Mein allerliebster Ernst! 18.3.45
Eigentlich wollte
ich gestern Abend noch schreiben, aber ich war dann so müd, daß ich überhaupt
nicht mehr konnte. Ich war ja am Morgen am Tabor, dann mit dem Rad bei Hegne
und am Nachmittag in der Stadt. Da läßt sich das schon verstehen. In der Stadt
habe ich ja das meiste von dem, war ich wollte, nicht bekommen. Aber es mützt
nichts, man muß doch immer wieder nachfragen.
Nun möchte ich noch Deine lieben Briefe fertig beantworten. Ich kann
garnicht begreifen, daß Papa das auf die Dauer aushält, wenn Lotte immer
jammert. Mama war doch gerade das Gegenteil und wenn sie sich ja einmal
erlaubte, über etwas zu klagen, da hat Papa gleich geschnauzt. Ich denke nur
daran, was mir Alice erzählte. Sie waren bei den Eltern in Mockau. Mama war es
nicht gut und sie bat, daß sie daheim bleiben dürfte. Papa war erbost, daß sie nicht mit spazieren gehen wollte und
sagte: Was hast Du denn dauernd. Wenn Du überhaupt nichts vertragen kannst,
dann stirb lieber.“ Mama hat ihn nur groß angeschaut und ist raus gegangen.
Draußen hat sie geweint und Alice hat Papa dann Vorwürfe gemacht. Er hat ja
nachher eingesehen, daß er Unrecht hatte. Aber Lotte ist so viel jünger und
jammert ihm jetzt dauernd die Ohren voll. Die Verbindung zwischen Leipzig und konstanz
ist scheinbar nach beiden Richtungen hin nicht besonders gut, denn auch wir
mußten ja lang auf Nachricht von Dir warten. Wie es scheint, wird aber Feldpost
schneller befördert. Hoffentlich hast Du nicht mehr so lange auf Nachricht
warten müssen. Es hat mich
interessiert, daß sich der Hans Krall hat ferntrauen lassen. Ich habe garnicht
gedacht, daß das auch in der Gefangenschaft geht Du bist ein lieber Kerl, daß Du sogar an meine Taschentücher
gedacht und mir ein halbes Dutzend gekauft hast. Wie bist Du dazu bekommen ohne
Punkte? Jedenfalls danke ich Dir recht sehr dafür. Wieso bist Du eigentlich
länger in Hamburg geblieben? Ich
dachte, es wär garnicht anders gegangen. Un hättest Du schon eher forfahren
können? Unsere Stadt ist jetzt wirklich
eine richtige Lazarettstadt geworden. Alle Hotels, die Krone, Hecht usw. sind
Lazarette, eins für Augenverletzte, das ander für Amputierte, das dritte für
Nervensachen. Und so geht es weiter. Auch die Schulensind als Lazarette
eingerichtet. Unterwegs sieht man auch viele verwundete Soldaten. Jetzt kommen hier öfter die großen schweizer
Lazarettwagen und Lastwagen durch. Sie holen die Schweizer aus dem Reich nach
der Schweiz. Die Autos haben weiße Planen mit eienm großen schweizer Kreuz
darauf. Es fährt immer eine ganze Kolonne zusammen. Heute Nachmittag wil Helga mit Ingrid und ihrer Schulfreundin
Hilde Zeller ins kino gehen. Der Meineidbauer wird gespielt. Mich hat Resi
gefragt, ob ich nicht ein bißchen zu ihr hinkommen will. Jörg geht vielleicht
mit. Laß mich nun wieder schließen. Ich
grüße und küsse Dich recht herzlich
Deine Annie.
Liebes Vaterle, denke Dir, ich
gehe heute mittag mit der Ingrid und Hilde ins Kino. „Der Meineidbauer“ wird
gespielt. Die Hauptsache ist, daß wir rein kommen. ABer es wird schon klappen.
Viele Grüße und tausend Küsse von Deiner Helga.
Liebers Vaterle! Da Helga heute
nachmittag ins Kino geht, gehe ich mit Mutterle zu Tante Resi, sonst bin ich so
allein daheim. Viele Grüße und 1000.000.000.000.000 Küsse von Deinem Jörg.
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