Mein liebster
Ernst! 13.11.44
Meine Hoffnung war
nicht vergebens, gleich am 1. Tag der Woche habe ich zwei liebe Briefe von Dir
erhalten, Nr. 101 und 102 vom 30. und 31.10. Du kannst Dir denken, daß ich mich
mächtig gefreut habe. Besonders freut
es mich, daß Dein Fuß, bezw. Dein Knie wieder soweit geheilt ist, daß Du nicht
mehr hinken mußt. Du hast in Deinem
Brief so manches wieder in Erinnerung gerufen von dem, was vor Jahren war. Mir
geht es auch manches Mal so, daß ich an alles denke, wenn ich abends im Bett
liege. An unsere Faltbootfahrt nach Karlsruhe habe ich erst vor Tagen denken
müssen, als die feindlichen Flieger die Orte bombadierten, die in dem gestrigen
Zeitungsausschnitt genannt wurden. Auch
ich kann von mir sagen „jung gefreit, hat mich noch nie gefreut“ ein Versprecher, auf den mein Vater noch
eingeht) und wenn Du dasselbe in Deinem Brief schreibst, so hat mich das sehr
froh gemacht. Diese schönen Jahre kann
uns niemand nehmen und wir werden uns immer an ihnen freuen können. Ich bin
durch Dich sehr glücklich geworden, und wenn ich Dich auch froh gemacht habe,
so bedeutet das für mich die größte Freude. Ich hoffe, daß wir noch recht viele
Jahre zusammen verleben können und mit uns unsere Kinder, denn ein Leben mit
Dir zusammen kann nicht lange genug währen.
Die Brotzuteilung ist bei uns n
i c h t noch einmal gekürzt worden. Es
ist also nur ein Gerücht. In Leipzig
weiß man wirklich nicht, wem man zustimmen soll. Ich verstehe Erna und auch
Papa. Papa darf nur nicht vergessen,
daß Erna nun einmal nicht seine Tochter
ist. Sie ist doch ganz anders geartet und erzogen. Ein Spalt wird da wohl immer
bleiben. Papa tut die verschiedenen Arbeiten ja eigentlich auch nicht ihr
zuliebe, sondern wegen Siegfried. Erna nimmt natürlich auch alles wörtlich und
ist nicht geneigt, einmal über etwas hinwegzusehen. Wenn Siegfried daheim wär,
wäre es natürlich auch nicht gesagt, ob alles friedlich abgehen würde.
Siegfried braust auch leicht auf. Am besten ist es, man kümmert sich garnicht
um diese Sachen. Wenn Du an einem Tage
gleich 3 Mäuse gefangen hast, so muß die Plage schon groß sein. Laßt Ihr die
Mäuse im Wasser ertrinken oder macht Ihr sie gleich hin? Ich brächte das nicht
fertig. Ich bin froh, daß sie in unserer Falle gleich tot sind. Das ist fein, daß Ihr einmal Streußelkuchen
bekommen habt. Den ißt Du doch auch besonders gern, nicht wahr? Das Buch „Der liebe Augustin“ hatte ich
wirklich schon einmal gelesen. Aber es hat mir auch diesmal wieder sehr gut
gefallen. Es hat heute den ganzen Vormittag geschneit. Die Häuser und Gärten
bieten ein winterliches Bild. Da liegt der Schnee schon einige Zentimeter hoch.
Nur auf der Straße, o je, da ist ein Matsch. Man überlegt sich direkt, ob man
wirklich durchlaufen soll. Wenn es dann nicht anders geht, dann kommt man eben
mit nassen Strümpfen heim, wie es mir heute ging, als ich vom nähen kam. Ja,
der Winter hält zeitig seinen Einzug. Ganu bin ich bis jetzt noch nicht einmal
zum umgraben gekommen. Ein kleines
Stück liegt im Garten noch so da, aber es ist wenigstens eins, wo Kartoffeln
drin waren. Das ist sowieso schon locker. Ich bin aber nicht allein noch nicht
fertig, Herr Zahn hat überhaupt noch nicht umgegraben. Das gute Wetter bisher
hat getäuscht, daß man meinte, der Winter sei noch ziemlich weit. Heute Morgen habe ich das Schulgeld für
Helga bezahlt. Oktober hat man nicht bezahlen müssen. Nun will ich aber schließen. Ich will noch ein bißchen was
schaffen, ehe ich schlafen gehe. Laß
Dir deshalb jetzt recht viele liebe Grüße und Küsse senden von
Deiner
Annie.
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