Liebster, bester
Ernst ! 7.11.44
Heute war ich wieder nähen. 5 Z. habe ich
heute sogar fertig bekommen. Das macht scheinbar die Übung. Aber ich bin auch
ein bißchen früher als sonst da gewesen. Es ist dort immer gemütlich warm,
sodaß man gern schafft. Vor einigen
Tagen war hier ein großer Gefangenenaustausch. 5 Lazarettzüge mit Amerikanern
suw. sind angekommen. Als unsere Gefangenen aus der Schweiz kamen, haben sie
schlimm ausgesehen. Ich habe es heute gehört und die Lehrerin hat es bei Helga
in der Klasse erzählt. Sie hat die Verwundeten im Bahnhof von der Frauenschaft
aus mit empfangen. Sie sehen ganz heruntergekommen aus. Dabei waren sie halb
verhungert. Täglich 150g Brot und eine
Wassersuppe, in der einzelne Kartoffelstückchen schwammen, das war ihr
tägliches Essen. Dazu hat man ihnen noch alle Wertgegenstände, Uhren, Ringe
usw. geraubt. Es muß unglaublich gewesen sein. Und wie gut verpflegen wir doch
hier die Gefangenen. Wir sind wirklich viel zu gut. Die Gefangenen hier sehen
nicht verhungert aus. Denen geht es so gut, daß sie jeden Tag frecher werden.
O, man könnte manchmal eine Wut kriegen.
Heute war Jörg wieder auf dem Bann wegen einer Bescheinigung für eine
lange Hose. Auf einma hat es heute dort geheißen, sie seien ja Jahrgang 34, sie
brauchten den Winter über nicht in den Dienst kommen, nur Jahrgang 33. Sie
sollten nächstes Jahr wiederkommen. Ist das nicht verrückt? Erst sind sie
aufgenommen worden, waren mit auf Fahrt, sind die ganze Zeit in den
Dienstgegangen und jetzt schickt man sie heim. Und nur wegen der langen Hose.
Na, mir solls recht sein. Zum schreiben
an Dich ist Jörg auch wieder nur ein Stück gekommen. Sicher wird er morgen
wieter schreiben. Hoffentlich hast Du
schon die zwei grünen Marken für die Weihnachtspäckchen weggeschickt und sie
kommen auch an. Wenig kann man ja dieses Jahr nur schicken, entweder 1 Zweipfundpäckchen oder 2 Einpfundpäckchen.
Das letztere wird fast besser sein. Wenn etwas verloren geht, ist nicht alles
hin. Siehst Du, nun bin ich schon
wieder am Schluß meiner Weisheit. Da wird es am besten sein, ich höre auf, ehe
ich Dir ganz langweiliges Zeug erzähle.
Ich grüße Dich oft und herzlich und gebe Dir eine ganze Menge fester
Küsse.
Deine Annie.
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