Donnerstag, 19. März 2020

Brief 844 vom 11.12.44


(Der folgende Brief wurde nicht abgesandt)


 Mein liebster Ernst!                                                                                         11.12.44      

 Gestern habe ich nicht geschrieben. Ich war garnicht in Stimmung dazu. Ich schrieb Dir ja vorgestern, daß wir eine Frau aufnehmen sollten. Das wäre mir nicht so schlimm gewesen, trotzdem wir uns dann auch fast nicht mehr hätten frei bewegen können. Was mich aber empörte war das, daß viele große Wohnungen nicht belegt sind. Das hat mich gewurmt. Ich bin nun heute früh ins Konzil gegangen. Ich habe meine SAche vorgetragen. Ich sagte auch, es seien noch genug Wohnungen bezw, Zimmer leer. Man fragte mich, ob ich Angaben machen könnte. Ja, sagte ich, fragen sie doch mal in der Austraße. Auch anderswo hat es Zimmer. Da sagt das Fräulein zu dem einen Mann „ja, ich habe auch noch gar keine Angaben vom AdolfHitlerUfer.  Da hatte ich genug gehört. Das Frl. sagte dann, ich gehörte zur Ortsgruppe West und müßte mich dahin wenden. Diese Stelle ist gleich gegenüber vom Ziegelhof und so bin ich vom Nähen gleich zwischendurch mal hingegangen. Ich habe zu einem Frl.  gesagt:“Ich kann die Frau nicht aufnehmen, es ist wirklich zu klein. Man muß doch ein Zimmer haben, wo es ein bißchen warm ist und wo man sich ausziehen und waschen kann.“ Das Frl.  sagte, man würde sich ja nicht immer ausziehen und waschen.  „Nein“, sag ich, „ aber morgens und abends, wenn die Frau da ist. Ich kann sie nicht einpserren.“ So genau kann ich nun alles nicht wiedergeben. Nur so verschiedenes. Als das Frl. sagte, ich hätte das Zimmer doch abgegeben, sagte ich“Abgegeben? Genommen hat man mirs einfach. Beim A.H.Ufer fragt man höflich, haben sie ein Zimmer frei und dann sagen sie nein. Uns zwingt man bei unseren kleinen Wohnungen einfach.“ Das Frl. fing noch an von Beschlagnahmen durch die Polizei. Da habe ich gesagt, aber unsere Wohnungen nicht. Im Zimmer war noch ein jüngerer Mann. Der sagte auf einmal „Die Frau sagt endlich mal die Wahrheit, wie es ist. In keiner Stadt habe ich so eine Vetternwirtschaft gefunden wir hier. Vor den Höheren bückt man sich und ist überaus höflich. Den anderen gegenüber ist man gerade das Gegenteil.  Wenn das der Führer sehen würde wie es hier ist, würde er den Kopf schütteln und dazwischenschlagen. Ich kann ihnen auch ruhig sagen, wer ich bin. Ich bin von der Gestapo. Das Frl.  sagte, ich müßte die Frau eben solange behalten, bis sie ein neues Quartier hätte.  Ich sollte zusehen, daß ich ein neues Zimmer besorgen könnte. Ich sagte, daß das nicht Arbeit sei. Aber sie sollte mir die Adresse der Frau geben, die unsere Wohnung mit besichtigt hat. Die war nicht so unrecht, nur der Mann. Da bin ich dann hin, traf sie aber nicht an. Ich bin dann nochmals zur Ortsgruppe und wollte fragen, warum sie denn nicht ein Zimmer bei Leuten belegen, die zu zweit sind. Da hatten sie scheinbar gerade von mir geredet. Das Frl. sagte zu einem Mann, das ist die Frau. „So“, fing der an „ sie wohnen in den städt. Häusern. Da hat es doch große Küchen. In der Stube sind sie ja doch nicht. Keiner will ein Zimmer abgeben. Es ist eine Schande. Ich wills nicht hoffen, aber wenns bei uns mal schlimm werden sollte, da hätte dann Jeder auf einmal Platz.“ Ich sagte ihm, daß das damit garnichts zu tun hätte. Er ging dann wütend und dann kam die Frau Brecht, die unsere Wohnung gesehen hatte.  Mit der habe ich dann gesprochen und die war dann so freundlich. „Frau Rosche“, meinte sie „bei ihren Wonungen kann sie niemand zwingen, ein Zimmer abzugeben. So weit sind wir noch nicht. Das kommt ganz auf ihre Bereitwilligkeit an. Da kann man nichts beschlagnahmen. Das ist nur ein Notquartier. Am Samstag stand ich mit einem Tranport von 65 Leuten da. Ich habe sie einstweilen überall hingeschickt. Aber die Frau bei ihnen hat schon abgesagt. Es war ihr zu klein und sie wollte auch einen Kleiderschrank haben. Nein, sie müssen sich keine Sorgen machen. solange noch große Zimmer frei stehen, dräne ich die Leute in den kleinen Wohnungen nicht. Sollen später zwar alle belegt sein, dann kann es schon sein, daß wir auch darauf zurückgreifen müssen.“ Ich sagte, daß ich das selbstverständlich einsehe. Es kann auch vielleicht sein, daß mal jemand auf dem Durchtransport 1  2 Nächte hier schläft. Dann bin ich auch nicht so. Man wüßte ja selber, wie das ist. Zum Schluß sagte auch Frau Brecht „aber sie dürfen auch nicht vermieten.“ Als ich sagte „aber ich vermiete doch nicht,“ meinte sie „nehmen sie auch keine Soldatenfrauen auf, ihr Blockleiter (Herr Kuhnert) hat das nämlich gemeldet.“ Da habe ich nun 2 mal Jemand aufgenommen, weil es mir leid tat, sie auf der Straße stehen zu lassen und das ist der Dank. Aber von den Nachbarn bin ich es ja nicht anders gewöhnt. Da wollen wir uns nicht ärgern.  Wie wohl das tut, wenn mal Einer freundlich ist, das glaubt man garnicht. Ich habe mich wirklich gefreut, daß ich in der Frau Brecht einen solchen Menschen gefunden habe. 


