Donnerstag, 19. März 2020

Brief 837 vom 30.11.44


Mein liebster Ernst !                                                                                             30.11.44        

Voller Reue muß ich wirklich sagen, daß Du armer Kerl bei meinem Schaffen mit Briefen zu kurz kommst. Gestern Abend habe ich nicht an Dich geschrieben.  Ich habe wieder bis um 12 Uhr genäht. Diemal an Jörg seiner Hose. Sie ist aus dem Oberstoff, wo ich den Unterstoff für einen Lodenmantel für Jörg verwendet habe. Weißt Du‘s? Heute Morgen hatte ich nur noch die Knopflöcher zu machen. Du wirst sagen, warum schaffst Du so toll hintereinander. Ja, weißt Du, ich habe jetzt mal eine richtige Arbeitsfreude. Un da gelingt mir auch alles richtig. Vielleicht geht es Dir manchmal genau so. Heute Nachmittag gehen wir alle Drei zusammen in die Stadt. Wir schauen wieder wegen Schuhen, ob wir welche bekommen. Dann holen wir den Schein für Mist, den wir am Montag holen sollen. Außerdem holen wir das Geld. Ich habe heute den Gehaltszettel für 3 Monate bekommen. Es wird doch jetzt vierteljährlich abgerechnet. Der Zettel sieht folgendermaßen aus: Okt. 841,02 Lohnsteuer                  37,40 Miete                      113,10 WHW                       3,80 Vorschußzahlung Okt.         220,               Nov.         220, 504,30 sind verfügbar

                                                                                                                            30.11.44                      

Jörg geht ja heute besonders gern mit, da er seine neue Hose anziehen kann. Um 6 Uhr müssen wir Vater von der Bahn abholen. Es ist nach St.  gefahren. Wahrscheinlich bringt er Äpfel mit. Ich schreibe dies morgen ausführlicher.  Jetzt ist mir die Zeit ein bißl kurz, denn es ist schon 2 Uhr. Am Vormittag hatte ich noch Wäsche eingeweicht. Da ist die Zeit so schnell vergangen. Laß Dich nun recht herzlich grüßen und küssen von Deiner Annie. Mein liebster, bester Ernst!            1.Dez. 44         111 Gestern hatte ich Dir bereits mittags geschrieben, heute ist es wieder Abend geworden, ehe ich dazu kam.  Gestern Nachmittag waren wir alle in dr Stadt. Schuhe haben wir keine bekommen. Nur bezahlt haben wir verschiedenes, den Mist und die Kirchensteuer. Dann haben wir vor allem auch Geld geholt und unsere Bücher in der Leihbücherei umgetauscht.  Den Dir, unser Radio tut nicht mehr. Ob es Röhren sind? Der Vorschaltwiderstand ist es scheinbar nicht, der ist noch ganz. Wir wollwn den Apparat schon wegschaffen, aber einige Geschäfte reparieren keine ausländischen Apparate und der Andres nimmt wegen Arbeitsüberhäufung z.Zt. keine Reparaturen an. Also müssen wir uns eben so behelfen. Es geht auch. Wir wollen froh sein, daß wir überhaupt noch daheim sein können, das ist ein großes Glück und dann haben wir ja auch noch unsere Bücher, wo wir lesen können. Du hast ja auch kein Radio und es muß auch gehen.  Um 6 Uhr haben wir Vater vom Bahnhof abgeholt. Er hatte 2 Rucksäcke und einen Korb , sowie seine Tasche voll Äpfel. Wir haben ihm mitgetragen bis heim. Als wir dann fort gingen, hätten die ja die Kinder gar zu gern einen Apfel gehabt. Aber er hat keinen gegeben, denn er wiegt doch erst alles nochmals nach. Dann sollen wir ja sowieso welche davon erhalten.  Heute hatte ich große Wäsche. Nebenbei, wenn gerade nichts zu tun war, habe ich noch den Keller und den Vorraum aufgeräumt. Helga war am Nachmittag Turnen. Als wie heim kam, haben wir gebadet. Um 8 Uhr waren wir fertig. Dann haben wir Abendbrot gegessen und hinterher sind die Kinder gleich ins Bett gegangen, denn sie waren sehr müd. Mit geht es jetzt genau so. Ein Bad macht müd, aber es ist wunderbar. Schade, daß das Hallenbad nicht auf ist, ich würde zu gern wieder einmal richtig schwimmen. Ich glaube ja, Du würdest es genau so gern tun. Wir wollen aber unsere Wünsche etwas beschränken. Das Grollen der Geschütze an der Front erinnert uns hier immer wieder daran froh zu sein, daß wir noch daheim sein dürfen. Wie viele haben schon jetzt wieder fort müssen, bei denen die Front nahe gerückt ist.  Heute haben wir die Adventskalender wieder hervorgesucht und das erste Fensterchen ist geöffnet worden. Es ist der Kalender dabei, den wir Dir voriges Jahr geschickt hatten. Dieses Jahr hast Du doch keinen brauchen können, wenn Du mit mehreren Kameraden zusammen bist, nicht wahr?  Nun laß mich wieder schließen. Bleib immer gesund, mein liebster Ernst, und laß Dich grüßen und fest, fest küssen von 

Deiner Annie.

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