Donnerstag, 19. März 2020

Brief 795 vom 6.10.1944


Mein liebster Ernst !                                                                             6.10.44       

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 19.9. Nr. 53 Der hat doch lang gebraucht, bis er mich erreichte. Doch ist er auch jetzt noch wichtig, denn nun weiß ich erst richtig, wie Ihr dort erst in Reserve wart, dann ich den vorderen Graben gekommen seid.  Ich habe schon oft am Abend nach dem großen Wagen geschaut und dabei gedacht, daß Du ihn vielleicht auch gerade siehst. Die Entfernung zwischen Dir und uns kommt mir dann nicht mehr so unermeßlich vor. In den letzten Woche konnte ich ja leider nicht ins Freie, aber auch so habe ich immer an Dich gedacht.  Heute haben die Kinder wieder 4 Reihen Kartoffeln ausgegraben mit 60 Pfund. Ich habe im Waschhaus unsere Winterkartoffeln inzwischen ausgelesen. Im Garten, auf dem unebenen Boden kann ich noch nicht richtig stehen und also auch noch nicht schaffen.  Gestern habe ich 10 Nelkensetzlinge gekauft. Es sind winterharte. Es würde mich freuen, wenn sie etwas würden, denn sie haben immer solch schönen Duft. Ich habe ihn am Rosenstock gesetzt.  Von Papa erhielt ich einen Brief mit neuen Briefmarken. Ein bißchen hat er sich wieder mit Erna versöhnt.  Von Siegfried erhielt ich eine Karte vom 26.9. Er schreibt, daß er meine Karte mit Deiner neuen Fp.Nummer erhalten hat. Er mußte am 26. wieder zum Einsatz nach vorn.  Da denke ich gerade daran, daß Du ja auch die Nummer von Siegfried haben wolltest. Sie lautet: 28 291.  Am Nachmittag war Jörg beim schaffen. Helga hat erst den Brief an Dich auf die Post geschafft, dann ist sie zur Ingrid gefahren. Dort ist sie eine ganze Weile geblieben, dann ist sie mit ihr hergekommen und sie haben mit den Puppen gespielt und hinterher geturnt. Nachdem Ingrid heimgegangen war, haben wir Abendbrot gegessen. Nun werden wir bald schlafen gehen. Das war heute ein Gekichere, als Helga und Ingrid beieinander waren. Haben die Zwei einen Unsinn geschätzt. Man mußte gerage selber lachen.  Na, Du kennst es ja.  Vater hatte zu Anfang, als ich nicht laufen konnte, gesagt, daß er käme zum Äpfel runter machen. Vor einigen Tagen meinte er, er käme jetzt bald, wenn er den Schuppen ganz fertig hätte. Inzwischen haben wir nun aber schon selber geerntet. Jetzt könnte man‘s auch garnicht mehr richtig tun, weil die Äpfel ganz lose hängen und beim berühren gleich mehrere runterfallen.  Mit der Leiter hatte ich diese Jahr auch Ärger. Scheinbar war es den Leuten zu wenig, was sie an Äpfeln bekommen hatte. Ich meine die Leute bei Steinmehls. Der Junge hatte doch mit pflücken wollen. Als er ca. 25 Pfund runter gemacht hatte in 2 Tagen, ließ er gleich fragen, was er von den Äpfeln bekommen könnte. Ich sagte, ich müßte sie erst einmal aussortieren. Inzwischen haben Helga und Jörg oben noch gepflückt. Am nächsten Abend kam der Junge und sagte, er müßte die Leiter mitnehmen. Seine Mutter hätte gesagt, es könnte ja ein Angriff kommen, da brauchte man die Leiter. Wenn wir sie wieder brauchten, könnten wir sie ja wieder holen. Es hängen ober nicht mehr viele und ich lasse sie am besten fallen. Betteln mag ich nicht jedes Mal. Ich habe eine Tasche Äpfel rüber geschickt fürs Borgen und pflücken, damit mir niemand was nachsagen kann.  Abgesehen davon hat der Junge schon auf dem Baum genug gegessen. Frau Leimenstoll sagte mir schon, daß die Buckenleibs so profitlich sind. Es scheint auch wahr zu sein. Doch da ärgere ich mich nicht lange.  Nun laß mich wieder schließen. Ich grüße und küsse Dich recht, recht oft. 

Deine Annie.

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