Mein liebster Ernst ! Konstanz, 16.7.44
Heute früh wollten
wir in die Wochenschau gehen. Es ist aber nichts draus geworden. Gerade als wir
bald beim Petershauser Bahnhof waren gab es Voralarm. Da man schon die Flieger
und auch das Schießen hörte, sind wir umgekehrt. Als wir daheim waren, kam
richtiger Alarm. ¼ 12 Uhr war dann Entwarnung. Ich habe dann Essen gekocht und
am Nachmittag habe ich wieder einmal verschiedene Briefe beantwortet. Ich lasse
das meist bis Sonntag liegen. Da habe ich etwas mehr Zeit dazu. Die Kinder haben zuerst in der Stube
gespielt, d.h. sie haben auf dem Sofa gelegen und gelesen. Als es dann mit
regnen aufhörte, sind sie noch eine Weile zum spielen auf die Straße gegangen.
Ich habe inzwischen ein paar Johannisbeeren fürs Abendbrot gepflückt. Es war ganz gut, daß es heute wieder einmal
geregnet hat. Sonst hätte man bald wieder gießen müssen. Verschiedenes hin schon
ganz lahm da. Vater war heute nicht da.
Am liebsten wär Jörg zu ihm runter gefahren und hätte ihm gedagt, daß wir
wieder unser Radio haben. Er möchte doch zu gern wissen, was Vater dazu sagt.
Er konnte es garnicht begreifen, daß ich sagte, das hätte doch alles Zeit.
Vater würde es schon noch hören. 17.7. Ich bin gestern Abend gleich mit den
Kindern schlafen gegangen. Es war aber auch schon gegen ½ 11 Uhr, denn die
Kinder bleiben jetzt in den Ferien meist etwas länger munter, da es ja auch
lange hell ist. Das Wetter ist heute wieder schöner. Aber der Platz unter dem
Baum ist noch etwas naß. Da können unsere 2 Lauser das Zelt noch nicht
aufbauen. Das betrübt sie sehr. Jörg ist gleich einmal runtergerannt und hat
die Erde angefaßt. Er meinte, sie sei garnicht so feucht wie sie aussieht. Ich
muß erst mal unterbrechen. Es ist Fliegeralarm. Es ist ½ 11 Uhr. Nach 11 Uhr war wieder Entwarnung. Vorhin sagte mir Frau Leimenstoll, daß Frau
Röpke die Tochter von Frau Waibel, der die kleine Gerda gestorben ist nun auch
ins Krankenhaus gekommen ist. Sie hat dieselbe Krankheit wie ihre Kinder. Sie
muß immer brechen und im Stuhlgang ist Blut. Die Ärzte wissen nicht, was es
ist. Der kleine Horstle von
Leimenstolls ist heute wegen eines Furunkels auch ins Krankenhaus gekommen. Der
Arzt hat gesagt, früher hätter man das nicht getan, aber in letzter Zeit seien
einige kleine Kinder daran gestorben. Darum gibt man jetzt doppelt acht. Jörg geht heute mit Ingrid ans Horn zum
baden. Helga hat vom Beeren essen etwas Durchfall. Da will sie lieber daheim
bleiben. Ich fahre am Nachmittag in die Stadt einkaufen. Auch heute erhielt ich
keine Post von Dir. Bleib recht gesund und laß Dich recht, recht oft grüßen ud
küssen von Deiner, immer an Dich denkenden, Annie.
Mein liebster Ernst! Konstanz, 18.7.44
Es vergeht ein Tag nach dem andern und es
kommt keine Post von Dir. Du bist mir doch nicht böse, wenn ich Dir sage, daß
mich das unruhig macht. Aber Du mußt keine Angst haben, ich werde nicht mutlos.
Sicher erlauben es die jetzigen Umstände nicht, daß Du schreiben kannst.
Vielleicht aber hast Du geschrieben und die Beförderung klappt bnur nicht so.
