Donnerstag, 19. März 2020

Brief 850 vom 28.12.44


 Mein liebster Mann!                                                                                           28.12.44      

Der Tag ist ruhig verlaufen. So lange die Kinder Ferien haben, stehen wir erst auf, wenn wir kein Licht mehr brauchen, also gegen 8 Uhr. D.h. da stehe ich auf, die Kinder bleiben bis 9 Uhr oder ½ 10 Uhr liegen. Denn essen wir zusammen Frühstück. So sparen wir außer dem Licht auch noch das zweite Frühstück und fühlen uns wohl dabei. Während des ganzen Tages habe ich heute gewaschen und gestopft. Über die Feiertage habe ich ja in der Beziehung garnichts getan, das muß aufgeholt werden. Wir waren wieder in der Stube, in der es am gemütlichsten ist.  Draußen im Freien ist es ja ziemlich kalt. Helga hat an ihren Socken gestrickt, Jörg hat gespielt. Er hat sich ein Floß mit einem Zelt und einer Pumpe gebaut. Damit das Floß höher steht und das „Wasser“ also tiefer steht, hat er Holz darunter genagelt, welches man aber so nicht sieht. Eine Puppe ist ein Taucher. Er hat ihr einen Anzug genäht und einen Taucherhelm hat er auch gemacht. Dieser ist aus Blech. Dieses ist von einer Batterie oder etwas ähnlichem. Jörg weiß sich ja immer zu helfen. Einen Taucher hat er sich auch selber genäht. Er hat einen Anzug genäht, den er ausgestopft und angemalt hat. Im basteln ist Jörg prima, wenn er nur darüber nicht alles andere vergessen würde. Ich habe nun eine neue Beschäftigung bekommen. Ich muß abends „Bärle reden“ machen. Dabei muß ich unseren Lausern immer ihre kleinen Sünden vorhalten. Natürlich nicht nur die Sünden, sondern es muß auch lustig sein und Helga meinte heute „da haben wir immer unser Kasperletheater, wo wir uns halb tot lachen können.“  29.12.  Liebster Ernst! Da wir heute Mittag den Brief mit in die Stadt nehmen, schreibe ich jetzt noch weiter. Heute Morgen bin ich gleich zu Vater runter gefahren und habe ihm gesagt, daß er heute Fisch bekommt. Aber mit dem Rad zu fahren, ist jetzt kein Vergnügen. Man friert doch sehr. Als ich heim kam, waren die Kinder inzwischen aufgestanden und hatten das Frühstück fertig gemacht. Das hat mich sehr gefreut. Vorhin hatten wir zu Mittag rohr Klöße. Das hat wieder geschmeckt. Leider kam wieder Alarm dazwischen. Jetzt ist erneut Voralarm. gerade sind Flugzeuge vorbei gekommen, aber nun ist wieder Stille.  Von Helga soll ich Dir heute das beiliegende Bildchen mitschicken.  Vorhin erhielt ich Deinen lieben Brief Nr. 146, abgest. am 22.12. Ein Datum steht nicht drauf. Du willst also auch nicht, daß Einquartierung zu uns kommt. Es ist, wie Du sagst, ich gehe sonst gern mit gutem Beispiel voran. Ich hätte auch jemand genommen, wenn alles besetzt gewesen wär. Wenn ich aber höre, daß noch große Wohnungen freistehen und ich soll mich noch mehr einschränken, nein, da mache ich nicht mit. Noch dazu, wenn man den begründeten Verdacht hat, daß es nur eine Schikane ist. Die Frau Brecht sagte mir ja auch zuletzt „aber nicht wahr, sie vermieten auch nicht.“ Als ich ihr sagte, daran dächte ich überhaupt nicht, meinte sie, „sie nehmen aber auch keine Soldatenfrauen auf“. Ich sagte ihr, daß ich das nur einmal ausnahmsweise getan habe, da die Leute spät abends noch keine Unterkunft hatte. Sie meinte darauf, „ja, man darf nicht einmal gutmütig sein, es gibt immer gute Nachbarn, die gleich alles melden. Sie sind von ihrem Blockleiter angegeben worden.“ Dieser gute Nachbar ist Herr Kuhnert. Du siehst aber wieder, wie jeder Schritt beobachtet wird. Na, ich mache mir schon nichts mehr draus. Ich will der Frau auch keine Unannehmlichkeiten bereiten.  Sie war die einzige, die anständig mit mir geredet hat. Die anderen zwei, mittags ein Fräulein und abends ein Mann, hatten mich ja so runter geputzt, daß es nicht mehr schön war. Aber ich habe mich meiner Haut gewehrt und nicht nachgegeben. Zu Mittag waren mehrere Leute im Zimmer, als ich mit dem Fräulein redete. Ich hatte u.a.  zu ihr gesagt „ich habe heute Morgen zufällig im Konzil gehört, daß die Quartiere in der Seestraße noch nicht einmal gemeldet sind und ich soll jemand nehmen. Das kommt nicht in FRage. Sie können machen, was sie wollen.“ Als sie sagte, ich hätte das Zimmer ja abgegeben, sagte ich „was abgegeben, nein, einfach genommen hat man es, trotzdem ich gesagt habe, es geht nicht. Bei uns nimmt man einfach und in der Seestraße fragt man höflich , ob sie jemand nehmen können. Das kann ich beweisen. Da traut sich niemand, ihnen noch die einzige Wohnstube wegzunehmen, daß sie in der Küche sitzen müssen. Sie können machen, was sie wollen , ich mache nicht mit.“ Da mischte sich ein Mann ein und sagte:“Die Frau (ich) hat ganz recht. Ich bin erst ein paar Tage hier und suche für meine Frau auch Quartier. Aber so eine Vetternwirtschaft habe ich noch nirgends getroffen. Der Führer würde dazwischen schlagen, wenn er das sähe. Ich verantworte, was ich sage, ich kann ihnen auch sagen, daß ich von der Gestapo bin.“ ABends hatte ich nochmals ein Theater mit einem Mann, der allerhand große töne redete, aber ich war einfach stur und dachte, ich gebe einfach nicht nach. Dann kam die Frau Brecht und mit ihr konnte ich endlich richtig reden. Davon habe ich Dir schon geschrieben, nicht wahr? Doch das liegt ja hinter mir.  Nun ist es aber Zeit geworden, daß ich fort gehe, sonst komme ich nicht mehr in die Stadt. Ärgere Dich nicht über den Brief und denk, daß es schon vorüber ist.  Laß Dich grüßen und herzlich, ganz herzlich küssen von 

Deiner Annie.

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