Liebster Ernst ! 25.11.44
Viel weiß ich heute nicht zu berichten, aber
einen Gruß sollst Du doch von daheim erhalten. Es ist erst Mittag, aber ich
schreibe schon jetzt,da wir morgen nicht zum Wegschaffen des Briefes kommen. Da
ist doch Sonntag. Da gehen wir ja meist nicht fort, vor allem, wenn es so
regnet wie bisher in den letzten Tagen. Es will auch garnicht wieder aufhören.
Gestern Nachmittag hat es nur eine kleine Zwischenpause gegeben. Da ist Jörg
gleich mit seinen Freunden in den Wald gegangen. Dort haben sie „Fanges“
gemacht und sind in dem Ried rumgelaufen. Da gibt es doch auch Binsen. Das ist
ein besonders schönes Spielzeug. Heute Morgen war Jörg mit richard wieder
hinten, da haben sie Holzfällern zugeschaut. Jetzt ist er in den Dienst
gegangen. Kaum hab ich‘s geschrieben,
kommt er schon wieder heim. Die Zeit, die in der Zeitung stand, war ein
Druckfehler, sie haben erst ½ 3 Uhr Dienst, nicht ¾ 1 Uhr. Aber nun will er nicht
mehr hingehen. Ich habe Helga aus einem
dicken Trikotunterrock, den ich doch nicht oft anziehe, einen für sie
zugeschnitten. Ich wollte erst einen kaufen, konnte aber nichts bekommen. Heute hat Jörg für 5 Pfennig Hefe bekommen,
da haben wir gleich noch einen einfachen Kuchen gebacken. Einen
Napfkuchen. Heute morgen bin ich ins
Gemüsegeschäft gefahren und habe Rotkraut und Wirsing für Vater geholt. Er
wollte gestern die Karte mitnehmen und sich‘s besorgen, Zuletzt haben wirs aber
vergessen. So habe ich‘s nun selber geholt und ihm gleich gebracht. Er war sehr
froh und hat mir gleich noch ½ Pfund Gries geschenkt. Ich lese jetzt ein Buch von Otto Ernst, der auch das Buch
„Appelschnut“ geschrieben hat. Es heißt „Hermannsland“ und gefällt mir sehr
gut. Es handelt zuerst von zwei Buben. Er beschreibt da das kindliche Leben mit
seinen kleinen Streichen. Es ist so verstehend und liebenswürdig geschrieben.
Eine wirkliche Erholung nach dem Schaffen. Wenn ich da an das Buch von Frenssen
denke, das ich vor kurzem gelesen habe. Das fing gut an, aber dann hat es mich
direkt bedrückt. Ich wurde direkt gereizt und nervös. Nein, das war nichts für mich. Denn wenn ich etwas lese, dann
lebe ich mit. Über die Familie in dem Buch von Frenssen lag so ein Verhängnis.
Es waren meist so unklare Menschen, der eine lebte mit seinen Pferden wie mit
Menschen, der andere hielt allmorgendlich eine Zwiesprache mit seiner
verstorbenen Frau, sein Sohn hatte im Krieg eine Kopfverletzung bekommen und
war nie ganz gesund. Eine Frau kommt im Buch vor, die macht immer ihren Geliebten
eifersüchtig, aber nicht nur mit Worten, obwohl sie ihn dadurch am meisten
reizt. Wenn er dann soweit gebracht ist, daß er sie schlagen will, dann fängt
sie an zu weinen und zu betteln. Der einzige soweit klare Mensch ist wieder zu
übermütig und wird erst ganz tief gedemütigt, als er merkt, daß auch in ihm
schlechte Wünsche und Gedanken wohnen. Ach, wie gesagt, ich kann sowas nicht
brauchen. Nun habe ich Dir über eine Seite von dem Buch erzählt. Hoffentlich
bist Du nicht böse darüber. Doch nun will ich aufhören. Ich will noch bügeln
und stopfen. Das muß auch sein. Bleib immer gesund, lieber Schatz, und laß Dich
grüßen und küssen, immer und immer wieder von
Deiner Annie.
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