Ich hoffe jedenfalls, daß Du gesund bist, Du Lieber. Wir hatten heute wieder Alarm. In F. hat es wieder ziemlich gewummert.
Alle Fenster und Türen haben hier gezittert.
Gestern Nachmittag ist Helga doch noch zum baden gegange, während ich in
die Stadt gefahren bin. Es gab gestern die ersten neuen Kartoffel. 5 Pfund pro
Person hat man bekommen. Wir haben heute Mittag davon gekocht. Das war ein
Genuß. Am gestrigen Abend kam Vater
rauf. Er hat gestrahlt, als das Radio wieder ging. Er meinte, da sei es gleich
nicht mehr so still bei uns. Ich bin
heute mal ganz zeitig aufgestanden und habe gebügelt. Ich dachte, vielleicht
kommt wieder Alarm, da kommt man zu nichts. Und so war es dann ja auch. Der
Vormittag war da bald herum. Am Nachmittag haben wir wieder das Zelt aufgebaut.
Die Kinder waren erst eine Weile drin. Dann sind sie mal zum baden gefahren und
nun sind sie wieder unten. In unserem Garten kann sie ja niemand stören. Ich
habe wieder mal alle Luftschutz und eingemotteten Sachen nachgesehen, damit sie
mir nicht kaputt gehen. Dabei geht die Zeit herum. 19.7. Auch heute wieder keine Post von Dir. Es steckte etwas im Briefkasten
und ich bin schnell hinaus gelaufen. Da war es ein Brief von Papa. Die
Enttäuschung war groß. Wenn ich mich auch über einen Brief von Papa freue, so
warte ich doch nicht so drauf, wie auf einen Gruß von Dir. Aber ich muß eben
wieder auf morgen hoffen. Ich schreibe jetzt wieder, während wir Alarm haben.
Um 8 waren schon Flieger gemeldet, ½ 9 gab es Voralarm und gleich darauf Alarm.
Etwas richtiges kann man während dieser Zeit doch nicht schaffen. Meist muß man
Flieger achten. ½ 12 Uhr gab es Vorentwarnung,
jetzt ½ 1 Uhr haben wir erneut Alarm.
Aber ich glaube, jetzt sind die Flieger auf dem Rückflug. ¾ 1 Uhr haben wir Entwarnung. Bis jetzt war es doch immer so, daß Jörg
fast keine Bücher gelesen hat. Das ist anders geworden. Vor allem holt er sich
jetzt immer Grimms Märchen vor. Helga dagegen will jetzt bald wieder aus der
Bücherei austreten. Sie hat keine Lust mehr, sich immer Bücher zu holen. Es ist
ihr zu umständlich. Im übrigen ist Helga ein kleiner Invalide. Sie hat sich
gestern beim baden in den Fuß geschnitten. Es ist aber nicht schlimm. Jörg hat sich gestern so Blätter
mitgebracht, aus denen wir früher uns „Nasen“ gemacht haben. Eigentlich ist es
die Frucht vom Ahorn. Da hat sich Jörg Segelflugzeuge drausgemacht. Es sieht
ungefähr so aus: (Zeichnung) Vorn 2
Blätter, in der Mitte eine Stecknadel durchgesteckt. Hinten ein Blatt für breit
und dahinter eins hoch gesteckt. Es sieht wirklich nett aus. Ganz Geschwader
kann man sich da bauen. Heute
Nachmittag gehen wir sicher baden. Vielleicht an Wasserwerk. Heiß ist es ja
sehr. Lust habe ich ja nicht gerade, aber das baden tut doch gut. Man ist
wieder einmal richtig erfrischt. Vielleicht kommt bald ein Gewitter. Da kühlt
es sowieso. Laß mich jetzt schließen.
Ich hoffe, daß ich bald einen Brief von Dir bekomme und grüße und küsse Dicht
recht oft und fest Deine Annie.
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