Mein allerbester
Ernst! 10.3.45
Nun habe ich wieder
Ruhe. Ich hatte ja die ganze Nacht und am Morgen solch Zahnweh. Der Beck hat
dann am Zahn und am Zahnfleisch mit einem Häkchen herumgefahren. Das hat
schrecklich weh getan. Er meinte dann, eine Betäubung hätte bei dem Zahn keinen
Wert. Er hat nur das Zahnfleisch eingepinselt, aber das hat trotzdem weh getan.
Nun hat er den Zahn gezogen. Das hat auch nicht gerade gut getan. Er zeigte sich, daß an der Wurzel ein
richtiger Eiterbeutel hing und der Beck meinte, daß er schon glaubte, daß ich
da Schmerzen hatte. Es wäre auch auch gut gewesen, daß er keine Einspritzung
gemacht hat. Nun habe ich den Quälgeist los.
(unleserlich) eine Quarkstolle und 7 Brötchen. Diesmal habe ich im
Kohlenherd gebacken und es ist ganz gut gegangen. Wie froh bin ich, daß ich den
guten Ofen habe. Jörg war am Nachmittag
im Dienst, Helga von 4 6 Uhr in der
Schule. Zum ersten Mal, daß sie am Samstag Nachmittag Unterricht hatten. Vater hat mir gestern die lange schmale
Roßhaarmatratze gegeben, die er noch im Keller hatte. Ich beziehe sie und mache
davon eine Rückwand fürs Sofa, weißt Du, unterm Fenster lang. Da zieht es dann nicht mehr und man kann sich
gut anlehnen. Heute traf ich Frau Uhink. Als ich sie auch nach ihrem Mann
fragte, fing sie an zu weinen. Sie hat seit 4 Monaten keine Nachricht von ihm.
Er war in Holland auf Vlissingen. Dort ist scheinbar alles überschwemmt worden
und was aus der Einheit ihres Mannes geworden ist, weiß man noch nicht. Frau
Uhink meinte, das WArten mache einen ganz mürbe. Damit hat si ja nur zu recht.
Ich habe ja im vergangenen Jahr auch 7 Wochen auf Nachricht gewartet und kenne
das Warten daher auch ein wenig. Wenn man so wartet, möchte man am liebsten
eine langen Schlaf tun und dann so erwachen, wie es in einem Lied von Reuter
heißt, das Papa früher sang und an welches ich jetzt im Nähen erinnert wurde:
Ich möcht erwachen im Sonnenschein und es müßt alles wie früher sein keine Not
und Elend keine Müh und Plage, die Leute müßten verwundert fragen hast lange geschlafen,
hast viel versäumt Du sprachst vom Kriege, Du hast geträumt. 11.3. Es ist nun wieder Sonntag Abend. Der
Tag ist ruhig vorbei gegangen. Am vormittag gab es die übliche Arbeit.
Nachmittags habe ich gestopft und zwischendurch immer wieder gebügelt. Ich muß
ja jetzt die Eisen auf dem Herd heiß machen, da geht es lagsamer. An den
anderen Tagen brauche ich früh den Herd zum kochen, nachmittags bin ich meist
nich da. Entweder ich bin beim nähen , oder ich muß einkaufen gehen. So muß ich
diese Arbeit mit auf den Sonntag verschieben.
Ingrid erschien wieder pünktlich am Nachmittag zum spielen. Sie blieb
bis ½ 7 Uhr hier. Erst haben die Kinder mit den Puppen gespielt und Jörg mit
seinen Soldaten, später spielten sie Mühle und Schwarzer Peter. Ingrid war zwei
Mal der schwarze Peter, was unseren Beiden ungeheures Ve rgnügen bereitete.
Nachdem Ingrid nun heim gegangen war, haben wir Abendbrot gegessen. Es gab eine
Suppe und hinterher einige Brote.
Morgen früh haben wir ja nochmals Kuchen, da freuen wir uns alle
drauf. Die Matratze von Vater habe ich
heute auch bezogen. Sie steht nun auf dem Sofa unterm Fenster. Die Kinder haben
es ausprobiert und sagen, es ließe sich jetzt viel besser auf dem Sofa sitzen.
Da muß es doch wahr sein, nicht wahr?
Von Jörg schicke ich Dir heute 2 Veilchen mit, die er mir mit den Worten
„ein erster Frühlingsgruß“ brachte. Außerdem noch ein Buchzeichen. Es ist aus
Klebpapier von einem Spiel zusammengesetzt. Jörg hofft, daß Du Dich über alles
freust. Mir hat Jörg die ersten Gänseblümchen gebracht. In dieser Beziehung ist
er sehr aufmerksam. Ich weiß ja nicht,
ob ich Dich mit meinen Gedanken noch in Leipzig suchen kann. Auf jeden Fall
hoffe ich, daß es Dir gut geht und daß Du gesund bist. Das ist mein großer
Wunsch für Dich. Ich mache nun für
heute wieder Schluß und gehe schlafen. Dich, mein liebsterErnst grüße und küsse
ich von ganzem Herzen.
Deine Annie.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen