Donnerstag, 19. März 2020

Brief 820 vom 7.11.44


Liebster, bester Ernst !                                                                                                    7.11.44      

 Heute war ich wieder nähen. 5 Z. habe ich heute sogar fertig bekommen. Das macht scheinbar die Übung. Aber ich bin auch ein bißchen früher als sonst da gewesen. Es ist dort immer gemütlich warm, sodaß man gern schafft.  Vor einigen Tagen war hier ein großer Gefangenenaustausch. 5 Lazarettzüge mit Amerikanern suw. sind angekommen. Als unsere Gefangenen aus der Schweiz kamen, haben sie schlimm ausgesehen. Ich habe es heute gehört und die Lehrerin hat es bei Helga in der Klasse erzählt. Sie hat die Verwundeten im Bahnhof von der Frauenschaft aus mit empfangen. Sie sehen ganz heruntergekommen aus. Dabei waren sie halb verhungert.  Täglich 150g Brot und eine Wassersuppe, in der einzelne Kartoffelstückchen schwammen, das war ihr tägliches Essen. Dazu hat man ihnen noch alle Wertgegenstände, Uhren, Ringe usw. geraubt. Es muß unglaublich gewesen sein. Und wie gut verpflegen wir doch hier die Gefangenen. Wir sind wirklich viel zu gut. Die Gefangenen hier sehen nicht verhungert aus. Denen geht es so gut, daß sie jeden Tag frecher werden. O, man könnte manchmal eine Wut kriegen.  Heute war Jörg wieder auf dem Bann wegen einer Bescheinigung für eine lange Hose. Auf einma hat es heute dort geheißen, sie seien ja Jahrgang 34, sie brauchten den Winter über nicht in den Dienst kommen, nur Jahrgang 33. Sie sollten nächstes Jahr wiederkommen. Ist das nicht verrückt? Erst sind sie aufgenommen worden, waren mit auf Fahrt, sind die ganze Zeit in den Dienstgegangen und jetzt schickt man sie heim. Und nur wegen der langen Hose. Na, mir solls recht sein.  Zum schreiben an Dich ist Jörg auch wieder nur ein Stück gekommen. Sicher wird er morgen wieter schreiben.  Hoffentlich hast Du schon die zwei grünen Marken für die Weihnachtspäckchen weggeschickt und sie kommen auch an. Wenig kann man ja dieses Jahr nur schicken, entweder  1 Zweipfundpäckchen oder 2 Einpfundpäckchen. Das letztere wird fast besser sein. Wenn etwas verloren geht, ist nicht alles hin.  Siehst Du, nun bin ich schon wieder am Schluß meiner Weisheit. Da wird es am besten sein, ich höre auf, ehe ich Dir ganz langweiliges Zeug erzähle.  Ich grüße Dich oft und herzlich und gebe Dir eine ganze Menge fester Küsse. 

Deine Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen