt haben. Da hat jemand nicht aufgepaßt.
Nachher will ich noch an die Eltern schreiben, damit sie auch ausführlichere Nachricht von mir haben, denn ich habe doch nur eine kurze Karte an sie geschickt.
Heute haben wir aus unserem Garten Kohlrabi gegessen, sie waren butterweich. An dem schrägen Stück hinterm Haus wächst doch immer alles gut. Im Herbst wollen wir ja Erdbeeren hinsetzen, vielleicht bekommen wir dann auch wieder mehr. Die Äpfel am Baum werden auch schon gelblicher, aber so groß wie voriges Jahr sind sie nicht. Es hat auch nicht so viel dran. Wahrscheinlich dauert es ja nicht mehr so lange, bis Du auf Urlaub kommst, da kannst Du ja alles selber anschauen.
Heute wird der Brief ein bißchen kurz, Du nimmst es mir bitte nicht übel. Sei für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Unsere Amaryllis hat, während wir fort waren, einen Stengel mit 3 Knospen getrieben, heute geht eine auf. Es ist eine rote Blüte. Das freut mich, daß sie zum blühen gekommen ist.

Mein lieber Ernst!                                                                  Konstanz, den 15.8.41

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 11.8., für den ich Dir herzlich danke. Inzwischen  sind wir ja schon wieder eine halbe Woche zuhause. Eingewöhnt haben wir uns so halbwegs. Heute habe ich den Garten hinterm Haus wieder in Ordnung gebracht, denn man konnte es gar nicht mehr mit ansehen, wie das Unkraut gewuchert hat. Bergeweise habe ich es rausgehackt. Die Kinder haben mir geholfen und haben alles auf den Misthaufen geschafft.
Du schreibst wegen Alice. Ach weißt Du, viel Lust habe ich nicht zum schreiben, denn wir sind uns, trotzdem ich in Leipzig war, doch ziemlich fremd. Aber ich habe gesehen, was sie sich für Mühe gegeben hat, es uns gemütlich zu machen, und welchen Wert sie darauf legt, mit uns wenigstens in Schriftwechsel zu kommen, daß ich ihr doch den Gefallen tun will.
Die Karte von Gerhard lag ja nicht bei, wahrscheinlich wirst Du sie dem nächsten Brief beifügen. Ich weiß darum auch heute nicht, was er geschrieben hat, aber das eine weiß ich, daß ich wirklich froh bin, daß Elsa mit den Kindern nicht mitgekommen ist. Über diese Sachen können wir uns ja vielleicht aussprechen, wenn Du auf Urlaub bist.
Jetzt haben wir ja wieder wunderbares Wetter und ich hoffe nur, daß Du es auch so antriffst, wenn Du auf Urlaub kommst. Dein Rad werde ich auch herrichten, damit Du wenigstens auch einmal damit fahren kannst. Vor allen Dingen werde ich ein Rücklicht besorgen, das ist das wichtigste.
Ich dachte heute schon daran, Du wirst Dich bei dem Brief, den ich gestern an die Eltern geschrieben habe, gewundert haben, daß ich über Büsings geschrieben habe. Das kommt aber daher, daß Papa in Leipzig mich fragte, warum ich denn so furchtbar aufgeregt und nervös bin. Ich sagte ihm, daß das  zumeist von dem vielen Ärger kommt, den wir hier im Haus haben. Ich erzählte dann noch Einzelheiten und Papa wollte mir daraufhin ein Schreiben aufsetzen, mit dem ich mich an die Partei wenden sollte, die ja für solche Streitigkeiten jetzt auch zuständig ist. Sie hatten in Leipzig einen ähnlichen Fall und die Frau ist zum Schluß aus dem Haus geflogen. Ich habe mich nun aber erst an Herrn Ganahl gewendet, der der Frau  Büsing heute eine Verwarnung geschrieben hat. Wir werden ja jetzt sehen, was wird. Ich habe es bestimmt nicht mehr ausgehalten. Ich habe die beiden letzten Tage wieder Schmerzen gehabt, wie die ganze Zeit vorher nicht mehr. Ich mache mich ja wegen den Leuten ganz kaputt. Wenn der Ärger auch nicht die Ursache meiner Krankheit ist, so tut mir die Aufregung doch absolut nicht gut. Ich hätte Dir ja vielleicht schon öfter davon schreiben können, aber wozu soll ich Dir auch noch den Kopf warm machen, Du kannst ja jetzt auch nicht helfen.
Heute sind auch die 3 Pakete angekommen, die ich in Leipzig aufgegeben hatte. Es ist alles tadellos angekommen. Erst hatte ich ein bißchen Sorge, daß auch nichts weg kommt, aber jetzt bin ich froh, daß ich das nicht auch noch schleppen mußte.
Die 40,- Mk an Dich habe ich heute aufgegeben. Jetzt habe ich, nachdem ich 20,- auf die Sparkasse geschafft habe, noch 10,- freies Geld zu hause. Da will ich sehen, daß ich Helga noch etwas zum Geburtstag kaufen kann. Vielleicht warte ich damit noch, bis Du kommst, wenn Du ja ein paar Tage  vorm Geburtstag eintriffst. Ich freue mich ja schon so sehr auf Deinen Urlaub, Du kannst es Dir gar nicht vorstellen. Du hast doch vor einiger Zeit vom Bürgermeister ein Schreiben bekommen, daß Du zum Beamten ernannt werden sollst, wie hoch Dein Gehalt wird und daß dann Angestelltenversicherung wegfällt usw. Dieses Schreiben bringe doch bitte mit, wenn Du auf Urlaub kommst. Wegen der freiwilligen Versicherung braucht die Krankenkasse eine Abschrift davon, muß aber das Original einsehen. Vergiß es also bitte nicht, damit das auch geregelt wird. Zahlen brauchen wir ja vorläufig nichts weiter als die 75 Pfg, die wir  bisher auch schon gezahlt haben.
Gestern und heute haben wir zusammen 8 Pfund Falläpfel aufgelesen, da hat es heute Apfelmus gegeben. Es schmeckt schon ganz gut. Zum Apfelringe trocknen sind die Äpfel aber noch zu klein und grün.
Ich will heute wieder schließen, es ist schon 1/2 10 Uhr und ich will den Brief noch wegschaffen, damit er gleich morgen früh mit wegkommt. Sei für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 203 vom 13.8.1941


Mein lieber Ernst!                                                       Konstanz, den 13.8.41                                        

Nun sind wir wieder zu hause angekommen. Eigentlich wollte ich ja gestern noch eine Karte an Dich abschicken, aber ich habe vergessen, mir eine zu besorgen.
Ich fand gestern Abend Deinen lieben Brief vom 8.8. vor, das hat mich riesig gefreut. Heute Morgen erhielt ich die Briefe vom 9. und 10.8. Ich beantworte sie Dir alle heute Abend, denn ich habe heute ziemlich viel zu besorgen.
Ich will mit den Kindern später zu Vater runter gehen, hinterher will ich aufs Rathaus. Ich fand ein Schreiben vor, daß ich mit vorbei kommen möchte. Heute Morgen bekam ich ein Schreiben, daß Du zum Stadtassistent ernannt worden bist. Ich schreibe es heute Abend auch mit ab. Ich muß heute auch einkaufen gehen, denn ich hab ja nichts im Hause. Wenn wir in der Stadt  sind, will ich mit den Kindern gerade noch in den Film „Über alles in der Welt“ gehen. In den nächsten Tagen komme ich dann doch nicht so fort, denn ich muß dann im Garten anfangen, da sieht es schauderhaft aus, Unkraut, halbmannshoch. Ärger habe ich auch schon damit gehabt, denn im Garten  hinterm Haus sind 4 Tomatenstöcke eingegangen und außerdem werden die Gurken welk. Alles in der einen Ecke im Garten. Frau Nußbaumer sagte schon, vielleicht ist eine Wühlmaus drin oder sonst ein Ungeziefer. Ich kann doch aber jetzt nicht alles rausreisen. Drüben im Garten steht alles soweit gut. Viele Bohnen hängen dran, da sollte ich am liebsten gleich mit einmachen anfangen. Aber ich hetze mich jetzt nicht ab. Ich habe auch nichts davon, wenn ich wieder daliege. Da kann ich dann überhaupt nichts machen. Brombeeren hat es auch schon schwarze. Falläpfel fallen auch runter. Also, es wartet schon mancherlei auf mich. Aber am ersten Tage faulenze ich noch. Von Frau Diez war für Jörg auch ein Päckchen da. Ein schöner Schreiberkasten mit allem, was rein gehört. Ich will ihr in den nächsten Tagen auch gleich danken.
Nimm bitte mit den wenigen Zeilen vorlieb. Ich will noch ein bißchen aufräumen und dann Essen kochen, damit wir nicht so spät fortkommen.
Sei Du, mein liebster Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, den 13.8.41

Ich glaube, ich mache heute noch mehrere Fehler, bis ich den ganzen Brief geschrieben habe. Ich muß mich erst wieder an die doppelte Umschaltung bei der Maschine gewöhnen. Ich bitte  also schon von vornherein um Nachsicht.
Wie ich Dir heute schon kurz schrieb, erhielt ich Deine Briefe vom 8., 9. und 10. Auf dem Brief vom 10. steht zwar auch 9ter drauf, aber auf dem Umschlag steht 10. Vielleicht hast Du Dich verschrieben. Ehe ich Dir von unserer Reise berichte, will ich sie Dir beantworten. Wir sind gut angekommen und haben auch alles soweit in Ordnung angetroffen. Ich habe mir schon vorgenommen. mich etwas zu schonen und will es auch durchführen, trotzdem ich es fast nicht sehen kann, wie der Garten aussieht. Viel Unkraut. Aber  ich mache alles nach und nach.
Ich muß wirklich sagen, daß Alice alles getan hat, um es uns angenehm zu machen. Das Grammophon hat den Kindern viel Freude gemacht, aber mir nicht minder. Jörg ist zum Geburtstag wirklich nicht schlecht weggekommen, soviel hätte er sicher zuhause nicht bekommen. Ich habe mich auch gefreut. daß Helga etwas mitbekommen hat, sonst wäre es gar zu hart für sie gewesen. Das Geld, das die Kinder bekommen haben, je 3 Mk von Alice, zusammen 5 Mk von Erna, haben wir heute auf die Sparkasse gebracht, ebenso die 3 Mk,. von den Eltern und 1,50 von Vater zum Geburtstag von Jörg. So hat Helga 5,50 und Jörg 10 Mk auf sein Sparbuch bekommen. Helga hat jetzt  im ganzen 50 Mk und Jörg 53 Mk drauf.  Ich denke, daß Helga bei ihrem Geburtstag wieder aufholen wird.
Den Metallbaukasten hebe ich noch auf, bis Jörg etwas älter ist. Er hat ja auch noch den alten von Siegfried bekommen, da kann er sich einstweilen üben. Bis jetzt sind ja beide noch nicht da, denn wir haben sie mit in die Pakete verpackt, zum schleppen wären sie mir zu schwer gewesen und ich konnte sie auch tatsächlich nirgends unterbringen.
Wie ich vermutete, freust Du Dich auch, daß die Elsa nicht mit hergekommen ist. Ich bin wirklich auch froh, denn nachdem ich gesehen habe, wie wild das eine Kind ist und welchen Dickkopf das andere hat, kamen mir wirklich Bedenken. Ich habe auch die feste Absicht, nächstes Jahr abzuschreiben, denn für 4 Wochen kann ich 3 Personen in unserer Wohnung wirklich nicht gebrauchen. Aber bis dahin ist noch viel Zeit und wir brauchen uns deshalb jetzt noch keine Sorgen zu machen.
Das Paket hast Du also an Graser nicht mitgeben können. Jetzt bin ich ja zu hause, da kann es ja direkt an mich geschickt werden.
Wegen Alice sagte mir Mama dasselbe, was Du jetzt schreibst. Ich sollte die Geschenke ruhig annehmen, denn sie könnten es ja jetzt, nachdem sie beide verdienen. Alice liege es hauptsächlich daran, näher mit uns zusammen zu kommen. In der Familie ihrer Pflegemutter fühlt sie sich nicht heimisch und sie fühlt sich mehr zu uns hingezogen. Ich werde ihr ja auch jetzt öfter schreiben.
Ich sagte auch zur Mama, daß sie ja ziemlich Arbeit mit uns gehabt hat, oder wenigstens viel Betrieb, aber sie sagte, daß sie sich vor allen Dingen gefreut hat, daß sie sich mit mir wieder einmal richtig aussprechen konnte und außerdem sei es auch schon eine Erholung und Freude, wenn die Enkel einmal da seien. Ich habe es beiden angemerkt, daß sie sich wirklich über unseren Besuch gefreut haben. Wir sich ja schon für nächstes Jahr wieder eingeladen. Ich bin wirklich froh, daß wir einmal verreist waren. Man ist einmal aus dem ganzen Betrieb und dem Ärger rausgekommen und ich habe mich wirklich erholen können. Die ersten Tage war ich ja furchtbar nervös und aufgeregt, aber später wurde es schon ein bißchen besser. Ich war ja so froh, daß ich mich nicht immer mit den Kindern von Büsings rumärgern mußte. Mein Vater sagte ja, ich sollte mir doch von der Frau und den Kindern nichts gefallen lassen und sollte einmal auf die Partei gehen. Er wollte mir ein Schreiben aufsetzen, aber vielleicht kannst Du das auch machen, wenn es nötig sein sollte. Ich muß sagen, so richtig hat es mir heute noch nicht wieder zuhause gefallen, am liebsten wäre ich gleich wieder fortgefahren. Reisen ist doch schön, man sieht manches und hat wechselnde Eindrücke. Ich glaube, das dauert wieder eine Weile, bis meine Reiselust einschläft.
Es freut mich, daß Du in Deinem Vorgesetzten jemand gefunden hast, der Deine Leistungen anerkennt. Man schafft ja noch einmal so gern. Aber trotzdem, überschaffe Dich nicht.
Die geschickten Photografien hebe ich auf. Der Hund von Euch ist ein netter Kerl, der würde uns auch gefallen.
Bei Vater waren wir heute Mittag. Er sieht etwas besser aus als erst, aber natürlich noch nicht gesund. Zuerst war es also doch etwas mit der Lunge, als es ihn so gestochen hat. Er sagte es mir heute jedenfalls. Jetzt ist es ihm oben besser, aber es ist ihm ins rechte Bein gefahren, so daß er nicht richtig laufen kann. In ärztlicher Behandlung ist er noch und an schaffen ist noch nicht zu denken. Da Dr. Deeg jetzt wieder eingezogen ist, geht er nun zum Seitz. Ich sagte zu Vater, daß ich morgen wieder runterkommen wollte, aber er sagte, daß er lieber rauf käme, er ginge eben langsam. Abends darf er ja nicht fort, sondern nur nachmittags einige Stunden. Wenn er überhaupt wieder schaffen kann, wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis es soweit ist.
Wenn Du jetzt keine Schokolade bekommen  kannst, ist es eben nicht zu ändern. Wenn es Dir nichts ausmacht, kannst du ja vielleicht einige Pralinen besorgen, wenn sie nicht gar zu teuer sind und wenn Du sie ohne Schwierigkeiten bekommst. Es müssen ja nicht viel sein, denn eigentlich sind sie ja Luxus, nicht wie die Schokolade, die ja auch nährt.
Es war mir ganz eigenartig zu Mute, als ich nach so langer Zeit wieder die Wollkämmerei betrat. Dort ist ja alles sehr verbessert. Der Film lief in einem wunderschönen Saal, der früher noch nicht da war. Die Wollkämmerei ist ja Musterbetrieb. Die haben dort eine richtige Tonfilmanlage, so daß sie die Wochenschauen auch bringen können. In 14 Tagen findet wieder eine Veranstaltung statt, in der auch wieder ein Kulturfilm und die beiden letzten Wochenschauen gezeigt werden. Vor allen Dingen sind diese Veranstaltungen für die Arbeiter und Angestellten des Betriebs gedacht, aber auch andere dürfen mit hinein.