Mein liebster Ernst !                                                                                                  11.12.44    

Gestern habe ich nicht geschrieben, ich hatte keine Stimmung dazu. Ich schrieb Dir ja vorgestern, daß wir eine Frau aufnehmen sollten. Das wäre mir nicht so schlimm gewesen, trotzdem wir uns dann fast nicht mehr rühren könnten.  Was mich empörte war das, daß viele große Zimmer noch frei stehen und uns will man zwingen, Jemand zu nehmen. Ich bin deshalb heute viel herumgerannt und hatte viel Ärger. Zum Schluß traf ich dann auf eine Frau, die diese Sache mit bestimmt. Die war dann sehr freundlich und sagte mir auch, daß man unsere Zimmer noch nicht beschlagnahmen kann. Soweit wären wir nicht. Die Frau, die wir aufnehmen sollten, kommt nun auch nicht. Es könnte höchstens sein, daß wir mal Jemand auf 2  3 Tage kriegen, wenn mal höchste Not ist und gerade kein Quartier da. Da bin ich dann auch nicht so.  Man will ja die Leute nicht auf der STraße stehen lassen.  Ich hatte Dir vorhin über die Sache schon einen ausführlichen Brief von 6 Seiten geschrieben. Aber vielleicht ist es doch besser, ich schicke ihn nicht weg. Man weiß nicht, wem er evtl,. in die Hände fällt. Jedenfalls habe ich jetzt wieder ganz anderen Mut als gestern. Ein freundlicher Mensch tut doch Wunder. Ich habe es der Frau auch gesagt: „Sie sind der erste Mensch, der heute freundlich mit mir redet. Alle anderen haben mich bloß angebrüllt.“   Sollten später mal alle großen Zimmer belegt sein, dann kämen wir natürlich auch noch dran, daß wir Jemand nehmen. Aber wenn sich alle einschränken, tut mans dann aus freien Stücken. Das ist doch klar. Du weißt ja, daß ich gern mit gutem Beispiel voran gehe, aber die Ungerechtigkeit darf nicht zu groß sein.  Heute erhielt ich Deine lieben Briefe Nr. 121, 122, 123, 127 vom 20., 23., 24. und 28.11. Recht  vielen Dank dafür. vor allem gratulieren ich Dir zum eiserenen Kreuz und zum InfantrieSturmabzeichen. Ich freue mich wirklich darüber, daß Deine Leistungen anerkannt werden.  Alles zu beantworten, dazu komme ich heute Abend nicht. Aber vielleicht das Wichtigste.  Die Kämpfe sind und nun wirklich nahe gerückt. In der vorletzten Nacht haben sie ja im Scharzwald Luftlandetruppen abgesetzt. Die Gefahr soll aber vorerst beseitigt sein. Es war ein Artellerieschießen in den letzten Tagen, ohne Aufhören. Was hier wird, das wissen wir noch nicht. Bis jetzt sind wir noch da und nehmen Flüchtlinge auf. Unser Gepäck habe ich auf jeden Fall soweit gepackt. Die 2 Truhen sind auch gepackt zum evtl.  wegschicken. Aber jetzt hat es gar keinen Wert. Unterwegs ist es noch unsicherer. Außerdem ist jetzt so viel Flüchtlingsgut unterwegs. Der Paketverkehr ist augenblicklich in unserem
