Donnerstag, 19. März 2020

Brief 843 vom 9.12.44


Mein liebster Ernst!                                                                                              9.12.44    

 Ich bin ja so mächtig froh, daß ich gestern nach fast zwei Wochen gleich 4 liebe Briefe von Dir erhielt. Helga meinte gestern „Ich glaube, ich habe ein anderes Mutterle gekriegt. Eben hast Du noch still und ernst dagesessen, jetzt auf einmal bist Du lustig und fröhlich“. Als ich sie vor lauter Freude kitzelte und ein bißl kniff, meinte sie lachend, ich kitzelte sie halb zu Tod und soviel Briefe dürften nicht gleich wieder kommen. Im übrigen haben sich die Kinder genau so gefreut. Wenn ich Dich hier haben könnte, würde ich Dich vor Freude irgendwie pisacken. Erst würde ich Dich umarmen und Dich abküssen, dann würde ich Dich vielleicht noch an den Haaren raufen, damit Du nicht zu sehr verwöhnt wirst. Zu viel Verwöhnung ist nicht gut, das siehst Du doch ein, nicht wahr? Um die Freude voll zu machen, habe ich heute Nacht noch von Dir geträumt. Ich habe Dich wieder einmal gesehen, mit Dir gesprochen und war glücklich. Noch nach dem Aufstehen war ich froh und bin es jetzt noch.  Na ja, es muß einem nicht zu wohl werden. Gerade klingelete es und wer steht draußen? Eine Frau aus Weil, die uns zum schlafen zugewiesen ist. Übrigens eine nette Frau. Aber sie hat selber gesagt, daß sie auf die Dauer wohl nicht auf dem Sofa schlafen könnte. In den nächsten Tagen kommt sie noch nicht, da schläft sie noch bei ihrer Schwester, die auch schon 6 Personen der Familie aufgenommen hat. Ich werde ja sehen, was dann wird. Jedenfalls will ich mich noch nicht ärgern. Ich will mich auch nicht die Freude an Deinen lieben Briefen verderben lassen.  Den kleinen Taschenspiegel habe ich Dir schon in einer Zeitung mitgeschickt. Hoffentlich erhältst Du ihn ganz. Sonst habe ich noch einen weiteren da.  Haben wir uns früher wirklich mit Schätzlein angeredet? Ich kann mich garnicht mehr erinnern. Aber daß wir bezw. ich nun abgeklärt sei und kühler, das kann ich nicht behauptebn. Bei Dir kann ich es ja nicht genau wissen. Ich jedenfalls habe Dich genau so lieb wie früher und ich bin glücklich, daß ich Deine Frau bin. Du siehst, ich mache Dir nach 13 jähriger Ehe noch Liebeserklärungen. Lachst Du darüber?  Ich bin froh, daß Dich die Mitteilung meiner Speisezettel beruhigt hat. Was sollst Du Dir auch unnötige Sorge machen. Wir hungern tatsächlich nicht.  Wenn ich nun in Deinem Brief lese, wie Du im Mantel im Bunker sitzst und schreibst, so denke ich auch daran, daß Du ja eigentlich auch nie allein dort bist. Du hast immer jemand um Dich. Da ist es eigentlich auch nicht recht von mir, wenn ich wegen der Einquartierung maule. Die Leute haben es ja auch nicht leicht und sind auch schweren Herzens von daheim fort gegangen. Wenn es einem selber so ginge, wäre man auch froh, wenn man irgendwo unterkommen würde.  Du hattest geschrieben, ob Jörg genug zum Anziehen habe, sonst könnte ich etwas von Dir nehmen, evtl.  die SA Uniformhose. Das habe ich nun getan. Ich habe sie ihm zu einer langen Uniformhose umgearbeitet. Ganz neu war sie ja sowieso nicht mehr. Ich denke, Du wirst später schon eine neue bekommen,. Eine Uniformhose hatte Jörg ja schon, aber da hatte ich keine richtige Farbe zum färben, nun läßt sie immer Farbe. Ich habe schon bei Papa um Farbe angefragt. Wenn Jörg dann 2 Hosen hat, ist es desto besser. Ich danke Dir sehr, daß Du Deine Hose geopfert hast.  Eigentlich wolle ich noch weiter schreiben, aber durch die Frau bin ich so aufgehalten worden und nun wird es bald dunkel, da will ich noch den Brief forschaffen. Am Rad habe ich kein Licht.  Ich grüße und küsse Dich, mein lieber Ernst, und bin immer Deine (wieder frohe) 

Annie. 

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