Donnerstag, 19. März 2020

Brief 808 vom 22.10.44


Du liebster Schatz!                                                                                               22.10.44         

Ehe wir schlafen gehen, will ich noch an Dich schreiben. Der Sonntag ist ja nun wieder vorbei. Am Morgen wollten die Kinder in die Jugendfilmstunde der HJ gehen, aber Helga kam bald wieder heim, da der Film nicht eingetroffen war. Jörg war in den Märchenfilm Rumpelstilzchen gegangen. Wir haben gegen ½ 1 Uhr Mittagbrot gegessen Dann gingHelga zu Ingrid und Jörg mit seinen Freunden in den Wald. Helga kam bald wieder heim, da es Ingrid nicht recht war. Ich hatte inzwischen ihren blauen Mantel ein bißchen abgeändert. Ich hatte auf die Taschen und Aufschläge Pelz gesetzt. Nun sieht es gleich wieder anders aus. Jörg kam nach 5 Uhr heim. Er erleichterte vorhin noch sein Gewissen und sagte, daß der eine große Bub eine Zigarette geraucht habe und er habe auch 2 Züge geraucht. Er müßte es mir sagen, sonst könnte er nicht froh sein. Ich habe nicht geschimpft, sondern nur gesagt, ich hoffe, daß er es nicht wieder tut.  Wir haben dann bald Abendbrot gegessen. Es gab erst Bratkartoffeln, dann Brot mit Wurst, Hackfleisch, Fett oder Butter. Dazu zur Feier des Sonntags einmal Tee, Lindenblütentee.  Nach dem Abendbrot haben wir Schulaufgaben gemacht. Helga hat „Subtraktion von Brüchen“. Das war ein neues Gebiet. Da es aber im Buch ziemlich verständlich gemacht war, konnte ich es Helga richtig erklären und zeigen. Jetzt hat sie sich schon gut hinein gefunden. Ich muß mich auch immer erst wieder dran gewöhnen, denn sonst brauche ich ja sowas nicht. Eins mußte ich feststellen. Sachen, die mir in der Schule ein Greuel waren und mir schwer fielen, kommen mit jetzt so leicht vor, trotzdem ich sie lange nicht gemacht hatte.  Jörg liegt natürlich jetzt wieder auf seinen Decken. Das ist sein Lieblingsaufenthalt. Da kann er sichs so richtig bequem machen.  Daß ich gestern in die Stadt gelaufen bin, habe ich heute wieder büßen müssen. Ich konnte fast nicht laufen. Der Fuß hängt dann wie Blei am Bein. Ich darf eben doch noch nicht viel gehen. Der Fuß schwillt dann etwas an und die obere Wunde zieht und spannt. Ih muß eben immer wieder Geduld haben, bis der Fuß voll einsatzfähig ist.  Nun machen wir Feierabend. Bleib mir immer gesund. Immer sind jetzt Kämpfe in Deiner Nähe und ganz sicher auch bei Dir. Ich denke immer an Dich, wie es Dir wohl gehen wird und wie schwer Du es haben wirst. Die Kämpfe sind ja so hart. Laß dich wieder grüßen und oft, recht oft küssen von Deiner, nur 

Deiner Annie.

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