Donnerstag, 19. März 2020

Brief 846 vom 15.12.44


 Mein liebster Ernst!                                                                                                   15.12.44         

Wieder erhielt ich zwei liebe Briefe von Dir, Nr. 125 und 128 vom 26. und 30.11. Ich freu mich ja immer so, wenn ich wieder liebe Grüße von Dir erhalte. Die zwei mitgesandte Gedichte gefallen mir sehr gut. Sie sind wirklich fein empfunden. Daß Du in der vergangenen Zeit nicht verbauert bist und Dich noch gute SAchen begeistern kannst, das habe ich auch so schon gewußt. Leicht wird es zwar nicht sein, sich in dem Leben da draußen das Gefühl für alles Schöne zu bewahren.  Ich kann Dir auch sagen, daß ich ebenso wie Du froh bin, wenn Weihnachten vorbei ist. Es ist eine schöne Zeit, wenn man zusammen ist. De sto schwerer sind diese Tage zu ertragen bei einer Trennung. aBer wir müssen auch wieder hindurch.  Wegen us mußt Du Dir keine Sorgen machen. Ich halte den Kopf hoch. Bis jetzt sind wir ja noch hier und es sieht auch nicht aus, als ob wir in der nächsten Zeit fort müßten. Sollte es doch sein, na dann würde ich auch nicht feiger sein als Tausende, die schon ihr Heim verlassen mußten. Und ich denke, daß mich die Kinder auch unterstützen würden, denn wir haben schon alles genau besprochen.  Wenn Jörg mit seinen Aufgaben auf mich gewartet hat, so war das eine Ausnahme. Und außerdem war so ein kleines bißchen Faulheit dabei. Wenn er sich angestrengt hätte, würde er es auch selber rausgebracht haben, wie die Aufgabe zu machen ist. Aber er hat eben gespielt, als ich fort war.  Da ich nun den zweiten Brief wieder durchlese, so muß ich immer wieder sagen, sorge Dich nicht zu viel um uns. Du schreibst, daß unsere Ge duld und unsere Kraft auf eine harte Probe gestellt wird. Da hast Du recht. Ab er ich glaube noch fest daran, daß sich alles für uns noch einmal zum Guten wendet. Der Führer wird uns sicher keine leeren Versprechungen machen. Sollte es aber doch nicht anders werden, so bleibt uns ja auch nur der Kampf bis zuletzt. Wir dürfen ja nicht in die Hände der Feinde fallen.  Ehe uns diese langsam verhungern lassen und sich vielleicht noch an uns und unseren Kindern vergreifen oder uns für immer trennen, ist ein Ende im Kampf noch besser. Aber, wie gesagt, die Hoffnung auf ein siegreiches Kriegsende hat mich noch nicht verlassen.  Nun muß ich Dir noch mit einer  ja ich muß schon sagen  Klage kommen.  Hätten wir nud nie die Sachen von Kurt bei Vater durchgesehen, ja hätten wir überhaupt nichts von ihm. Bei jeder Gelegenheit fragt Vater „ist das von Kurt? Wenn ich schreibe, heißt es „ist das Papier von Kurt? Ich sagte „ich glaube es nicht, denn wir haben selber Briefpapier genug. Du kannst ruhig mal welches mitnehmen“. Dann fragt er einmal „habt ihr von Kurt mullbinden mitgenommen, ich finde keine mehr“ Es könnte sich höchstens um den in Gummi eingenähten Notverband handeln. Aber den nimmt man doch nur im Notfall. Ich sagte, daß ich selber fast keine mehr habe. Später erinnerte ich mich, daß ich bei den Luftschutzsachen noch einige hatte. Als ich an einem Abend Jörg verband (er hatte 2 Furunkel) sagte Vater „jetzt hast Du ja wieder Binden?“ „Ja“ sagte ich“ aber die sind von meinem Vater, der hat mich bisher immer damit versorgt“. Gestern war Vater nun wieder da. Wir sprachen von der Einquartierung und Vater meinte, da müßte ich die Bücher aus dem Re gal ausräumen. Sonst kämen sie bloß weg. Ich sagte, ich könnte doch die Bücher nicht rausräumen, ich wüßte garnicht wohin. Va ter meinte, er würde sie evtl. mitnehmen. Nein, sagte ich, ich lese doch drin und außerdem können sie nicht gleich wegkommen, ich weiß doch was ich da habe. Wenn es anständige Leute sind, die einmal ein Buch lesen, ist es auch nicht so schlimm. Da verzog er wieder so spöttisch das Gesicht und sagte „Die Bücher, die Du von Kurt da hast, wirst Du wohl nicht alle kennen und wenn sie jemand liest, sauen sie sie nur ein. „ „Aha“ sagte ich „um die Bücher von Kurt handelt es sich. Bittschön, nimm sie mit. Wir haben auch so genug Bücher. Ich bin nicht darauf angewiesen.“ ER hat dann nichts mehr gesagt und ich dachte, ich will doch erst an Dich schreiben, denn es sind ja schließlich nicht meine Bücher. Du hast sie ja bekommen. Am liebsten wäre es mir freilich, ich könnte ihm alles, was wir von Kurt hier haben, zusammenpacken und sagen „bitte, da hast Du alles, es ist nichts mehr hier bei uns.“ Freilich weiß ich nicht, ob es auch im Sinn von Kurt wäre, denn unten werden die Sachen auch nicht besser. Eins bitte ich Dich, schreibe  n i c h t s  an Vater. Wenn du mir Anweisungen gibst, so regle ich das schon allein mit ihm. Ich möchte nicht so ein Verhältnis heraufbeschwören, wie es in Leipzig herrscht. Vater hat auch seine guten Seiten, das weiß Du ja und es ist manchmal mit auszukommen. Ich möchte nur wissen, wie ich mich in solchen Fällen verhalten soll, wie ich sie Dir oben geschildert habe. Beiliegenden Brief erhielt ich heute von der Frau Hofmann. Ich habe ihr Deine Adresse gegeben und hoffe, daß ich richtig gehandelt habe. Wieso weiß diese Frau, daß Du mit Jungednamtssachen zu tun hattest?  Heute habe ich eine kleine Stolle und Pfefferkuchen und Roggenplätzchen gebacken. Die letzeren sind mir diesmal auch gut gelungen, nachdem ich diesmal mehr Hirschhornsalz als angegeben und etwas Marmelade dazu getan habe. Beim ersten Mal waren sie etwas hart geworden und sahen so grau aus. Durcz die Marmelade haben sie nun eine appetitliche Farbe erhalten. Morgen backe ich noch eine kleine Stolle. Es ist jetzt schwierig, Hefe zu bekommen.  Diesmal ist der Brief lang geworden, wenn es auch nicht immer ganz erfreuliche Sachen sind, die ich zu berichten hatte.  Bleib auch weiterhin gesund und behalte uns lieb. Sei recht oft gegrüßt und ganz, ganz fest geküßt von 

Deiner Annie.

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