Donnerstag, 19. März 2020

Brief 842 vom 8.12.44


Mein liebster Ernst!                                                                                           8.12.44    

 Ich glaube, auch diese Woche vergeht, ohne daß ich eine Nachricht von Dir erhalte. Freitag ist es ja schon. Wenn ich nur wüßte, ob es wahr ist, was Resi sagt, daß viele, deren Männer dort in Deiner Nähe sind, keine Nachricht haben. Ich mache mir doch gedanken, ob Du gesund bist und wie es Dir geht. Hoffentlich ist alles gut. GEstern war ich beim Zahnarzt. Es war nur wieder die Plombe einzusetzen, die rausgegangen war. Ich bin schon wieder fertig. Am Nachmittag habe ich mit Helga das WAschhaus geputzt. Am Abend kamen noch welche von der NSV wegen Schlafgelegenheit für Flüchtlinge. Wir müssen im Notfall unser Wohnzimmer abgeben. Ich habe gesagt, sie sollen aber auch alles in der Seestraße erst belegen, ehe wir uns noch mehr einschränken müssen. Darauf sagten sie, da würde  jetzt auch alles beschlagnahmt. Ich werde ja im Nähen hören, obs wahr ist. Vorher nehmen wir auch niemand, wenns wirklich wahr ist, dann natürlich schon. Man kann ja die Flüchtlinge schließlich nicht auf der Straße liegen lassen. Aber erst sollen die dran kommen, die viel überflüssigen Raum haben. Alles wäre nicht so schlimm, wenn nicht Jeder durch die Küche müßte.  Aber so .... Denk Dir Ernst, Jubel über Jubel, heute ist der Briefträger erst nachmittags gekommen und hat mir 4 Briefe von Dir gebracht, vier Briefe. Ich freue mich, ich freu mich mächtig. Helga habe ich schon vor Freude gekniffen und wie sie sagte, „halb zu Tod gekitzelt“. Ich freue mich aber auch zu sehr. Es sind Deine Briefe 116 v. 15.11., 117 v. 16.11., 119 vom 18.11 und 120 wahrscheinlich vom 19.11. Beim Datum war der Brief zugeklebt. Zum beantworten komme ich jetzt nicht mehr, da ich noch in die Stadt muß und an meinem Rad kein Licht ist.  Von Siegfried erhielt ich einen Brief vom 8.11. Er war also 1 Monat unterwegs. Er schreibt, daß er an Erna für mich ein Einkaufsnetz geschickt hat. An mich direkt hat er zwei Pullover für Helga und 1 Paar Seidenstrümpfe für mich geschickt. Ich bin gespannt, ob alles ankommt. Ich habe dieses Jahr garnichts zum wegschicken nach Leipzig.Zum etwas arbeiten bin ich nicht gekommen und kaufen kann man nichts. Siegfried hat auch noch eine Unterjacke für mich geschickt, das hatte ich ganz vergessen. Die 50 Mk für Jörg sind noch nicht angekommen, trotzdem sie fast so lange weggeschickt sind wie die für Helga.  Doch nun muß ich fortfahren. Sonst wird es zu spät. Ich danke Dir noch vielmals für Deine lieben, lieben Briefe. Ich beantworte sie mit dem nächsten Brief.  Für heute grüße und küsse ich Dich und drücke Dich ganz fest ab, Deine ganz frohe 

Annie.

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