Mein liebster
Mann! 28.12.44
Der Tag ist ruhig verlaufen. So lange die Kinder Ferien
haben, stehen wir erst auf, wenn wir kein Licht mehr brauchen, also gegen 8 Uhr.
D.h. da stehe ich auf, die Kinder bleiben bis 9 Uhr oder ½ 10 Uhr liegen. Denn
essen wir zusammen Frühstück. So sparen wir außer dem Licht auch noch das
zweite Frühstück und fühlen uns wohl dabei. Während des ganzen Tages habe ich
heute gewaschen und gestopft. Über die Feiertage habe ich ja in der Beziehung
garnichts getan, das muß aufgeholt werden. Wir waren wieder in der Stube, in
der es am gemütlichsten ist. Draußen im
Freien ist es ja ziemlich kalt. Helga hat an ihren Socken gestrickt, Jörg hat
gespielt. Er hat sich ein Floß mit einem Zelt und einer Pumpe gebaut. Damit das
Floß höher steht und das „Wasser“ also tiefer steht, hat er Holz darunter
genagelt, welches man aber so nicht sieht. Eine Puppe ist ein Taucher. Er hat
ihr einen Anzug genäht und einen Taucherhelm hat er auch gemacht. Dieser ist
aus Blech. Dieses ist von einer Batterie oder etwas ähnlichem. Jörg weiß sich
ja immer zu helfen. Einen Taucher hat er sich auch selber genäht. Er hat einen
Anzug genäht, den er ausgestopft und angemalt hat. Im basteln ist Jörg prima,
wenn er nur darüber nicht alles andere vergessen würde. Ich habe nun eine neue
Beschäftigung bekommen. Ich muß abends „Bärle reden“ machen. Dabei muß ich
unseren Lausern immer ihre kleinen Sünden vorhalten. Natürlich nicht nur die
Sünden, sondern es muß auch lustig sein und Helga meinte heute „da haben wir
immer unser Kasperletheater, wo wir uns halb tot lachen können.“ 29.12.
Liebster Ernst! Da wir heute Mittag den Brief mit in die Stadt nehmen,
schreibe ich jetzt noch weiter. Heute Morgen bin ich gleich zu Vater runter
gefahren und habe ihm gesagt, daß er heute Fisch bekommt. Aber mit dem Rad zu
fahren, ist jetzt kein Vergnügen. Man friert doch sehr. Als ich heim kam, waren
die Kinder inzwischen aufgestanden und hatten das Frühstück fertig gemacht. Das
hat mich sehr gefreut. Vorhin hatten wir zu Mittag rohr Klöße. Das hat wieder
geschmeckt. Leider kam wieder Alarm dazwischen. Jetzt ist erneut Voralarm.
gerade sind Flugzeuge vorbei gekommen, aber nun ist wieder Stille. Von Helga soll ich Dir heute das beiliegende
Bildchen mitschicken. Vorhin erhielt
ich Deinen lieben Brief Nr. 146, abgest. am 22.12. Ein Datum steht nicht drauf.
Du willst also auch nicht, daß Einquartierung zu uns kommt. Es ist, wie Du
sagst, ich gehe sonst gern mit gutem Beispiel voran. Ich hätte auch jemand
genommen, wenn alles besetzt gewesen wär. Wenn ich aber höre, daß noch große
Wohnungen freistehen und ich soll mich noch mehr einschränken, nein, da mache
ich nicht mit. Noch dazu, wenn man den begründeten Verdacht hat, daß es nur
eine Schikane ist. Die Frau Brecht sagte mir ja auch zuletzt „aber nicht wahr,
sie vermieten auch nicht.“ Als ich ihr sagte, daran dächte ich überhaupt nicht,
meinte sie, „sie nehmen aber auch keine Soldatenfrauen auf“. Ich sagte ihr, daß
ich das nur einmal ausnahmsweise getan habe, da die Leute spät abends noch
keine Unterkunft hatte. Sie meinte darauf, „ja, man darf nicht einmal gutmütig
sein, es gibt immer gute Nachbarn, die gleich alles melden. Sie sind von ihrem
Blockleiter angegeben worden.“ Dieser gute Nachbar ist Herr Kuhnert. Du siehst
aber wieder, wie jeder Schritt beobachtet wird. Na, ich mache mir schon nichts
mehr draus. Ich will der Frau auch keine Unannehmlichkeiten bereiten. Sie war die einzige, die anständig mit mir
geredet hat. Die anderen zwei, mittags ein Fräulein und abends ein Mann, hatten
mich ja so runter geputzt, daß es nicht mehr schön war. Aber ich habe mich
meiner Haut gewehrt und nicht nachgegeben. Zu Mittag waren mehrere Leute im
Zimmer, als ich mit dem Fräulein redete. Ich hatte u.a. zu ihr gesagt „ich habe heute Morgen
zufällig im Konzil gehört, daß die Quartiere in der Seestraße noch nicht einmal
gemeldet sind und ich soll jemand nehmen. Das kommt nicht in FRage. Sie können
machen, was sie wollen.“ Als sie sagte, ich hätte das Zimmer ja abgegeben,
sagte ich „was abgegeben, nein, einfach genommen hat man es, trotzdem ich
gesagt habe, es geht nicht. Bei uns nimmt man einfach und in der Seestraße
fragt man höflich , ob sie jemand nehmen können. Das kann ich beweisen. Da
traut sich niemand, ihnen noch die einzige Wohnstube wegzunehmen, daß sie in
der Küche sitzen müssen. Sie können machen, was sie wollen , ich mache nicht
mit.“ Da mischte sich ein Mann ein und sagte:“Die Frau (ich) hat ganz recht.
Ich bin erst ein paar Tage hier und suche für meine Frau auch Quartier. Aber so
eine Vetternwirtschaft habe ich noch nirgends getroffen. Der Führer würde
dazwischen schlagen, wenn er das sähe. Ich verantworte, was ich sage, ich kann
ihnen auch sagen, daß ich von der Gestapo bin.“ ABends hatte ich nochmals ein
Theater mit einem Mann, der allerhand große töne redete, aber ich war einfach
stur und dachte, ich gebe einfach nicht nach. Dann kam die Frau Brecht und mit
ihr konnte ich endlich richtig reden. Davon habe ich Dir schon geschrieben,
nicht wahr? Doch das liegt ja hinter mir.
Nun ist es aber Zeit geworden, daß ich fort gehe, sonst komme ich nicht
mehr in die Stadt. Ärgere Dich nicht über den Brief und denk, daß es schon vorüber
ist. Laß Dich grüßen und herzlich, ganz
herzlich küssen von
Deiner Annie.
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