Nun will ich Dir von unserer Reise berichten. Am Morgen habe ich noch den Rest eingepackt, dann haben wir Frühstück gegessen. Papa hatte sich bis nach 10 Uhr freigeben lassen, damit er mit auf die Bahn gehen konnte. Gegen 9 Uhr sind wir zu hause weggefahren und waren gegen 1/2 10 am Bahnhof. Wir sind dann reingegangen, mußten aber warten, da der Zug erst gegen 3/4 10 einlaufen sollte, 9,53 Uhr sollte er ja weiterfahren, da kam er aber erst an, so daß wir mit einer kleinen Verspätung abgefahren sind. Wir hatten ganz gute Plätze, wenn auch nicht direkt am Fenster. Wir konnten ja aber in den Gang gehen. Der Aufenthalt des Zuges in Leipzig war ja kurz und dementsprechend auch der Abschied. Mama gab beiden Kindern noch je eine Rolle Drops, nachdem mir Papa schon zu hause 2 Rollen Pfefferminzdrops gegeben hatte. Zu essen hatten wir auch genug mit, so konnte also die Reise losgehen Wir haben lange Zeit am Fenster gestanden. Es gab ja so viel zu sehen. Der Thüringer Wald ist ja auch wunderschön. Es war soweit auch gutes Wetter bis Stuttgart, da fing es fest an zu regnen und regnete dann bis Konstanz, wo wir auch im Regen ankamen. Glücklicherweise war der Regen nicht so heftig wie später, als wir ganz zuhause waren, da fing es ja dann mit Giessen an. Wir kamen also im Regen an und haben uns, bis der Postomnibus kam, bei der Bodenseerundschau eingestellt. Wir sind dann bis zum Frieden gefahren und hatten ja dann nicht mehr weit bis heim. Da war alles noch in Ordnung. Wir haben noch ein bißchen gegessen und dann sind die Kinder ins Bett, während ich noch die Koffer ausgeräumt habe. Die Glassachen habe ich alle gut heimgebracht. 1/2 12 waren wir zuhause und gegen 1 Uhr bin ich dann auch ins Bett gegangen. Heute Morgen bin ich dann erst gegen 1/2 8 Uhr munter geworden und bin aufgestanden. Die Kinder sind nach 8 Uhr aufgestanden. Ich holte mir dann meine Zeitung von Frau Nußbaumer, die sie die ganzen Tage mit reingenommen hatte, damit es nicht so auffällt, daß niemand da ist. Da mußte ich dann so allerhand schon wieder hören, was die Büsing-Kinder an unseren Sachen  angestellt hatten. Aus dem Lumpensacke im Korb unten die Lumpen rausgerissen. Holz verschleppt, Tomaten mit Steinen abgeschmissen usw. Erst habe ich mich wieder fest geärgert, aber dann habe ich mir gedacht, jetzt geht es doch nicht mehr zu ändern und den ersten Tag will ich mir nicht gleich verderben lassen. Während ich mit Frau Nußbaumer redete, kam natürlich auch gleich der Richard runter, trampelte wie ein Verrückter und schmiß die Türen zu, daß alles klirrte. Oben an der Türe horchten sie auch schon wieder was gesprochen würde, damit sie ja alles genau wissen. Ich muß sagen, ich hatte gleich wieder genug. Da war es die 14 Tage in Leipzig doch wunderbar gewesen. Da war kein Krach im Haus und alles war so friedlich. Am liebsten wäre ich gleich wieder abgefahren. Ich habe mir dann den Garten  angesehen. Da war  ja auch nicht alles in Butter. Einige Tomatenstöcke sind ganz eingegangen, ebenso die Gurken, die werden schon an den Blättern gelb. Da bekommen wir dieses Jahr nicht viel. Das Kraut dagegen ist wunderbar gewachsen. Ich war ganz paff. Auch Bohnen hat es. Wie viel will ich morgen erst einmal genau sehen. Auch die Kartoffeln stehen gut da. Ebenso sind die Kohlrabi an dem schrägen Stück wunderbar gewachsen. Ich kann schon welche zum essen holen. 1 1/2 Pfund Brombeeren haben wir heute auch abgenommen, ebenso haben wir eine ganze Tasche Falläpfel aufgesucht. Da gibt es morgen Apfelmus. Da freue ich mich schon drauf. Also Du siehst, ganz ohne Freude war der Empfang nun auch wieder nicht.
Ich habe dann heute Mittag, weil die Zeit so kurz war, nur einen Griesbrei gekocht. Hinterher sind wir zu Vater gegangen. Er hat mit von seiner Krankheit erzählt, was ich Dir schon vorhin berichtet habe. Wir haben ihm den Koffer von Kurt wieder hingebracht, haben noch kurz mit ihm geredet, haben ihm die Marken und das Geld für die 2 besorgten Brote gegeben, dann sind wir wieder gegangen, da wir noch in die Stadt wollte. Zuerst bin ich dann aufs Rathaus zu Herrn Vettenberger, oder heißt er Rettenberger. Der hat mir dann mehrere Formulare mitgegeben, die ich ausfüllen und die Du dann unterschreiben mußt. Da mußt Du eine Erklärung unterschreiben, daß Du Dich in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen befindest. Außerdem sind 2 Fragebogen auszufüllen, einer von Dir und einer von mir, über Deine und meine Eltern und Großeltern. Dann noch eine Standesliste. Ich fülle die Bogen nach den Urkunden, die wir besitzen, soweit als möglich aus und schicke sie Dir. Wenn Du sie mir zurückschickst, muß ich mit den Urkunden, zum Vergleich, aufs Rathaus gehen. Daraufhin wirst Du dort in Frankreich von Deinem Vorgesetzten als Beamter vereidigt und erhältst dann die Urkunde Deiner Ernennung zum Beamten. Ein Schreiben habe ich davon ja heute schon bekommen, das ich Dir abschreibe. Die Bogen schicke ich Dir in den nächsten Tagen, da ich heute nicht zum ausfüllen komme, ich muß ja erst alles raussuchen. Abschreiben tue ich es ja von dem großen Bogen, den Du angelegt hast.
Der Vettenberger sagte mir auch heute „Sie sind doch jetzt bald 10 Jahre verheiratet. Das weiß ich nämlich, da ich damals auf dem Standesamt einige Wochen ausgeholfen habe, da kenne ich die meisten Leute noch, die damals gekommen sind“. Du siehst also, sogar da denken sie noch dran. Doch allerhand, nicht wahr?
Nachdem wir auf dem Rathaus waren, sind wir auf die Post gegangen und haben den Brief an Dich und eine Karte an die Eltern weggeschafft. Hinterher habe ich mich auf dem Verkehrsamt wieder angemeldet. Nachher sind wir auf die Sparkasse gegangen und haben das Geld auf das Sparbuch der Kinder getan. Den Gehalt habe ich auch mit geholt, da ich ihn doch jetzt, nachdem Du Beamter geworden bist, schon am 1. bekomme. Ich hole ihn ja trotzdem erst am 15. Wir bekommen, wie Frl. Bucher sagte, jetzt den Gehalt also schon im Voraus. Der Gehaltszettel lautet diesmal: Gehalt  280,34, Einkommenssteuer 14,30, Bürgersteuer 2.00, Miete  37,70 für Lernmittel  12,50;    66,50   = 213,84. Ich habe davon Geld für Kohlen weggetan, 20 Mk tue ich auf die Sparkasse, denn ich habe seit April nichts mehr sparen können. 20 Mk schicke ich Dir. Ich hoffe, daß es Dir reicht. Sollte es nicht der Fall sein, mußt Du eben schreiben.
½ 4 waren wir im Kino. Der Film „Über alles in der Welt“ hat uns gut gefallen.
Ich hatte  der Mama in Leipzig einen Holzuntersetzer kaufen wollen, wie ich ihn habe, zum zusammensetzen, konnte ihn aber nirgends bekommen. Heute habe ich nun einen besorgt, den ich ihr in den nächsten Tagen  schicken werde. Ich denke, daß sie sich freut. Ich hatte es ihr versprochen, daß ich ihr einen schicke.
Es kam mir heute Abend ganz komisch vor, daß ich das Abendbrot selber richten mußte, nachdem ich es 14 Tage  immer fertig vorgesetzt bekommen habe. Man muß sich erst wieder an alles gewöhnen.
Nun will ich aber schließen. Ich will Dir noch das Schreiben der Stadt abschreiben. Sei also wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie

Brief 202 vom 10./11.8.1941


Mein lieber Ernst!                                                    10.8.41                                     

Wunderst Du Dich nicht, daß ich heute nicht mit der Maschine schreibe? Das kommt daher, daß alle ihren Mittagsschlaf halten. Da kann ich nicht gut losklappern. Wenn sie aufstehen wird Kaffee getrunken, nachher wollen wir Mensch ärgere Dich nicht spielen und hinterher wollen wir alle noch baden. Da wird der Tag bald rum gehen.
Am Morgen waren wir in der Wollkämmerei. Es wurde gezeigt: Ein Kulturfilm, „Das Lied vom Stahl“ und die 2 letzten Wochenschauen, alles für 10 Pfennig.
Am Morgen haben wir 3 Pakete gepackt, die ich per Post vorher abschicke, es sind 15 kg. Deshalb habe ich aber doch noch meine 2 Koffer voll. Hoffentlich kommt alles gut an. Ich will die Pakete mit Versicherung aufgeben, das kostet 10 Pfennig mehr. Gebe ich die Pakete aber als Reisenden Gepäck auf der Bahn, kostet es pro kg 40 Pfennig.
Gestern Abend kamen Paul und Alice noch vorbei. Sie brachten für Jörg noch ein Spielzeug mit, lauter kleine Figuren, einen ganzen Bauernhof mit Bäumen, Zäunen usw. Das haben wir nun zum Heimtransport auch in ein Paket gepackt.
Von Vater habe ich heute eine Karte erhalten. Er schreibt, daß es ihm etwas besser geht, daß sich die Krankheit bei ihm auf 1 Bein geschlagen hat und daß er dadurch noch nicht gut gehen kann. Von Kurt schreibt er, daß er jetzt zu seiner Kompanie zurückgekommen sei, nachdem  er die Prüfung für Personenkraftwagen abgelegt hat. Vor lauter lernen hätte er auch vergessen, Dir zum Geburtstag zu gratulieren.
Seit heute Mittag regnet es, so daß man am liebsten im Zimmer bleibt. Richtig heiß war es eigentlich, solange wir hier sind, nur 1 oder 2 Tage.
Wo wirst Du diesen Sonntag verbringen? Trotzdem ich hier viel Unterhaltung und Abwechslung habe, denke ich doch immer an Dich. Ich freue mich schon sehr, wenn Du auf Urlaub kommst. Ich habe auch hier in Leipzig oft Sehnsucht nach Dir gehabt und mir gedacht, wenn Du doch jetzt überall dabei sein könntest, das wäre fein. Es ist doch eigenartig, wenn man das Wort Urlaub hört, da fängt man schon an sich vorzustellen, wie schön es sein wird, wenn Du wieder ein paar Tage bei uns bist. Ich will mich aber noch nicht zu sehr freuen, damit nichts dazwischen kommt.
Nun will ich wieder schließen. Sei für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                      Leipzig, den 11.8.41

Heute Morgen erhielt ich Deinen lieben Brief vom 7.8. Ich danke Dir sehr dafür. Es ist ja nun der letzte Brief, den Du an mich nach Leipzig schreibst. Du hast es also gerade richtig getroffen, denn morgen fahren wir doch heim. Ich freue mich schon, wenn ich in Konstanz gleich wieder einen Gruß von Dir bekomme.
Die Tage in Leipzig sind wirklich gut und ungetrübt verlaufen. Ich hatte immerhin gefürchtet, daß es manche Meinungsverschiedenheiten geben würde. Nun bin ich froh, daß dies nicht der Fall war.
Die Angelegenheit mit Elsa hat sich ja nun erledigt. Sie kommt ja nicht. Das wirst Du ja inzwischen auch durch meinen Brief erfahren haben. Also besteht dadurch kein Hindernis, daß Du in Urlaub kommst.
Wenn Du es einrichten kannst, wie Du willst, und wenn Du nicht gerade zu unserem Hochzeitstag bei uns sein willst, wäre es am günstigsten, wenn Du ca. 5. September da sein könntest. Vorher ist es nicht so günstig. Hier waren die letzten Tage auch ziemlich regnerisch. Man muß jedenfalls immer den Regenmantel dabei haben, wenn man fortgehen will. Aber wenn man bei den Eltern ist, macht das ja nicht so viel aus. Da kann man auch einmal zuhause sitzen, was bei fremden Leuten nicht so gut geht. Hoffentlich hast du wirklich noch ein paar schöne Tage, wenn Du auf Urlaub kommst. Ich wollte, Du wärst jetzt schon bei uns.
Bei uns stehen sie ja hier auch nach Rauchwaren an. Aber es geht auch bei uns friedlich dabei zu. Jeder stellt sich richtig in seine Reihe und dann werden sie nach und nach in den Laden gelassen.
Heute Nacht waren wir wieder einmal im Luftschutzkeller. Drei Mal haben wir mit runter müssen. Mal sehen, ob sie uns jetzt die letzte Nacht schlafen lassen.
Heute Morgen haben wir die 3 Pakete fortgeschafft, die wir gestern gepackt haben. Als Wert  haben wir jedes Mal 100,-Mk angegeben. Heute Nachmittag fahren wir noch einmal in die Stadt, besorgen die Fahrkarten und gehen durch die Stadt. Es ist ja für dieses Jahr das letzte Mal. Wir wollten erst Mama mitnehmen, aber sie ist zu kaputt und will sich lieber ein bißchen hinlegen.
Ich habe Dir, glaub ich, noch gar nicht geschrieben, daß Erna am Samstagabend den Kindern zusammen noch 5 Mk. gegeben hat. Ich habe es erst nicht annehmen wollen, aber Mama sagte, Erna würde sich freuen, wenn sie den Kindern eine Freude machen kann.
Ich schreibe nun heute auch von hier den letzten Brief an Dich. Morgen erhältst Du ja keinen, denn da sind wir auf der Bahn. Eine Karte werde ich aber wahrscheinlich morgen Abend noch in den Kasten werfen, wenn wir gesund in Konstanz angekommen sind.
Ich grüße Dich heute noch recht herzlich und gebe von Leipzig aus noch viele, viele Küsse  Deine Annie.


Brief 201 vom 9.8.1941


Mein lieber Ernst!                                                                           Leipzig, den 9.8.41                                                                             

Gestern, gerade als ich fortgehen wollte, bekam ich Deinen lieben Brief vom 5./6.8. Ich danke Dir recht sehr dafür.
Du hast recht, das gefällt meinem Vater, wenn er den Kindern erzählen kann. Die Kinder sitzen auch jeden Abend gleich auf dem Sofa und warten, bis Papa erzählt.
Vom Eis essen sind Beide wirklich große Gegner. Darum vertilgen sie so viel als möglich. Vorhin sind wir gerade wieder alle fortgewesen und haben uns für 10 Pfg. Eis gekauft. Den Eltern haben wir auch welches mitgebracht. Mit meinem Geld komme ich schon aus. Übrig habe ich natürlich auch nichts mehr. Aber das ist ja nicht so schlimm. Das Wirtschaftsgeld für nächste Woche habe ich natürlich noch, das habe ich nicht verbraucht.
Siegfried ist schon wieder fortgefahren. Sein Zug wird jetzt wahrscheinlich in Krakau abgestellt. Da bekommt er ja auch nicht gleich wieder Urlaub.
An Frau Diez schreibe ich noch eine Karte.  So sieht sie wenigstens, daß wir uns nicht bedanken konnten, wenn sie ja ein Päckchen geschickt hat. Sie wollte Jörg zum Geburtstag einen Schieferkasten schenken.
Du hast ja jetzt viel Arbeit. Ich bitte Dich auch wieder, überschaffe Dich nicht.
Ich bin froh, daß wir uns wieder einmal richtig über alles aussprechen können, wenn Du auf Urlaub kommst. Es gibt ja so viel zu erzählen. Beim schreiben kann man doch immer nur das Notwendige schreiben.
Von gestern möchte ich Dir auch noch berichten. Ich bin gestern in die Stadt gefahren. Erst bin ich erst auf den Bahnhof gegangen und habe mich wegen einer Zulassungskarte erkundigt, ich brauche aber für meine Reise nach Konstanz keine. Hinterher bin ich auf den Augustusplatz gegangen und habe auf Alice gewartet. Auf einmal kam auch Erna, die gerade in der Stadt zu tun hatte und wartete mit, bis Alice kam. Danach sind wir zuerst in ein Cafe gegangen und haben Torte und Eis gegessen. Hinterher sind wir einkaufen gegangen. Ich hatte mir eine Butterdose gewünscht. Wir sind überall herumgerannt, haben aber keine bekommen können, ebenso keine Konfektdose, die ich mir von Erna gewünscht hatte, da sie mir unbedingt etwas schenken wollte. Zuletzt fanden wir eine aus Porzellan zu 11,-Mk. Die wollte Erna kaufen. Ich habe es ihr aber abgeredet und habe ihr gesagt, wenn sie schon einige Mark ausgeben wollte, so wäre es mit lieber, sie kaufte mir einen Holzteller. Die sind nicht so teuer und gefallen mir wirklich gut. Alice, Erna und ich sind dann in ein Spezialgeschäft gegangen, die nur Sachen aus Holz haben und da haben mir beide je einen Holzteller gekauft. Der eine kostet 5,- der andere 3,50 Mk. Sie gefallen mir sehr gut. Heute brachte mit Erna nun auch noch eine Butterdose, die sie nach längerem Herumlaufen noch bekommen hat. Also ich bin doch wirklich reichlich beschenkt worden. Für Helga brachte Erna heute noch eine silberne Kette mit Anhänger mit. Nun bringt Helga also von dieser Reise 2 Ketten mit.
Gestern sagte Jörg „Helga, ich muß Dir unbedingt etwas von meinem Geld kaufen.“ Sie sind dann beide fortgegangen und brachten für Helga ein Armband an. Es besteht aus lauter bunten Herzen und sieht wirklich nicht schlecht aus. Es hat 30 Pfg. gekostet. Das ist doch ein lieber Bruder, nicht wahr?
Heute habe ich schon einen Koffer fertig gepackt. Den anderen kann ich noch nicht fertig machen, da wir ja noch verschiedene Sachen anhaben.
Am Morgen habe ich 2 Kuchen gebacken. Einen haben wir heute Nachmittag gegessen, als Erna kam, den anderen essen wir morgen. Ich habe heute für Mama auch noch einen Rock genäht. Frau Junghanns hat ihn vor ein paar Jahren genäht und hat ihn so vermurxt, daß Mama ihn gar nicht mehr tragen konnte. Sie sah darin rund aus und der ganze Rock saß einfach nicht. Ich habe ihn nun noch einmal ganz aufgetrennt und habe ihn richtig genäht. Mama ist froh, daß auch das in Ordnung ist. Ich freue mich natürlich auch, daß mir alles so gut gelungen ist. Am Nachmittag kam Erna. Sie hat gleich einen Trainingsanzug für Siegfried ausgebessert, während ich genäht habe. Hinterher haben wir Kuchen gegessen und nachdem sind wir zum Milch holen gegangen. Nun habe ich mich zum schreiben hingesetzt, während die Kinder mit Papa ein Flohspiel spielen. Erna sitzt mit Mama auf dem Sofa. Nachher wollen wir noch Abendbrot essen. Papa muß noch auf Nachtwache ins Geschäft.
Nun will ich schließen. Es ist schon 1/4 8 Uhr. Da kommt der Brief gerade noch 3/4 8 mit fort. Sei für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Ich habe heute auch eine Karte von Dora bekommen. Sie schreibt, daß sie leider nicht nach Leipzig kommen kann, da sie ihre Mutter nicht allein lassen möchte, da sie ja auch älter geworden sei. Außerdem habe sie die Stelle Mutter und Kind und habe viel Arbeit. Sie hofft, daß sie uns nach dem Kriege wieder einmal besuchen kann.

Brief 200 vom 6./8.8.1941


Mein liebster Ernst!                                                                        den 6. Aug.1941                                        

Einen Brief habe ich heute nicht von Dir erhalten und zu berichten habe ich eigentlich auch nicht viel, aber einen kurzen Gruß sollst Du doch wenigstens von mir erhalten.
Es ist heute ziemlich trübes Wetter, es regnet auch manchmal und außerdem ist es kühl, da ein ziemlich starker Wind weht. Wir sind daher heute den ganzen Tag daheim. Am Morgen waren wir nur fort zum einkaufen. Das Ausruhen tut mit aber auch ganz gut. Nach dem Mittagessen haben wir heute alle ein bißchen geschlafen. Hinterher haben wir gleich wieder Brötchen zum Nachmittag gegessen. Jetzt kocht Mama gerade Grießpudding zum Abendbrot und ich muß nachher noch zum Gut um Vollmilch zu holen. Dann ist dieser Tag auch bald wieder vorbei.
Nun sind ja die Ferien bald vorbei. Daß ich durch den Aufenthalt in Leipzig ganz gesund geworden bin, kann ich natürlich nicht sagen, denn soviel können 14 Tage nicht ausmachen. Aber ich habe doch einmal Abwechslung gehabt und wir sind ja auch wirklich sehr gut aufgenommen worden. Reuen tut mich das Geld nicht, das ich für die Reise ausgegeben habe. Ich bin auch wieder einmal mit fast allen Verwandten zusammengekommen. An Alice werde ich natürlich von jetzt an mehr schreiben, denn sie hat sich uns gegenüber sehr anständig gezeigt und ich habe gemerkt, daß ihr sehr viel daran liegt, mit uns in ein gutes Verhältnis zu kommen. Paul ist ja immer noch der gemütliche Kerl von früher. Er läßt sich durch nichts aus der Ruhe bringen.
Kennst Du eigentlich den Gerhard Wollin noch? Es war ein Freund von Siegfried und war auch bei der silbernen Hochzeit mit da, so ein blonder? Er war, soviel ich weiß, Bäcker? Der ist bei seinem ersten Einsatz als Beobachter in einem Flugzeug über England abgeschossen worden. Siegfried kann es manchmal gar nicht begreifen, daß er wirklich gefallen ist.
Während ich hier schreibe, hat es sich richtig eingeregnet. Ich werde da wohl allein zum Milch holen gehen. Die Kinder wollten Papa wieder von der Straßenbahn abholen, weil sie wissen, da gibt es immer 10 Pfg. Gestern haben sie zwar gleich für heute 10 Pfg. mitbekommen, da ist es für sie nicht so schlimm, wenn sie nicht gehen dürfen.
Gestern, als ich den Brief an Dich fortschaffte, traf ich gerade Papa. Ich mußte dann mit ihm und den Kindern gleich noch ein Stück mitgehen und bekam auch gleich ein Eis. Als wir auf dem Rückweg waren, sah ich in einem Geschäft so Fensterklammern, wie es sie  bei uns in Konstanz nicht gibt, weißt Du, damit das Fenster nicht zufliegen kann. Als ich den Wunsch äußerte, mir evtl. auch einige zu kaufen, holte Papa gleich 4 Stück, für jedes Fenster eins. Außerdem kaufte er mir gleich so eine moderne Brosche. Aus was für Metall sie ist, weiß ich nicht, glänzen tut sie wie Gold, ist aber natürlich keins. Ich trage sie mit für wochentags, für sonntags habe ich ja die echte silberne von Dir, die ja auch erheblich teurer war.
Jetzt wird es Zeit, daß ich mich auf die Beine mache, sonst muß ich mich auf dem Gut zu lange anstellen. Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                              Leipzig 8.8.41

