Mein liebster Ernst
! 30.11.44
Voller Reue muß ich
wirklich sagen, daß Du armer Kerl bei meinem Schaffen mit Briefen zu kurz
kommst. Gestern Abend habe ich nicht an Dich geschrieben. Ich habe wieder bis um 12 Uhr genäht. Diemal
an Jörg seiner Hose. Sie ist aus dem Oberstoff, wo ich den Unterstoff für einen
Lodenmantel für Jörg verwendet habe. Weißt Du‘s? Heute Morgen hatte ich nur
noch die Knopflöcher zu machen. Du wirst sagen, warum schaffst Du so toll
hintereinander. Ja, weißt Du, ich habe jetzt mal eine richtige Arbeitsfreude.
Un da gelingt mir auch alles richtig. Vielleicht geht es Dir manchmal genau so.
Heute Nachmittag gehen wir alle Drei zusammen in die Stadt. Wir schauen wieder
wegen Schuhen, ob wir welche bekommen. Dann holen wir den Schein für Mist, den
wir am Montag holen sollen. Außerdem holen wir das Geld. Ich habe heute den
Gehaltszettel für 3 Monate bekommen. Es wird doch jetzt vierteljährlich
abgerechnet. Der Zettel sieht folgendermaßen aus: Okt. 841,02 Lohnsteuer 37,40 Miete 113,10 WHW 3,80 Vorschußzahlung Okt. 220, „ Nov. 220, 504,30 sind verfügbar
30.11.44
Jörg geht ja heute
besonders gern mit, da er seine neue Hose anziehen kann. Um 6 Uhr müssen wir
Vater von der Bahn abholen. Es ist nach St.
gefahren. Wahrscheinlich bringt er Äpfel mit. Ich schreibe dies morgen
ausführlicher. Jetzt ist mir die Zeit
ein bißl kurz, denn es ist schon 2 Uhr. Am Vormittag hatte ich noch Wäsche
eingeweicht. Da ist die Zeit so schnell vergangen. Laß Dich nun recht herzlich
grüßen und küssen von Deiner Annie. Mein liebster, bester Ernst! 1.Dez. 44 111 Gestern hatte ich Dir bereits
mittags geschrieben, heute ist es wieder Abend geworden, ehe ich dazu kam. Gestern Nachmittag waren wir alle in dr Stadt.
Schuhe haben wir keine bekommen. Nur bezahlt haben wir verschiedenes, den Mist
und die Kirchensteuer. Dann haben wir vor allem auch Geld geholt und unsere
Bücher in der Leihbücherei umgetauscht.
Den Dir, unser Radio tut nicht mehr. Ob es Röhren sind? Der
Vorschaltwiderstand ist es scheinbar nicht, der ist noch ganz. Wir wollwn den
Apparat schon wegschaffen, aber einige Geschäfte reparieren keine ausländischen
Apparate und der Andres nimmt wegen Arbeitsüberhäufung z.Zt. keine Reparaturen
an. Also müssen wir uns eben so behelfen. Es geht auch. Wir wollen froh sein,
daß wir überhaupt noch daheim sein können, das ist ein großes Glück und dann
haben wir ja auch noch unsere Bücher, wo wir lesen können. Du hast ja auch kein
Radio und es muß auch gehen. Um 6 Uhr
haben wir Vater vom Bahnhof abgeholt. Er hatte 2 Rucksäcke und einen Korb ,
sowie seine Tasche voll Äpfel. Wir haben ihm mitgetragen bis heim. Als wir dann
fort gingen, hätten die ja die Kinder gar zu gern einen Apfel gehabt. Aber er
hat keinen gegeben, denn er wiegt doch erst alles nochmals nach. Dann sollen
wir ja sowieso welche davon erhalten.
Heute hatte ich große Wäsche. Nebenbei, wenn gerade nichts zu tun war,
habe ich noch den Keller und den Vorraum aufgeräumt. Helga war am Nachmittag
Turnen. Als wie heim kam, haben wir gebadet. Um 8 Uhr waren wir fertig. Dann
haben wir Abendbrot gegessen und hinterher sind die Kinder gleich ins Bett
gegangen, denn sie waren sehr müd. Mit geht es jetzt genau so. Ein Bad macht
müd, aber es ist wunderbar. Schade, daß das Hallenbad nicht auf ist, ich würde
zu gern wieder einmal richtig schwimmen. Ich glaube ja, Du würdest es genau so
gern tun. Wir wollen aber unsere Wünsche etwas beschränken. Das Grollen der
Geschütze an der Front erinnert uns hier immer wieder daran froh zu sein, daß
wir noch daheim sein dürfen. Wie viele haben schon jetzt wieder fort müssen,
bei denen die Front nahe gerückt ist.
Heute haben wir die Adventskalender wieder hervorgesucht und das erste
Fensterchen ist geöffnet worden. Es ist der Kalender dabei, den wir Dir voriges
Jahr geschickt hatten. Dieses Jahr hast Du doch keinen brauchen können, wenn Du
mit mehreren Kameraden zusammen bist, nicht wahr? Nun laß mich wieder schließen. Bleib immer gesund, mein liebster
Ernst, und laß Dich grüßen und fest, fest küssen von
Deiner Annie.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen