Mein liebster,
bester Ernst ! 27.10.44
Ich glaube, daß ich
Dir heute eine kleine Freude machen kann, indem ich Dir einige Bilder schicke.
Morgen folgen weitere. Hoffentlich gefallen sie Dir ein bißchen. Ich schreibe wieder am Mittag. Vormittags
war ich im Garten und habe die Seite an den Beerensträuchern umgegraben. Ich
habe wieder eine Schnur gespannt, damit ich eine gerade Front bekam. Auch
hinter den Sträuchern habe ich noch umgegraben. Dann habe ich aufgehört. Vorhin
haben wir zu Mittag gegessen und nachher will ich mit Helga vielleicht noch
eine Weile rüber gehen, aber jetzt regnet es ein bißchen. So eilig habe ich es
ja nun nicht, daß ich bei Regen umgraben muß Jörg hat mir heute morgen
mitgeholfen, indem er immer das Unkraut rausgemacht und raufgetragen hat. Helga
war im Brausebad in der Petershauser Schule, da das Hallenbad geschlossen ist.
Für Buben ist erst morgen offen, sonst wär er auch mitgegangen. Am Montag beginnt wieder der Schulunterricht
an allen Schulen. Ob für dauernd, das weiß ich nicht. Gest ern Nachmittag waren wir doch in der Stadt. Da hatte ich
wieder einmal einen guten Tag, denn ich habe fast alles bekommen, was ich
wollte. Vor allem einen Schlauch für unsere RadFußpumpe. Endlich können wir
unsere Räder wieder aufpumpen, wenn wir wollen und müssen keine Pumpe borgen.
Dann erhielt ich Druckventile, meine reparieerten Töpfe, die Photografien, den
J.B. Was will ich noch mehr? Die Lebensmittel, die ich brauche, bekam ich
auch. Vater hatte gefragt, ob Jörg
vielleicht für Paula Stiefmütterchen für Gräber besorgen könnte. Man bekommt
doch sonst nichts. Das hat Jörg auch getan, wenn es mir auch nicht ganz recht
war, daß er nicht gesagt hat, es sei nicht für uns, sondern für Bekannte. Die
Leirers meinen sonst, man ist ziemlich frech, wenn man einmal oder ein paar Mal
einen Blumenstock will und dann gleich die Stiefmütterchen. Gestern Abend haben
die Kinder die Blumen zu Paula in einem Spankorb gebracht. Damit Paula die
Blumen nicht erst umpacken brauchte, wollte sie Helga einen anderen Korb
mitgeben, der am Boden ein Loch hatte. Helga wußte garnicht, was sie tun
sollte. Da ist der Albert als rettender Engel aufgetreten und hat Paula
gefragt, warum sie den Kindern nicht einen anderen Korb giebt und hat einen
guten, fehlerfreien Korb gebracht. 4 Mk haben sie Stiefmütterchen gekostet. 3
Äpfel haben Helga und Jörg noch bekommen. Sie wollte ihnen auch noch ein paar
Brotmarken geben, aber die Kinder haben sie nicht genommen. Als Paula fragte,
ob wir denn über hätten, haben sie gesagt, sie reichten uns schon. Daheim meinten sie, wir wollen uns nicht
nachsagen lassen, sie hätten uns auch schon Marken geben müssen. Seitdem Vater
öfter zu Paula kommt, ist nicht nicht mehr so gut mit ihm auszukommen. Gestern
Mittag kam er auch rauf. U.a. fing er dann auch an: „Natürlich Du glaubst es
wieder nicht und regst Dich auf. (Du wirst schon wissen in welcher Beziehung).
Darum wollen wir lieber nicht davon reden.“ Dann fing er doch an und redete
Zeug, nicht zum sagen. Ich habe mich dann auch wirklich aufgeregt. Zuletzt sagte er etwas, was mich am meisten
ärgerte, nämlich „Du kannst es ja im Ziegelhof erzählen.“ Als ich sagte, das
käme für mich garnicht in Frage, daß ich etwas erzähle, was ich nicht erzählen
will und was andere nichts angeht, verzog er das Gesicht wieder zu so einem
spöttischen Lache. Da ist mir aber doch das Blut in den Kopf gestiegen. Helga
meinte hinterher, „Mutterle, Du muß Dich garnicht aufregen. Wir wissen, daß Du
nichts weiter erzählst und das ist die Hauptsache. Ich wollte es Großvater
schon sagen, aber dann sagt er bloß zu mir, das geht dich nichts an.“ Früher,
als Vater nur mit uns verkehrte, war es so freundlich geworden und jetzt wird
er wieder so kritisch und hat an allem was auszusetzen. Manchmal bin ich froh,
wenn er garnicht rauf kommt. Er kann natürlich auch wieder anders sein, aber
sobald er kurz vorher bei Paula war, ist es nicht schön mit ihm. Ich glaube, es
regnet sich ein. Es regnet den Nebel runter, denn der Himmel ist ganz verhängt.
Es ist 3 Uhr und man kann fast im Zimmer nichts mehr sehen. Wir genen un nicht
mehr in den Garten. Hier oben habe ich ja auch noch genug ARbeit. Langweilig
wirds mir nicht. Du Ernst, Deine
Priemel wächst jetzt so schön. Ich glaube, ich habe jetzt den richtigen Platz
für sie gefunden. Sie steht auf dem Küchenfenster in der Ecke, wo nur die Sonne
durch die Gardine hinkommt. Da blüht sie jetzt wieder und treibt auch viele
Blätter. Ich freue mich riesig. Laß
mich nun wieder schließen Hoffentlich ärgerst Du dich nicht über den Brief,
aber ich mußte einmal mei Herz erleichtern und das kann ich nur bei Dir. Sei
wieder herzlich gegrüßt und fest, ganz fest geküßt von
Deiner Annie.
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