Nachdem ich gestern nicht dazu gekommen bin, Dir einen Brief zu schreiben, sondern es bei einer Karte geblieben war, sollst Du doch wenigstens heute wieder einen bekommen. Ich schreibe gleich heute Mittag und weiß nicht, ob vielleicht heute Nachmittag noch ein Brief von Dir kommt. Heute Morgen habe ich nichts bekommen.
Gestern  Vormittag waren wir, wie Du aus den gestrigen Karten gesehen hast, im Zoo. Es war wirklich noch einmal schön. Wir haben uns die Sachen, die uns besonders interessiert haben, gründlich angesehen. Die kleinen Bären und die Affen haben durch ihr Raufen und ihr Springen viel Freude gemacht, ebenso die kleinen Tiger. Die Hyänen sind ekelhafte Tiere, auch schon, wenn sie klein sind. Gerade gestern war es besonders interessant. Als der Wärter beim Käfig vorbei kam, zogen sie sich so schleichend zurück, nicht wie die anderen Tiere, daß sie zurückspringen, nein, sie sind direkt geschlichen und als der Wärter ihnen den Rücken zuwandte, sprangen sie gleich wieder vor ans Gitter und beobachteten ihn. Die jungen Tiger und Bären sind ganz anders. Die lassen sich beim spielen gar nicht stören und tollen herum wie die Kinder. Interessant war mir auch, daß sich die Hyänen direkt gegenseitig anfressen. Jedes Tier hat da blutende Wunden am Körper, den einen haben sie sogar den ganzen Schwanz und ein Stück vom Hinterteil abgefressen. Es sah ekelhaft aus.
Die Papageien haben wir auch besucht. Der eine sagte immer „Habt ihr was dabei?“ Wir haben erst ein paar Mal zuhören müssen, bis wir es verstanden haben. Nach uns kamen noch 2 Leute, denen hat er sein Sprüchchen auch gesagt. Als sie nun wieder weggingen, ohne daß er etwas bekommen hat, stellte er die Federn ganz steil in die Höhe und schrie und kreischte, daß sich die Kinder direkt gefürchtet haben. Als die Leute draußen waren, beruhigte er sich wieder und fing wieder an zu sprechen. Als wir dann raus gingen, natürlich auch ohne ihm was zu geben, ging derselbe Krach von vorn los.
Um 9 Uhr sind wir gestern Morgen fortgegangen und um 1 waren wir wieder zuhause. Wir haben dann Mittagessen gegessen. Es gab ein Lieblingsessen der Kinder, Wickelkraut. Am Nachmittag habe ich dann für Mama 2 Kleider geändert. Mit einem bin ich gestern fertig geworden. Das andere habe ich heute Morgen fertig gemacht. Mama freut sich, daß ich es ihr habe machen können, da sie jetzt für Änderungen schlecht jemand bekommt.
Heute Nachmittag gehe ich schon um 3 fort und erkundige mich, ehe ich mich mit Alice treffe, auf der Bahn nach der Zulassungskarte. Wo und wann ich sie mir besorgen muß. Daß ich dann nicht am Dienstag da stehe und kann nicht fahren. Ich habe heute schon ein bißchen mit dem einpacken begonnen. Alles kann ich nicht fortbringen. Das schicken wir dann mit der Post.
An Vater habe ich heute noch eine Karte geschrieben. Ich habe ihm mitgeteilt, wenn wir kommen und habe ich gebeten, er möchte uns ein Brot besorgen, wenn er wieder laufen kann, damit wir am Mittwochmorgen etwas zu essen haben. Ich weiß ja gar nicht, wie es ihm geht, da er ja nicht geschrieben  hat. Er sagte mir ja ehe wir fortfuhren, daß er nicht schreibt, wenn es ihm gut geht.
Papa muß jetzt den Kindern jeden Tag  aus seiner Jugend erzählen. Als er gestern sagte, daß sein Vater fest hat zuhauen können, sagte Helga wieder „Das kannst Du auch, Mutterle hat es uns ja gesagt, wo Du sie einmal so fest gehauen hast!“ Papa konnte sich ja nicht mehr erinnern, schon vor ein paar Tagen glaubte er es nicht, als Helga es sagte, aber Mama hat es bestätigt. Da war Papa erst eine ganze Weile still und dann meinte er „Man hat es eben auch gut gemeint, damit die Kinder gut werden und man war eben vom Krieg auch nervös geworden, so daß man rascher aufgebraust ist.“ Ich habe ja lachen müssen, denn nach über 20 Jahren braucht er sich ja wirklich nicht mehr deshalb entschuldigen. Aber es reut ihn ein bißchen, daß er damals so fest zugehauen hat, während ich ja nichts mehr davon spüre und es ihm ja schließlich auch nicht nachtrage.
Heute weiß ich eigentlich gar nichts mehr zu schreiben. Ich hoffe, daß Du auch mit einem kürzeren Brief zufrieden bist. Schön wird es ja, wenn ich erst wieder richtig mit Dir reden kann, wenn Du wieder Urlaub hast.
Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Brief 199 vom 5.8.1941


Mein liebster Ernst!                                                              Leipzig, den 5.August 1941                                         

Heute habe ich gleich 2 Briefe zu beantworten, den vom 1.8., den ich gestern Nachmittag erhielt und den vom 2.8. der heute Morgen ankam. Ich danke Dir für Beide sehr.
In Leipzig gefällt es mir wirklich ganz gut. Ich habe eben doch manche freie Zeit, wenn ich auch nicht die ganze Zeit faulenze. Man hat auch wieder einmal andere Eindrücke gehabt und brauchte sich nicht im Haus herumärgern. Am 12. werden wir wieder nach Konstanz fahren. Am Sonntag darauf fahren dann meine Eltern nach Kamnitz.
Nun wegen der Schokolade. Ich habe natürlich meiner Mutter nichts davon gesagt, daß Du uns schon so viel Schokolade geschickt hast, sonder es war nur von einigen Tafeln die Rede und meine Mutter meint natürlich auch nicht, daß Du eine ganze Portion schicken sollst. Meinem Vater habe ich überhaupt noch nichts davon gesagt. Er weiß auch noch nicht, daß wir wegen Schokolade bei Dir angefragt haben. Ich verstehe das vollkommen, daß Du erst für mich sorgen willst, darum habe ich auch nur bei Dir angefragt, denn Du sollst nun nicht etwa herumsausen müssen, nur um Schokolade zu besorgen. Am Freitag über 8 Tage bekomme ich ja Geld und schicke Dir dann gleich welches. Von meiner Mutter würdest Du es gleich bekommen, wenn Du etwas schicken würdest. Es ist ja ganz fein, wenn Du von dem Konstanzer seinen Wagen zur Verfügung gestellt bekommst. Was bekleidet er dort für eine Stelle? Daß Dir der Abend nichts gekostet hat, darüber wirst Du sicher auch nicht böse gewesen sein, wenn Du auch nicht unter dieser Voraussatzung Dich mit dem Mann getroffen hast. Ihm kostet es ja auch nichts. Billiger geht es doch wirklich nicht.
Gestern Abend bin ich mit Siegfried in den Film „Auf Wiedersehen Franziska“ gegangen. Ich kann nur sagen, daß es mir wirklich sehr gut gefallen hat. Das hat man wirklich nicht bereuen müssen, hingegangen zu sein. Wir sind hinterher bis zum Königsplatz gelaufen und sind dann mit der 1 nach hause gefahren. Der Film wurde am Bayrischen Bahnhof gespielt.
Heute Morgen hatten wir ziemlich viel zu tun. Erst habe ich für Siegfried noch die Sachen gebügelt. Hinterher habe ich für mich noch etliches gewaschen. Nachher habe ich Kartoffeln für rohe Klöße gerieben. Da war der Mittag da. Heute Nachmittag ist es nun ruhiger. Siegfried ist vorhin gerade fortgefahren. Er mußte wieder nach Dresden zu seinem Zug. Jetzt kommt er voraussichtlich 4 Wochen nicht mehr heim.
Heute bleibe ich den restlichen Tag noch zuhause. Morgen wahrscheinlich auch. Am Donnerstag  soll ich mit den Kindern nochmals in den Zoo gehen. Am Freitagnachmittag bin ich noch einmal von Alice in die Stadt eingeladen. Am Samstag besucht uns Alice und Paul, damit wir alle zusammen uns ein bißchen unterhalten können. Am Sonntagvormittag wollen wir alle in die Wollkämmerei zu einem Film gehen, in dem auch die beiden letzten Wochenschauen gezeigt werden. Die Eltern meinten, es würde mich doch sicher interessieren, nach so langen Jahren wieder einmal meine frühere Arbeitsstätte zu sehen. Die Wollkämmerei selber ist ja viel schöner geworden. Wo früher hinter dem Haus altes Gerümpel lag, sind jetzt Bäume und Grünanlagen. Überall sind die Türen und Fenster modernisiert und die ganze Fabrik sieht überhaupt schöner aus. Am Montag werde ich noch alles fertig einpacken, damit wir am Dienstag früh wegfahren können. Heute habe ich von Siegfried noch eine sowjetische Gasmaskentasche geschenkt bekommen, die man gut zum einkaufen ans Rad machen kann. Sie sieht so ähnlich wie unser Brotbeutel  aus, nur breiter nach vorn und außerdem hat sie inwendig mehrere Taschen. Siegfried hat auch noch eine für sich. Sie ist nicht etwa gebraucht, sondern die Dinger waren noch mit den Gasmasken in Kisten verpackt. Eine Gasmaske hat Siegfried auch, die hat einen ganz langen Schlauch und kann als Gas- und Sauerstoffmaske verwendet werden. Aussehen tut das Ding ja ziemlich komisch.
Ich habe heute einmal probeweise eingepackt und habe gesehen, daß ich ein ganz Teil mit der Post schicken muß, sonst bekomme ich gar nicht alles mit. Da ist das große Spiel für Jörg, da sind die Decken von Tante Anna und auch noch einige Hemden, da sind die anderen Sachen von den Kindern, da sind Hefte zum lesen, da sind die Geschenke von Alice. Ach, ich weiß schon gar nicht mehr alles. Jedenfalls komme ich beladener wieder als ich gegangen bin.
Gestern habe ich an Dora geschrieben, daß ich zu Besuch in Leipzig bin und ob sie sich nicht ein paar Tage frei machen kann, um einmal hier her zu kommen, die Eltern würden sich sehr freuen. Ich werde ja sehen, was sie darauf antwortet.
Nun will ich für heute schließen. Sei Du, mein lieber Schatz, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Brief 198 vom 04.08.1941


Mein lieber Ernst!                                                             Leipzig, den 4. Aug.41                           