Paketverkehr ist augenblicklich in unserem Gau auch gesperrt. An Dora zu schreiben hat gar keinen Wert. Wir kämen ja mit der Bahn nicht fort. Man muß verschiedene Bescheinigungen haben, polizeiliche und andere, bis man fort darf, also ehe man mit dem Zug fort darf. Du mußt Dir um uns auch gar keine Sorge machen. Wir warten jetzt ab wie alle anderen auch. Unser Päckchen ist gepackt. Mehr kann man nicht tun. Sollten wir fort kommen, könnte ich ja evtl. erst mal mit den Kindern nach Leipzig fahren. von dort könnten wir weiter sehen. Also nur keine Sorge. Von Reichskreditkassenscheinen haben wir noch 48, da. Ich werde sie umwechseln. Das serbische Geld wechsle ich auch um. Hätte ich das gewußt, daß ich eine Flasche Cognac mit hätte einpacken sollen. Wie gern hätte ich das getan. Nun ist es leider schon zu spät. Sehr schade. Ich habe mich wirklich auch gefreut, daß Siegfried an uns gedacht hat. Wenn nur alles richtig ankommt. Gebrauchen kann man es schon. Daß Du Dich verstecken mußt, weil Siegfried nun 50,Mk schickt, das ist nun ganz und garnicht der Fall. O Kerlchen, was hast du nicht schon alles geschickt und uns getan. Du bist ja der allerliebste Mann und allerliebste Vater. Jetzt mach Dir nur noch Sorgen, daß Du uns jetzt nichts schicken kannst. Da schimpfe ich aber. Du hast immer an uns gedacht, solange du was bekamst. Für alle Deine Sorge um uns können wir Dich ja garnicht genug lieb haben.  Unser Junge hat am Führerdienst, ja am ganzen HJ Dienst riesige Freude. Er ist immer dabei. Es müßte schlimm zugehen, wenn er einmal einen Dienst verpassen würde.  Wenn Dein Nikolausbrief ankommt, werde ich Helga und Jörg von Dir je 4 Mk geben. Da werden sie sich freuen.  In der Pilzfrage sind wir uns also einig. Na ja, der Lehrer Riester muß man so dumm lassen. Man merkt, daß es ein alter Junggeselle ist. Er ist direkt verknöchert.  Doch nun laß mich schließen. Es ist schon ¼ 12 Uhr geworden. Bleib Du, mein lieber, lieber Ernst immer gesund und behalte lieb Deine Annie.   

Liebes Vaterle !    
    
12.12. früh Heute morgen, als wir noch im Bett lagen, kam Mutter und sage uns, daß Du das E.K.2 und das silberne Sturmabzeichen bekommen hast. Du kannst Dir denken, wie wir uns gefreut haben. Heute auf dem Schulweg erzähl‘ ich es der Ingrid, da wird sie schauen. Also ich gratuliere Dir und verbleibe unter herzlichen Grüßen und vielen Küssen 

Deine Helga.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen