Donnerstag, 19. März 2020

Brief 764 vom 16./18.7.1944


 Mein liebster Ernst !                                                               Konstanz, 16.7.44          

Heute früh wollten wir in die Wochenschau gehen. Es ist aber nichts draus geworden. Gerade als wir bald beim Petershauser Bahnhof waren gab es Voralarm. Da man schon die Flieger und auch das Schießen hörte, sind wir umgekehrt. Als wir daheim waren, kam richtiger Alarm. ¼ 12 Uhr war dann Entwarnung. Ich habe dann Essen gekocht und am Nachmittag habe ich wieder einmal verschiedene Briefe beantwortet. Ich lasse das meist bis Sonntag liegen. Da habe ich etwas mehr Zeit dazu.  Die Kinder haben zuerst in der Stube gespielt, d.h. sie haben auf dem Sofa gelegen und gelesen. Als es dann mit regnen aufhörte, sind sie noch eine Weile zum spielen auf die Straße gegangen. Ich habe inzwischen ein paar Johannisbeeren fürs Abendbrot gepflückt.  Es war ganz gut, daß es heute wieder einmal geregnet hat. Sonst hätte man bald wieder gießen müssen. Verschiedenes hin schon ganz lahm da.  Vater war heute nicht da. Am liebsten wär Jörg zu ihm runter gefahren und hätte ihm gedagt, daß wir wieder unser Radio haben. Er möchte doch zu gern wissen, was Vater dazu sagt. Er konnte es garnicht begreifen, daß ich sagte, das hätte doch alles Zeit. Vater würde es schon noch hören. 17.7. Ich bin gestern Abend gleich mit den Kindern schlafen gegangen. Es war aber auch schon gegen ½ 11 Uhr, denn die Kinder bleiben jetzt in den Ferien meist etwas länger munter, da es ja auch lange hell ist. Das Wetter ist heute wieder schöner. Aber der Platz unter dem Baum ist noch etwas naß. Da können unsere 2 Lauser das Zelt noch nicht aufbauen. Das betrübt sie sehr. Jörg ist gleich einmal runtergerannt und hat die Erde angefaßt. Er meinte, sie sei garnicht so feucht wie sie aussieht. Ich muß erst mal unterbrechen. Es ist Fliegeralarm. Es ist ½ 11 Uhr.  Nach 11 Uhr war wieder Entwarnung.  Vorhin sagte mir Frau Leimenstoll, daß Frau Röpke die Tochter von Frau Waibel, der die kleine Gerda gestorben ist nun auch ins Krankenhaus gekommen ist. Sie hat dieselbe Krankheit wie ihre Kinder. Sie muß immer brechen und im Stuhlgang ist Blut. Die Ärzte wissen nicht, was es ist.  Der kleine Horstle von Leimenstolls ist heute wegen eines Furunkels auch ins Krankenhaus gekommen. Der Arzt hat gesagt, früher hätter man das nicht getan, aber in letzter Zeit seien einige kleine Kinder daran gestorben. Darum gibt man jetzt doppelt acht.  Jörg geht heute mit Ingrid ans Horn zum baden. Helga hat vom Beeren essen etwas Durchfall. Da will sie lieber daheim bleiben. Ich fahre am Nachmittag in die Stadt einkaufen. Auch heute erhielt ich keine Post von Dir. Bleib recht gesund und laß Dich recht, recht oft grüßen ud küssen von Deiner, immer an Dich denkenden, Annie.