Heute habe ich Dir viel zu berichten. Vom Sonnabend will ich anfangen.
Am Nachmittag sind wir ins Variete gegangen. Es war wirklich wunderschön. Da hat man wieder großartige Leistungen gesehen. Schreiben kann man das alles gar nicht so. Das erzähle ich Dir, wenn Du auf Urlaub kommst.
In der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag sind wir wieder einmal im Luftschutzkeller gewesen. Wieder eine Stunde lang. Geschossen ist diesmal aber nicht worden.
Am Sonntagmorgen sind wir zur Alice raus gefahren. Ich habe überhaupt ganz vergessen, Dir noch zu sagen, daß am Samstag, als wir aus dem Variete heimkamen, Siegfried da war. Er hat bis Morgen Urlaub. So kann er also wenigstens heute zum Geburtstag von Jörg da sein.
Wir sind also am Sonntagmorgen zur Alice gefahren. Wir haben erst mitgeholfen, das Mittagessen zu kochen. Papa hat mit den Kindern inzwischen hinterm Haus gesessen. Zum Mittagessen kam Paul nach hause. Er hat uns dann das Grammophon frei gemacht, damit die Kinder auch einmal die Platten spielen sehen. Uns hat es ja auch Vergnügen gemacht. Wir haben fast den ganzen Nachmittag gespielt. Im Garten haben wir Mittagessen und Nachmittagsbrot gegessen. Am Mittag gab es Allerlei mit Kartoffeln und Fleisch. Für Nachmittag hatte Alice einen Quarkkuchen und einen Rührkuchen gebacken. Fürs Abendessen hatten wir ja unser Essen mit. Am Nachmittag und am Abend kam Erna, ein paar Mal zu Alice und Paul rüber. Sie gab mir am Abend Buntstifte und ein Malbuch, sowie Gebäck für Jörg mit. Alice hatte Pfefferkuchen und Gebäck gekauft. Außerdem schenkte sie Jörg die ganzen Sachen, die ich besorgt hatte, also auch ein Malbuch, Griffel, Schwammdose. Auch einen Tennisball hatte sie für Beide zurückgelegt. Jörg habe ich seinen auf den Geburtstagstisch gelegt, Helga hebe ich ihren für den Geburtstag auf. Helga und Jörg haben nämlich außerdem noch 3 ältere Tennisbälle von Papa, Alice und Erna bekommen, so daß sie also darin jetzt wirklich keinen Mangel leiden.
Für Helga hat mir Alice auch noch eine Kaffeekanne in Form eines Hundes für den Geburtstag mitgegeben. Es ist nicht so mein Geschmack, aber ich denke, daß es den Kindern sicher gefällt.
Ich bekam gestern von Alice eine Bleikristallschale für Ölsardinen usw., also eine Art Teller, und außerdem eine Marmeladenschale. Für die Kinder gab sie mir auch noch je 3 Mk. mit. Das ist doch wirklich sehr nett, nicht wahr?
Am Abend gegen 1/2 7 Uhr kam Paul wieder nach hause, nachdem er am Nachmittag noch arbeiten war. Die 3 Männer haben dann Skat gespielt. Hinterher hat uns Paul alle noch herumgeführt und uns den Garten gezeigt. Es ist ein großes Stück, den soll er nun so nebenbei für die Miete bearbeiten. Das ist natürlich zu viel. Wahrscheinlich geben sie den Posten wieder auf. Die Gräfin muß eine alte Hexe sein. Die ist bald 80 Jahre und meckert  doch überall herum. Erna wollte auch schon von dort weg, aber sie geben sie nicht frei.
1/2 10 sind wir dann mit der Straßenbahn nach hause gefahren. Siegfried ist bei Alice geblieben. Er sagte mir, daß er heute Morgen gleich in sein früheres Geschäft gehen und außerdem ein Geschenk für Jörg besorgen will. Heute gegen Mittag kam er nun an mit einem Merkur-Baukasten. Das ist so, wie die Märklin-Kästen, mit Schrauben, Rädern, Eisenstangen usw. Der Kasten ist sehr groß, mit 2 Einlagen und kostet 21,-Mk. Siegfried hatte nämlich an einem Märklinkasten gesehen, daß Jörg für so Sachen Geschick hat und hat ihm deshalb diesen Kasten geschenkt. Ich werde natürlich Obacht geben, daß von den Sachen nichts verloren geht. Für Helga brachte Siegfried ein Perlengeldtäschchen und einen Ölhautumhang für ihre große Puppe mit. Außerdem legte er ihr in das Geldtäschchen noch 50 Pfg. Alles zusammen hat Siegfried 25,-Mk gekostet. Das ist doch ein teurer Geburtstag, nicht wahr?  Heute Abend will ich mit Siegfried in den Film „Auf Wiedersehen, Franziska“ gehen, den Du doch so gelobt hast. Morgen Mittag muß Siegfried ja wieder weg. Heute Vormittag haben Mama und ich die Sachen von Siegfried gewaschen, die er alle schmutzig mitgebracht hat und sauber wieder mitnehmen will. Das war ein ganzer Teil.
Siegfried hat doch einen französischen Stahlhelm. Jetzt hat er sich noch einen russischen mitgebracht. Der sieht nun wieder ganz anders aus, als wir es gewöhnt sind.
Es geht heute im Brief alles ein bißchen durcheinander, aber ich habe Dir doch noch gar nicht alles aufgezählt, was Jörg zum Geburtstag bekommen hat. Außer den Sachen, die ich schon vorhin aufgezählt habe, noch von einer Frau aus dem Haus Bonbons und eine kleine Figur auf den Geburtstagstisch, die bei Jörg viel Freude ausgelöst hat. Es ist ein kleines Küken mit einem Blumenstrauß. Das schleppt er jetzt überall mit herum. Die Bonbons waren in einem Kästchen, das wie ein Baumstamm aussieht, an dem 2 Maikäfer raufkrabbeln. Das hat ihm auch gefallen. Von Mama und Papa hat er 3 Mk. bekommen. Außerdem hat Mama 2 Kuchen gebacken. Ich habe ihm diesmal nachdem er so viele Geschenke bekommen hat, nur 1 Mk. in lauter Zehnern gegeben. Mit denen darf er machen was er will. Er kann sich also Eis oder sonst etwas kaufen. Das hat Jörg auch viel Vergnügen gemacht und er überlegt jetzt immer, was er sich wohl kaufen könnte. Er meint ja jetzt, das Geld wird überhaupt nicht mehr alle.
Ich habe von Dir Deinen lieben Brief vom 31.7. bekommen. Nun hast Du also wieder an Vater und Kurt geschrieben. Vater wird sich sicher auch gefreut haben, daß Du ihm wieder geschrieben hast. Gerade, wenn er jetzt noch nicht gesund ist, hat er ja Zeit und Ruhe zum lesen. Ich bin ja gespannt, wie weit er gesund ist, wenn wir heim kommen.
Wenn Du Anfang September auf Urlaub kommen könntest, wäre das ja wegen den Geburtstagen besonders schön. Natürlich bist Du auch sonst immer willkommen, nicht nur zu den Geburtstagen. Wir freuen uns ja alle schon so sehr, daß wir Dich vielleicht bald einmal wiedersehen. Wenn nur immer hinterher der Abschied nicht wär. Aber vorher wollen wir uns auf das Wiedersehen freuen.
So sehr schlecht lebt ihr ja dort noch nicht, wenn Du Dir noch Butter und Eier kaufen kannst. Kaufe es Dir aber nur, solange Du kannst. Eine Wildente als Abendessen lasse ich mir auch gefallen, vor allen Dingen, wenn sie noch so billig ist.
Etwas Wichtiges habe ich fast noch vergessen. Elsa Legler schrieb mir gestern, daß sie es sich doch überlegt hat. Es wären ja nur knapp 14 Tage, die sie in Konstanz würde bleiben können (für 14 Tage hatten sie ja auch nur angefragt, sonst hätte ich ja gar nicht zugesagt). Da wäre die Aufregung für sie und für mich zu groß. Da würde sie lieber nicht mit fahren und käme nächstes Jahr in den großen Ferien zu mir, wenn es mir recht ist.
Ich muß ja sagen daß ich absolut nicht böse über die Absage bin. Im Gegenteil. Es wäre doch eine ziemliche Hetzerei geworden und das bißchen Erholung wäre futsch.
Als ich zu Elsa kam, fragte sie mich, wie lange wir gefahren seien. Als ich sagte, 13 Stunden, sagte sie „Was, so lange.“. Ich sagte ihr auch im Laufe des Gespräches, wie viel die Fahrt kostet. Das wußte sie auch nicht. Ich denke mir, daß das wahrscheinlich auch mit den Ausschlag bei der Ablehnung gegeben hat, daß die Fahrt so teuer ist. Aber so etwas überlegt man sich doch schließlich ehe man schreibt. Jedenfalls, ich bin sehr froh, daß sie nicht mitfahren. So kann ich dann zu hause anfangen, wieder im Garten zu arbeiten, kann es mir aber einteilen und brauche mich nicht abzuhetzen. Bist Du auch froh, daß es so gekommen ist?
Gestern habe ich gemerkt, daß es doch ganz gut ist, daß Papa keinen Urlaub hat. Als wir gestern bei Alice waren, saß nun Papa hinterm Haus. Die Kinder waren auch draußen. Sie fragten ihn nach dem Klosett. Er hat es ihnen erklärt, sie haben es aber nicht gleich begriffen und schon wurde er hitzig. So ging es bei anderen Gelegenheiten noch ein paar Mal am Tag. Er fuhr die Kinder an, die heulten, da wurde er wieder wütend und mußte ihnen natürlich sagen, daß sie Heulsusen und Dickköpfe wären, so daß ich mich ein paar Mal einschalten mußte, um alle zu beruhigen. Am Morgen war es auch schon einmal so. Helga wollte die neuen Socken von Dir anziehen. Das erste Mal geht es immer streng. Da sie es nun nicht fertig bekam, fing Helga an zu heulen. Ich sagte: „Du mußt eben ein bißchen Geduld beim Anziehen haben“. Papa: „Die bekommt sie nie an.“ Ich: „Natürlich gehen sie an.“ Papa: „Ausgeschlossen, das sehe ich doch selber“. Ich: „Sie gehen aber an, ich weiß es doch von den anderen.“ Papa: „Mache mich doch nicht verrückt, die gehen nicht an, das mußt Du doch selber sehen.“ Inzwischen heulte natürlich Helga, von Papa unterstützt, weiter. Ich sage zur Helga, sie soll mit heulen aufhören, worauf Papa natürlich prompt antwortet: „Quäle sie doch nicht so, daß sieht doch jedes Kind, daß die Strümpfe niemals angehen.“ Da hatte es aber bei mir geschnappt, ich habe den Kram hingeschmissen und habe gesagt, dann soll sie eben barfuß gehen. Ich habe dann Helga auf den Balkon gerufen, wo Papa nicht war und siehe da, innerhalb 1 Minute hatte ich beide an. Da hat Papa nichts mehr gesagt. Wenn Papa den ganzen Tag da wäre, ginge das sicher öfter so. Da würde ich mich ja mehr aufregen. Am Abend ist er immer ganz friedlich, da kommen wir schon alle miteinander aus.
Die Hälfte des Urlaubs ist ja bei uns schon vorbei. Wir haben ja hier sehr viel gesehen und erlebt. Ich glaube, die Kinder werden noch oft davon sprechen, wenn wir erst wieder zu hause sind.
Heute will ich noch eine Karte an Dora schreiben, damit sie mir hinterher nicht wieder sagen kann, ich hätte auch etwas von mir hören lassen können, wenn ich in Leipzig war. Du weißt ja, wie sie damals bei Dir beleidigt war, wenn sie sich auch aus mir nicht so viel macht wie aus Dir.
Nachdem unsere beiden Banausen gestern so spät ins Bett gekommen sind, schlafen jetzt alle Beide über Mittag. Sie sind vorhin gerade am Tisch eingeschlafen. Es tut ihnen gut.
Jörg ist heute ganz glücklich, daß sein Geburtstag ist. Er strahlt die ganze Zeit und ab und zu verschwindet er heimlich in der Stube und holte wieder etwas von seinem Geburtstagstisch. Heute Morgen war er schon 1/2 6 munter und konnte es gar nicht mehr erwarten, bis er beschert bekam. Du, übrigens, Du glaubst gar nicht, wie sächsisch jetzt die Helga redet. Man könnte meinen, sie wäre hier geboren. Jörg dagegen hat noch nicht ein einziges Wort angenommen. Helga spricht genau in dem Tonfall wie sie hier reden. Es klingt manchmal schauderhaft. Ich hätte nicht geglaubt, daß man sich das so schnell angewöhnen kann. In Konstanz wird sie es sich ja schon wieder abgewöhnen.
Heute habe ich aber wirklich viel geschrieben, wenn auch alles wie Kraut und Rüben durcheinander steht. Aber Du wirst  schon draus klug werden. Ich hoffe es jedenfalls.
Sei nun für heute wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.