Mein liebster Ernst! 9.3.45
Du bist mir bitte nicht böse,daß ich gestern Abend nicht
mehr geschrieben habe. Ich kam nach 8 Uhr vom Kino heim. Da hatten mir die
Kinder einen schönen Begrüßungstisch aufgebaut. Dabei stand „Guten Abend,
liebes Mutterle“ ein Strauß und ein Kränzchen von künstlichen Blumen war dabei
und eine brennende Kerze und unter dem Tisch spielte die Musik. Vater war auch
da. Er hat sich dann lange mit mir unterhalten. Als er dann ehim ging, sind wir
alle Drei gleich ins Bett gegangen. Ich war auch so müd. Heute erhielt ich seit
Deiner Abfahrt die erste Nachricht von Dir. aBer nicht aus Leipzig, sondern aus
Hamburg. Es sind die Briefe Nr. 27 und 28 vom 26. und 27.2. Daran hätte ich nun
doch nicht gedacht, daß Du doch noch nach Hamburg fahren würdest und hinterher
wieder nach Leipzig kämst. Einen kurzen Besuch hattest Du doch noch in Leipzig
gemacht. Ich konnte mir schon denken, daß alles noch so war. wie wirs uns gedacht hatten. Denn wenn ich
in Papas Briefen schon lese „Lotte hat eben auch immer ihre Sorgen als
Hausfrau“, dann kann ich mir ihre Leidensmiene schon vorstellen. Wir anderen
leben jetzt auch nicht im Paradies. ABer ob man deshalb immer jammern muß, das
glaube ich nicht. Bei Erna bist Du also gut aufgenommen worden. Ich hatte mirs
schon gedacht. Daß Dich die Leute in
Hamburg so gut aufgenommen haben, das setzt mich schon mehr in Erstaunen. Und
Du hast nur einer Frau unterwegs geholfen? Es gibt doch noch eigenartige
Sachen. Scheinbar hatten die Leute aber in allen Sachen keinen Mangel. So ist
es ihnen wahrscheinlich nicht so schwer gefallen. Das Gute hat es ja gehabt,
daß Du die Tage in Hamburg Dich um nichts sorgen mußtest. Etwas weh tut es ja,
daß Dich fremde Leute gast besser bewirten konnten als uns das daheim möglich
war. Aber leider beherrsche ich ja die Kunst des organisierens nicht, das weißt
Du ja. Ein Minus, welches sich aber wohl nicht gleich beheben lassen wird. Wenn ja meine Briefe an Dich so lange brauchen,
wie die von Dir hierher, dann hast Du noch keine Nachricht von mir in Leipzig
vorgefunden. An vAter werde ich die
Grüße ausrichten. Ob Du wohl jetzt noch in Leipzig bist? Ich hatte gestern eine Karte an Papa
geschrieben, damit er auch einmal einige persönliche Zeilen von mir bekommt,
denn wenn Du nicht mehr in L. sein solltest, hat er ja nur immer Briefe zum
Weiterleiten. Ich hoffe Dich auch
weiterhin gesund, nachdem erst gestern auch Leipzig wieder angegriffen worden
ist. Und eins bitte ich Dich, behalte uns auch weiterhin lieb. Denn wenn dies
nicht der Fall wär, so wär es besser zu sterben. Ein treues Herz brauche ich
doch. Laß Dich auch heute wieder recht
herzlich grüßen und in Liebe küssen von
Deiner Marianne.
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