Donnerstag, 19. März 2020

Brief 828 vom 17.11.44


Mein liebster, bester Ernst !                                                                                        17.11.44        

Eigentlich sollte der hundertste Brief besonders schön werden. Aber leider wird dies nicht der Fall sein, denn Dich erwartet ein Gewitter. Wir erhielten heute Deine lieben Briefe Nr. 100vom 28.1o. und 105 vom 3.11. Wir haben uns sehr darüber gefreut, bis auf die eine Stelle, wo Du schreibst, Du hättest Dir wegen der gegenwärtigen Ernährungslage überlegt, ob du uns die Weihnachtspäckchenmarken senden sollst oder nicht. Da hat es einen Proteststurm gegeben. Haben Dir nicht die Ohren gegellt, als wir so empört waren? Nur gut, daß Du die Marken doch gesandt hast. Da wäre ich wirklich böse gewesen, wenn du sie behalten hättest. Wir haben wir uns schon gefreut, daß wir Dir was schicken können. Es sind ja nur 2 kleine Päckchen, die man schicken kann. Was geht da schon viel rein.?Das ist garnichts. Einige Marken mehr wären mir lieber gewesen. Jeden Brief habe ich in der Erwartung aufgemacht, daß die Päckchenmarken drin sind und nun wärst Du bald auf die Idee gekommen, sie garnicht zu schicken. Nein, da muß ich immer wieder mein weises Haupt schütteln und mich wundern, auf was für eine Idee doch so ein schlimmer Mann kommen kann. Meinst Du, wir hätter die geringste Weihnachtsfreude gehabt, wenn wir Dir nichts schicken könnten? Warum hast Du immer solche Sorge, daß wir uns was absparen müssen. Wenn ich was für Weihnachten zurückbehalten habe, so haben wir alles Drei bestimmt nichst davon gespürt. Wir sind immer satt geworden. Wenn es weiter so bleibt, wie bisher, so bin ich schon zufrieden. Gestern Mittag hatten wir Kartoffeln, Gulasch und Rotkraut. Am Abend gab es Bratkartoffeln, Griessuppe (in Knochenbrühe) und Butterbrot. Heute hatten wir zu Mittag grüne Bohnen, am Abend Kartoffelbrei mit Fleischkäs.  Das sieht doch nicht nach verhungern aus. Ich muß Dich immer wieder bitten, mach Dir doch bitte keine Sorgen um uns. Es ist bis jetzt wirklich nicht notwendig.  Ich glaube, das würde mich kaputt machen, wenn ich nicht richtig schlafen könnte. Ich bin doch so ein Schlafratz. Mit wahrer Begeisterung lege ich mich abends ins Bett und bin immer von neuesm dankbar, daß ich es noch kann. Wir haben es ja noch so gut.  Ich sende Dir gern immer einige Bogen Briefpapier und ich freue mich, daß Du an mich deshalb schreibst und nicht wieder an Papa. Ich komme mir sonst vor, als könnte ich überhaupt nichts für Dich tun. Zwar, das letzte Mal hast Du auch an mich deshalb geschrieben. Das will ich nicht vergessen.  In der Werkstube arbeite ich ja nun nicht, nachdem ich nähen gehe. Eins von beiden kam ja nur in Frage. Du mußt also keine Angst haben , daß ich mir zuviel vornehme.  Ja, groß ist der Verdienst nicht. Man müßte schon schlimm schuften, wenn ma mit dieser Arbeit seinen Unterhalt verdienen wollte. Was ich mit meinem großen Verdiienst mache? Ja, das weiß ich eigentlich auch nicht. Ich brauchte ihn eigentlich nicht. Einen Teil werde ich dem Roten Kreuz bezw. den Haussammlungen geben. Das andere werde ich vielleicht sparen.  Du spottest ein bißchen, daß Jörg einige Züge aus einer Zigarette gemacht hat. von sich aus wäre er ja sicher nicht darauf gekommen. Man sieht aber, daß nichts dabei raus kommt, wenn so große Bengel mit den Buben gehen. Deine lustig gemeinte Bitte, daß er nur fleißig üben soll, damit er Dir einmal etwas vormachen kann, habe ich nun nicht ausgerichtet. Denn ihm war es sehr ernst, als er mir versprach, so was nicht mehr zu tun. Da möchte ich‘s nicht ins Lächerliche ziehen. Das wirst Du mir doch sicher nicht übel nehmen.  Das Buch vom Frenssen hat mir nun doch nicht ganz so gefallen. Es ist ein bißchen eigenartig gewesen und ich habe von lesen Kopfweh bekommen. So genau kann ich das im Brief nicht erklären. Es kommen dabei unheimliche Träume vor, die sich dann erfüllen, dann eine Schuld vom Urgroßvater her usw. Ich war richtig ein bißchen durcheinander, als ich es gelesen hatte.  Morgen werde ich sicher im Garten fertig umgraben, wenn das Wetter gut ist. Der Schnee ist ja schon wieder weg. Nur kühl ist es natürlich. Früh ist alles bereift. Aber bei Dir dort ist es ja noch kälter, wenn Du sogar das Eis vom Wasserbehälter abschlagen mußt.  Doch nun ist es wieder Zeit zum schlafen gehen. Ich sage Dir deshalb gute Nacht und grüße und küsse Dich ganz fest und herzlich 

Deine Annie.

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