Mein liebster Ernst!                                                                Konstanz, 18.7.44            

 Es vergeht ein Tag nach dem andern und es kommt keine Post von Dir. Du bist mir doch nicht böse, wenn ich Dir sage, daß mich das unruhig macht. Aber Du mußt keine Angst haben, ich werde nicht mutlos. Sicher erlauben es die jetzigen Umstände nicht, daß Du schreiben kannst. Vielleicht aber hast Du geschrieben und die Beförderung klappt bnur nicht so. Ich hoffe jedenfalls, daß Du gesund bist, Du Lieber.  Wir hatten heute wieder Alarm. In F. hat es wieder ziemlich gewummert. Alle Fenster und Türen haben hier gezittert.  Gestern Nachmittag ist Helga doch noch zum baden gegange, während ich in die Stadt gefahren bin. Es gab gestern die ersten neuen Kartoffel. 5 Pfund pro Person hat man bekommen. Wir haben heute Mittag davon gekocht. Das war ein Genuß.  Am gestrigen Abend kam Vater rauf. Er hat gestrahlt, als das Radio wieder ging. Er meinte, da sei es gleich nicht mehr so still bei uns.  Ich bin heute mal ganz zeitig aufgestanden und habe gebügelt. Ich dachte, vielleicht kommt wieder Alarm, da kommt man zu nichts. Und so war es dann ja auch. Der Vormittag war da bald herum. Am Nachmittag haben wir wieder das Zelt aufgebaut. Die Kinder waren erst eine Weile drin. Dann sind sie mal zum baden gefahren und nun sind sie wieder unten. In unserem Garten kann sie ja niemand stören. Ich habe wieder mal alle Luftschutz und eingemotteten Sachen nachgesehen, damit sie mir nicht kaputt gehen. Dabei geht die Zeit herum.  19.7. Auch heute wieder keine Post von Dir. Es steckte etwas im Briefkasten und ich bin schnell hinaus gelaufen. Da war es ein Brief von Papa. Die Enttäuschung war groß. Wenn ich mich auch über einen Brief von Papa freue, so warte ich doch nicht so drauf, wie auf einen Gruß von Dir. Aber ich muß eben wieder auf morgen hoffen. Ich schreibe jetzt wieder, während wir Alarm haben. Um 8 waren schon Flieger gemeldet, ½ 9 gab es Voralarm und gleich darauf Alarm. Etwas richtiges kann man während dieser Zeit doch nicht schaffen. Meist muß man Flieger achten.  ½ 12 Uhr gab es Vorentwarnung, jetzt ½ 1 Uhr haben wir erneut Alarm.  Aber ich glaube, jetzt sind die Flieger auf dem Rückflug.  ¾ 1 Uhr haben wir Entwarnung.  Bis jetzt war es doch immer so, daß Jörg fast keine Bücher gelesen hat. Das ist anders geworden. Vor allem holt er sich jetzt immer Grimms Märchen vor. Helga dagegen will jetzt bald wieder aus der Bücherei austreten. Sie hat keine Lust mehr, sich immer Bücher zu holen. Es ist ihr zu umständlich. Im übrigen ist Helga ein kleiner Invalide. Sie hat sich gestern beim baden in den Fuß geschnitten. Es ist aber nicht schlimm.  Jörg hat sich gestern so Blätter mitgebracht, aus denen wir früher uns „Nasen“ gemacht haben. Eigentlich ist es die Frucht vom Ahorn. Da hat sich Jörg Segelflugzeuge drausgemacht. Es sieht ungefähr so aus:  (Zeichnung) Vorn 2 Blätter, in der Mitte eine Stecknadel durchgesteckt. Hinten ein Blatt für breit und dahinter eins hoch gesteckt. Es sieht wirklich nett aus. Ganz Geschwader kann man sich da bauen.  Heute Nachmittag gehen wir sicher baden. Vielleicht an Wasserwerk. Heiß ist es ja sehr. Lust habe ich ja nicht gerade, aber das baden tut doch gut. Man ist wieder einmal richtig erfrischt. Vielleicht kommt bald ein Gewitter. Da kühlt es sowieso.  Laß mich jetzt schließen. Ich hoffe, daß ich bald einen Brief von Dir bekomme und grüße und küsse Dicht recht oft und fest Deine Annie.

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