Donnerstag, 19. März 2020

Brief 811 vom 27.10.44


Mein liebster, bester Ernst !                                                                                    27.10.44        

Ich glaube, daß ich Dir heute eine kleine Freude machen kann, indem ich Dir einige Bilder schicke. Morgen folgen weitere. Hoffentlich gefallen sie Dir ein bißchen.  Ich schreibe wieder am Mittag. Vormittags war ich im Garten und habe die Seite an den Beerensträuchern umgegraben. Ich habe wieder eine Schnur gespannt, damit ich eine gerade Front bekam. Auch hinter den Sträuchern habe ich noch umgegraben. Dann habe ich aufgehört. Vorhin haben wir zu Mittag gegessen und nachher will ich mit Helga vielleicht noch eine Weile rüber gehen, aber jetzt regnet es ein bißchen. So eilig habe ich es ja nun nicht, daß ich bei Regen umgraben muß Jörg hat mir heute morgen mitgeholfen, indem er immer das Unkraut rausgemacht und raufgetragen hat. Helga war im Brausebad in der Petershauser Schule, da das Hallenbad geschlossen ist. Für Buben ist erst morgen offen, sonst wär er auch mitgegangen.  Am Montag beginnt wieder der Schulunterricht an allen Schulen. Ob für dauernd, das weiß ich nicht.  Gest ern Nachmittag waren wir doch in der Stadt. Da hatte ich wieder einmal einen guten Tag, denn ich habe fast alles bekommen, was ich wollte. Vor allem einen Schlauch für unsere RadFußpumpe. Endlich können wir unsere Räder wieder aufpumpen, wenn wir wollen und müssen keine Pumpe borgen. Dann erhielt ich Druckventile, meine reparieerten Töpfe, die Photografien, den J.B. Was will ich noch mehr? Die Lebensmittel, die ich brauche, bekam ich auch.  Vater hatte gefragt, ob Jörg vielleicht für Paula Stiefmütterchen für Gräber besorgen könnte. Man bekommt doch sonst nichts. Das hat Jörg auch getan, wenn es mir auch nicht ganz recht war, daß er nicht gesagt hat, es sei nicht für uns, sondern für Bekannte. Die Leirers meinen sonst, man ist ziemlich frech, wenn man einmal oder ein paar Mal einen Blumenstock will und dann gleich die Stiefmütterchen. Gestern Abend haben die Kinder die Blumen zu Paula in einem Spankorb gebracht. Damit Paula die Blumen nicht erst umpacken brauchte, wollte sie Helga einen anderen Korb mitgeben, der am Boden ein Loch hatte. Helga wußte garnicht, was sie tun sollte. Da ist der Albert als rettender Engel aufgetreten und hat Paula gefragt, warum sie den Kindern nicht einen anderen Korb giebt und hat einen guten, fehlerfreien Korb gebracht. 4 Mk haben sie Stiefmütterchen gekostet. 3 Äpfel haben Helga und Jörg noch bekommen. Sie wollte ihnen auch noch ein paar Brotmarken geben, aber die Kinder haben sie nicht genommen. Als Paula fragte, ob wir denn über hätten, haben sie gesagt, sie reichten uns schon.  Daheim meinten sie, wir wollen uns nicht nachsagen lassen, sie hätten uns auch schon Marken geben müssen. Seitdem Vater öfter zu Paula kommt, ist nicht nicht mehr so gut mit ihm auszukommen. Gestern Mittag kam er auch rauf. U.a. fing er dann auch an: „Natürlich Du glaubst es wieder nicht und regst Dich auf. (Du wirst schon wissen in welcher Beziehung). Darum wollen wir lieber nicht davon reden.“ Dann fing er doch an und redete Zeug, nicht zum sagen. Ich habe mich dann auch wirklich aufgeregt.  Zuletzt sagte er etwas, was mich am meisten ärgerte, nämlich „Du kannst es ja im Ziegelhof erzählen.“ Als ich sagte, das käme für mich garnicht in Frage, daß ich etwas erzähle, was ich nicht erzählen will und was andere nichts angeht, verzog er das Gesicht wieder zu so einem spöttischen Lache. Da ist mir aber doch das Blut in den Kopf gestiegen. Helga meinte hinterher, „Mutterle, Du muß Dich garnicht aufregen. Wir wissen, daß Du nichts weiter erzählst und das ist die Hauptsache. Ich wollte es Großvater schon sagen, aber dann sagt er bloß zu mir, das geht dich nichts an.“ Früher, als Vater nur mit uns verkehrte, war es so freundlich geworden und jetzt wird er wieder so kritisch und hat an allem was auszusetzen. Manchmal bin ich froh, wenn er garnicht rauf kommt. Er kann natürlich auch wieder anders sein, aber sobald er kurz vorher bei Paula war, ist es nicht schön mit ihm. Ich glaube, es regnet sich ein. Es regnet den Nebel runter, denn der Himmel ist ganz verhängt. Es ist 3 Uhr und man kann fast im Zimmer nichts mehr sehen. Wir genen un nicht mehr in den Garten. Hier oben habe ich ja auch noch genug ARbeit. Langweilig wirds mir nicht.  Du Ernst, Deine Priemel wächst jetzt so schön. Ich glaube, ich habe jetzt den richtigen Platz für sie gefunden. Sie steht auf dem Küchenfenster in der Ecke, wo nur die Sonne durch die Gardine hinkommt. Da blüht sie jetzt wieder und treibt auch viele Blätter. Ich freue mich riesig.  Laß mich nun wieder schließen Hoffentlich ärgerst Du dich nicht über den Brief, aber ich mußte einmal mei Herz erleichtern und das kann ich nur bei Dir. Sei wieder herzlich gegrüßt und fest, ganz fest geküßt von 

Deiner Annie.

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