Du lieber Ernst ! 2.10.44
Viel Freude habe ich heute gehabt, denn ich erhielt Deine
lieben Briefe Nr. 58, 59 60 vom 18., 20. und 21. 9. Und daß du nun in einem
schreiben konntest, daß Du einen Brief von mir erhalten hast, das hat mich
besonders gefreut. Nun haben wir doch wieder Verbindung miteinander. Für mich
ist immer das schönste Erlebnis, wenn ein Brief von Dir kommt. Ich finde es eigentlich nicht richtig, daß
man einfach einen Soldaten zum Gottesdienst kommandiert. Das hat doch gar
keinen Wert. Ich mag ja das Reden der Pfarrer auch nicht. Schließlich empfindet
ja jeder Gott anders. Und mancher inniger, als es so ein Pfarrer daherredet. Für das Päckchen schon im Voraus Dank. Die
Schuhcreme und das Hautöl werde ich gut verwenden können. Die Zigarren und
Zigaretten hebe ich auf. Du kannst Dir bei Deinen Kameraden die Rauchwaren wohl
nicht gegen etwas umtauschen, was Du gebrauchen kannst? Mit den schönen Herbsttagen ist es nicht
weit her. Es wäre besser, es gäbe etwas mehr trockene Tage. Da könnte man ehe
die Gartenarbeit erledigen. Ich persönlich faulenze ja immer noch. Am Ende der
vergangenen Woche bin ich ja schon etwas mehr umhergelaufen. Der Doktor hatte
nichts extra gesagt und ich hatte nicht gefragt. Heute war ich nun wieder beim Arzt. Der Fuß ist bestrahlt worden.
Ich sagte zu ihm, es würde doch sicher nichts ausmachen, wenn der Fuß beim
laufen anschwillt, das würde sich doch sicher wieder geben. Da meinte er „was,
was, der Fuß darf nicht anschwellen und sie dürfen überhaupt noch nicht viel
herumlaufen, auf keinen Fall.“ Als ich fortging mit Helga und im Korridor war,
sagte er nochmals „Also auch nicht unnötig auf dem Fuß stehen.“ Nun bin ich
also wieder zur Untätigkeit verurteilt. Der Fuß war ja auch immer gleich sehr
angeschwollen, aber ich dachte wirklich, das gäbe sich bald wieder. Am
Donnerstag muß ich wieder hinkommen. Praktisch ist auch diese Woche futsch,
schon die vierte. Manchmal muß man sich richtig zusammennehmen, damit man nicht
ungeduldig wird. Aber was nützt es, abwarten, nichts als abwarten. Auf dem Weg
zum Arzt bin ich bei der Sparkasse vorbeigefahren und habe den Gehalt (oder
heißt es das Gehalt) geholt. Davon habe ich den Kindern für ihre Hilfe einmal 2
Mk gegeben. Bis jetzt können wir immer
noch hier bleiben. Sollte der Fall wirklich einmal eintreten, daß wir fort
müßten, nun, so werde ich es auch ertragen müssen wie viele, viele andere. Und
jammern wollte ich dabei auch nicht, damit ich mich nicht vor mir selber und
vor Dir schämen müßte. Wenn ich nur Euch, meine drei Lieben, gesund behalten
kann. Das ist das größte Glück. Viel
Freude macht es mir, daß Dich meine Briefe erfreuen. Wenn nun weitereBriefe bei
Dir angekommen sind und Du lesen mußtest, daß ich doch nicht ganz gesund bin,
so hoffe ich, daß du doch nicht erschrocken bist. Wozu ja auch kein Grund
vorhanden war, denn ich konnte Dir ja gleich mitteilen, daß alles soweit noch
gut gegangen ist. Du willst nun scheinbar nicht, daß ich nicht mehr ins Kino
gehe. Aber schau mal, Du hast doch dort auch gar kein Vergnügen. Im Gegenteil,
Du hast es dort viel schwerer als ich hier. Warum soll ich dann ein Vergnügen
haben? Wenn ich wieder gesund bin und gehe nähen, habe ich ja sowieso nicht
viel Zeit. Ich möchte es nicht besser haben als Du. Nun fange ich gegen Abend wieder an zu schreiben. Am Nachmittag
ist der Hansi von Buckenleibs (bei Steinmehls), später Helga und Jörg auf den
Baum gestiegen und haben Äpfel gepflückt. Ich sitze ja hier oben und schaue in
tausend Ängsten zu. Daß nur keiner runterfällt. Ca. 20 Pfund haben die Kinder
runtergeholt. Heute erhielt ich den
Brief von Papa vom 22.9. Er schreibt, daß bei dem letzten leichten Luftangriff
auf Leipzig mehrere Luftminen geworfen wurden, die leider auch bei ihnen
Schaden angerichtet haben. Außer eingedrückten Türen und kaputten Fenstern ist
auch ihr Radioapparat ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Außer einigen
Röhren sind auch die Condensatoren zerstört worden. Ich möchte doch zusehen, ob
ich hier zwei bekäme. Nun ist wieder
Feierabend. Wir haben uns jetzt angewöhnt, ziemlich früh schlafen zu gehen.
Solange ich noch nicht richtig laufen kann, ist Vater immer zeitig heim
gegangen, damit Helga die Haustür zuschließen konnte. Laß Dich wieder recht herzlich grüßen und küssen von Deiner
Annie.
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