Donnerstag, 19. März 2020

Brief 856 vom 3.3.45


Du mein liebster Mann!                                                                                       3.3.45      

Diese Woche ist nun ganz herumgegangen, ohne daß ich eine Nachricht von Dir erhalten habe. Wenn ich wenigstens erst einmal wüßte, wie Du nach Leipzig gekommen bist. Es ist so quälend, garnichts zu wissen. Man muß immer sehen, wie man sich ablenkt, damit man nicht ins Grübeln kommt. Aber ich will dir ja nichts vorjammern, sondern ich will auch weiter warten. Ich sehe Dich ja immer noch mit uns zusammen sitzen, wie Du manchmal etwas vorgelesen hast. Oder wie Du mit uns am letzten Abend gesungen hast. Und ich sehe Dich immer wieder, wie wir auf dem Bahnhof standen und Du hieltest meine Hand. Auf dem Bahnsteig konnten wir noch kurz Abschied nehmen. Ich hatte immer Angst, daß Du auf dem Trittbrett ausrutschen würdest. Nun bewegen sich meine Gedanken immer um Dich und ich sehne mich nach Dir.  Wie ich dir schon schrieb, waren wir am Vormittag im Wald. Wir haben 1 ½ Sack Hauspäne und kleines Holz bekommen und sind sehr froh darüber.  Am Nachmittag waren wir in der Stadt. Unser Urlaubsfilm ist garnichts geworden. Das ist so schade. Den Film mit der Metallspule konnte ich gegen einen mit Holzspule umtauschen. Das war beim Bachschmidt. Beim Hepp habe ich dann auch einen Film erhalten.  Nun habe ich zwei filme da und während des Urlaubs konnten wir gar keinen bekommen.  Es ist manchmal verrückt.  Als Du fort fuhrst, hast du ja die Kinder gebeten, sich nicht mehr so viel zu zanken. Das hat einige Tage geholfen, aber dann wurde es wieder schlimm. Jörg kann es nicht lassen, Helga zu fuchsen, sie regt sich auf und wird gereizt. Wenn ich zu Jörg was sage, brüllt er auch los. Das  kann Helga wieder nicht hören, sie mischt sich ein, was ich ihr schon oft verboten habe. Ich werde ja schließlich allein fertig. Helga hat natürlich auch ihre Fehler und so ist der Krach fertig. Ich habe die Kinder oft vermahnt. Nun ist mir heute die Geduld gerissen.  Es hat Wichse gegeben. Als Jörg ein großes Theater machen wollte, habe ich ihm den Mund zugehalten. Es ist ja jetzt bös auf mich, aber ich konnte nichts anderes tun.  Meinst Du nicht auch? Ich kann mich doch nicht anschreien lassen. Es tut mir richtig weh, wenn ich so hart sein muß, das kannst Du mir glauben. Aber ich muß durchgreifen, da hilft alles nichts,. Was lustiges muß ich Fir aber auch schreiben. Du hast doch hier mal gesungen:“Und da saß ich mit de Emma uff de Banke“ usw. Jetzt singt Jörg immer „Gegenüber zog sich Eener aus zum Baden“ (Mutterle, kennst Du‘s weiter? „Nein“ mhmhmh.....“und de Emma sagte traut, bist ooch so schen gebaut mhmh...“ Ich sage Dir, das klingt wunderbar. Heute war es aber kalt. 6 Grad unter 0 hatten wir heute Morgen. Bei Tag hat es öfter geschneit. Man ist das jetzt garnicht mehr gewöhnt.  Ich lese jetzt ein Buch „Anna, das Mädchen aus Dalarm“ von Lagerlöf. Da kommt solch ein scheinheiliges , boshaftes und hinterhältiges Frauenzimmer vor wie es Frau Junghans bei uns war. Mit genau so glatten worten schleicht sie sich in die Ehe ein, ist nirgends zu packen und kann dem Mann genau so schön tun und ihn übertölpeln wie Frau J. Mein ganzer Haß ist von neuem aufgelodert.  Heute habe ich gelesen, daß es ab 15.3. beim Gauggel Samen zu kaufen gibt. Da werde ich gleich hingehen. Bis jetzt war es ja schon so warm wie im Frühling und man dachte an die Gartenarbeit. Heute nun kam der Rückschlag, daß es sogar schneite. 4.3. Sonntag  Am Vormittag hatten wir wieder Alarm. viele Flieger kamen vorbei. Wo hin werdne sie wohl geflogen sein? Inzwischen haben wir nun gegessen. gerade ist Ingrid zum spielen gekommen. Sie hat wieder ein altes Kleid bei ihrer Mutter aufgestöbert. Nun geht es wieder ans Verkleiden. Helga ist ein Fräulein von früher. Sie hat einen langen weißen Leinenrock, eine Bluse mit Gürtel und eine schwarze Mütze an. Die Haare sind in Hochfrisur gelegt. Sie sieht wirklich echt aus.  Ingrid hat ein rosa kleidchen und eine riesige Haarschleife an. Das spielen mit dem Verkleiden ist ihnen doch ein riesiger Spaß. Jörg hat sich seine Kaserne rausgeholgt und spielt nun friedlich. natürlich geht es ohne basteln nicht ab. Da mußten Laufbretter und Fahnen ausgeschnitten werden .Mit dem Spielzeug an und für sich kann er nichts tun.  Inzwischen ist es nun Abend geworden. Die Kinder sind vorhin ins Bett gegangen. Am Nachmittag hatten wir noch Quartett und „Mensch hau ab“ gespielt. Gegen 6 Uhr ist Ingrid heim gegangen. Nach dem Essen habe ich noch ein bißchen gelesen, die Kinder haben gespielt. Nun gehe ich auch schlafen und hoffe, daß ich von Dir träume.  Schlaf Du auch gut, mein lieber Schatz, und wach ganz gesund wieder auf. Laß Dich recht herzlich grüßen und oft, oft innig küssen von 

Deiner Annie.

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