Mein liebster
Ernst! 8.12.44
Ich glaube, auch diese Woche vergeht, ohne
daß ich eine Nachricht von Dir erhalte. Freitag ist es ja schon. Wenn ich nur
wüßte, ob es wahr ist, was Resi sagt, daß viele, deren Männer dort in Deiner
Nähe sind, keine Nachricht haben. Ich mache mir doch gedanken, ob Du gesund
bist und wie es Dir geht. Hoffentlich ist alles gut. GEstern war ich beim
Zahnarzt. Es war nur wieder die Plombe einzusetzen, die rausgegangen war. Ich
bin schon wieder fertig. Am Nachmittag habe ich mit Helga das WAschhaus
geputzt. Am Abend kamen noch welche von der NSV wegen Schlafgelegenheit für
Flüchtlinge. Wir müssen im Notfall unser Wohnzimmer abgeben. Ich habe gesagt,
sie sollen aber auch alles in der Seestraße erst belegen, ehe wir uns noch mehr
einschränken müssen. Darauf sagten sie, da würde jetzt auch alles beschlagnahmt. Ich werde ja im Nähen hören, obs
wahr ist. Vorher nehmen wir auch niemand, wenns wirklich wahr ist, dann
natürlich schon. Man kann ja die Flüchtlinge schließlich nicht auf der Straße
liegen lassen. Aber erst sollen die dran kommen, die viel überflüssigen Raum
haben. Alles wäre nicht so schlimm, wenn nicht Jeder durch die Küche
müßte. Aber so .... Denk Dir Ernst,
Jubel über Jubel, heute ist der Briefträger erst nachmittags gekommen und hat
mir 4 Briefe von Dir gebracht, vier Briefe. Ich freue mich, ich freu mich
mächtig. Helga habe ich schon vor Freude gekniffen und wie sie sagte, „halb zu
Tod gekitzelt“. Ich freue mich aber auch zu sehr. Es sind Deine Briefe 116 v.
15.11., 117 v. 16.11., 119 vom 18.11 und 120 wahrscheinlich vom 19.11. Beim
Datum war der Brief zugeklebt. Zum beantworten komme ich jetzt nicht mehr, da
ich noch in die Stadt muß und an meinem Rad kein Licht ist. Von Siegfried erhielt ich einen Brief vom
8.11. Er war also 1 Monat unterwegs. Er schreibt, daß er an Erna für mich ein Einkaufsnetz
geschickt hat. An mich direkt hat er zwei Pullover für Helga und 1 Paar
Seidenstrümpfe für mich geschickt. Ich bin gespannt, ob alles ankommt. Ich habe
dieses Jahr garnichts zum wegschicken nach Leipzig.Zum etwas arbeiten bin ich
nicht gekommen und kaufen kann man nichts. Siegfried hat auch noch eine
Unterjacke für mich geschickt, das hatte ich ganz vergessen. Die 50 Mk für Jörg
sind noch nicht angekommen, trotzdem sie fast so lange weggeschickt sind wie
die für Helga. Doch nun muß ich
fortfahren. Sonst wird es zu spät. Ich danke Dir noch vielmals für Deine
lieben, lieben Briefe. Ich beantworte sie mit dem nächsten Brief. Für heute grüße und küsse ich Dich und
drücke Dich ganz fest ab, Deine ganz frohe
Annie.
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