Donnerstag, 19. März 2020

Brief 847 vom 19.12.44


Mein liebster Ernst!                                                                                                 19.12.44         

 Nun haben wir auch unseren Weihnachtsbaum, wenn auch nur einen ganz kleinen. Diesmal gab es keinen großen Baumverkauf. Etliche wurden ja verkauft, aber wir haben es nicht mal gewußt. Außerdem sollen sich die Leute furchtbar drum gedrängt haben. Wir und fast alle in unserer Straße haben kleine Bäumchen beim Gärtner Abt an der Ecke Schneckenburgstraße erhalten. Wir sind ja froh, daß wir überhaupt einen haben. Sonst hätte ich einen großen Adeventskranz gemacht.  Gestern habe ich meinen Verdienst für November erhalten. Es waren 19,36 Mk und 2,75 für Jacken, die ich schon vor einigen Tagen bekam.  Einen Nachzügler Deiner Briefe erhielt ich wieder. Er ist vom 14.11. Nr. 115. Jetzt kommen all die Briefe an, die einmal 14 Tage lang ausgeblieben waren.  Du mußt natürlich wieder spotten, wenn Du schreibst, Du könntest Dich mit Deinem grauen Kopf garnicht mit uns sehen lassen, sonst meinten die Leute, Du gingst mit Deinen Töchtern spazieren. Du weiß ja, daß ich auch älter werde. Die Jahre gehen eben doch nicht spurlos an einem vorüber, Kriegsjahre ganz besonders. Es ist ja schade, daß wir so lange, schöne Jahre nicht zusammen sein können. Aber wenn wir uns nur alle gesund wieder sehen, so wollen wir wohl froh sein.  Es macht mich froh, daß Du bei meinen Schreiben immer weißt, was und wie ich es sagen will, auch wenn ich es manchmal nicht so ausdrücken kann, wie ich es möchte. Dafür bist Du ja auch mein lieber Ernst, der mich kennt.  Morgen ist der vorletzte Schultag für die Kinder. Am Freitag beginnen die Ferien. Wie im Nähen haben auch bis 2 Januar frei. Morgen haben die Kinder nur 3 Stunden Schule, da die Lehrer und Lehrerinnen zum schanzen müssen. Wahrscheinlich wird es am Donnerstag wieder so sein.  Morgen muß ich auch Weihnachtsgrüße an Papa, Erna, Elsa und Frau Diez schreiben. Frau Diez hat für Jörg 1 kl. Päckchen (Brief) mit Gebäck und 5 Mk(für Jörg) geschickt. Ich habe übrigens für Jörg noch 2 Unterhosen, für Helga 1 Trikothemd kaufen können. Das hat mich gefreut.  Habe ich Dir eigentlich einmal geschrieben, daß fast alle Geschäfte vormittags geschlossen sind? Am Vormittag stehen die Inhaber oder Verkäuferinnen im Kriegseinsatz, am Nachmittag verkaufen sie.  Gestern Abend hatte Helga noch ½ Pfund Puderzucker kaufen können, während ich im Nähen war. Da haben wir noch alles Kleingebäck nachträglich mit Guß überzogen. Helga hatte rosa, Jörg gelb, ich weiß. Diese Arbeit wurde mit Begeisterung getan, das kannst Du Dir sicher denken. Vor allem, da die Schüsseln hinterher ausgeleckt werden durften. Vorgestern hatten wir so lange Alarm, gestern habe ich bis gegen 12 Uhr geschafft, aber heute gehe ich einmal zeitig schlagen. Wenn auch die Weihnachtsarbeit noch nicht fertig ist, ich schlafe aber heute bald ein. Da komme ich auch nicht viel voran. Laß mich nun schließen. Behalte uns ganz lieb und sei recht herzlich gegrüßt und oft, recht oft geküßt von 

Deiner Annie.

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