Du mein allerliebster Ernst ! 22.2.45
Gestern war ziemlich
trübes Wetter und die Flieger sind nicht gekommen. Hoffentlich war es auch bei
Dir auf der Fahrt so, damit Du gut nach Leipzig gekommen bist. Ich habe ja
immer daran gedacht. Gestern Abend haben wir noch den Brief an Dich auf die
Post gebracht. Da hat es auch in der Fer ne so gewummert und mein Wunsch war
nur, daß Du überall gut durchkommst.
Als wir heim kamen, waren wir zum Umfallen müde, gerade richtig, damit
wir nicht lage zum Nachdenken kamen. Wir sind gleich ins Bett gegangen und
haben fest geschlafen. Mein erster Gedanke warst Dui und ich habe Dich leise
beim Namen gerufen. Aber Du warst fort. Wir sind dann Alle gleich
aufgestanden. Nun haben wir heute bei
ziemlich klarem Wetter schon zum zweiten Mal Alarm, vorher 2 mal Voralarm. Beim
zweiten Alarm war ich gerade auf dem Heimweg beim Petershauser Bahnhof. Da kam
ein Flieger, ich schaue rauf, wie er einen Kreis über der St adt fährt, fahre dabei
links an das Gebüsch und mich schmeißt es doch runter. Es ist aber alles gut
gegangen. Beim Damenrad hätte ich ja noch abspringen können. Aber so ging es
nicht gut. Die Arbeiter aus der Fabrik
waren alle auf dem Weg zum Wald und ich bin auch schnell heimgefahren. Da
hatten die Kinder schon die meisten Sachen runter getan. Jetzt ist immer noch
Alarm und viele Flieger sind über uns weg geflogen Hoffentlich nicht nach
Leipzig. Das ist jetzt wieder meine Sorge. Dir soll nie, nie etwas geschehen. Der Zahnarzt hat mir vorn den abgebrochenen
Zahn nur abgeschliffen. Er meinte erst, man sollte ihn rausziehen. Ich frage,
ob man nicht einen Stiftzahn draufmachen kann. Er ist der Meinung, es würde
sich nicht lohnen. Aber man könnte den Zahn noch drin lassen, bis er mal weh
tut, dann müßte er gezogen werden. Mir kam es vor, als hätte er es heute etwas
eilig, darum habe ich den Zahn noch nicht ziehen lassen. Was ratest Du mir?
Wenn der Zahn auch hinten ist, so sieht so ein Sturzel doch nicht schön aus.
Oder meinst Du, man könnte später vielleicht doch noch was machen. Gezogen ist
er ja schnell. Außerdem hat der Beck mir noch einen anderen Zahn plombiert, so
wie Plombe locker geworden war. Heute
erhielt ich ich einen Brief von Papa, in dem er bedauert, daß Du noch nicht
vorbei gekommen bist. Sie hätte immer gewartet. Vielleicht hat es nun doch geklappt. Außerdem erhielt ich gleich 2 liebe Päckchen von Dir, Nr. 12 und
13 mit 10 Rollen Drops, 3 Beutel Bonbons, 1 Schatel Weinsäurezucker und 1 Tafel
Schokolade. wir waren doch wirklich
sprachlos über so viele schöne Sachen.
Einen großen Teil legen wir mit zur eiserenen Ration. Wie hast Du Dir
das alles auch abgespart. Du hast Dir bestimmt gar nichts gegönnt. Du sorgst ja
immer so für uns. Du ganz lieber Ernst.
Bis 3 Uhr hatten wir nun Alarm. Eigentlich mit kurzen Unterbrechungen
seit ¾ 11 Uhr. Nun ist mal wieder Ruhe. Helga ist in der Schule, Jörg ist
wieder mal draum rum gekommen und spielt jetzt hinterm Haus. Ich gehe noch in
die Stadt, hole Helga dabei ab und dann kaufen wir zusammen ein. Wenn alles gut gegangen ist, bist du ja nun
schon in Leipzig. Vielleicht hast Du heute schon Gelegenheit Papa zu besuchen.
Ob dort auch solch Frühlingswetter ist? Ich glaube, es wird Zeit, daß ich ins
Freie komme. Das Alleinsein macht ganz traurig. Bleib ganz gesund, Du
allerliebster ernst und laß Dich herzlich grüßen und oft, oft küssen von
Deiner
Annie.
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