Mein lieber, guter Ernst ! 9.10.44
Vier liebe Briefe habe ich heute von Dir erhalten, von denen
zwei rechte Bummelanten gewesen sind. Es sind die Nummern 56, 57, 61, 68 vom
16., 17., 22. und 29.9. Du erinnerst in einem Brief an die Samstage in früheren
Jahren. Ja, da war es noch schön. Man hatte immer schon eine Vorfreude auf den
Sonntag. Wir haben uns nicht viel geleister, aber einen Kuchen haben wir doch
immer gebacken. Das hattest Du Dir auch ausbedungen. Du hast ja nicht geraucht
und bist nie forgegangen, aber den Sonntag wolltest Du (unleserlich) schön haben und wir waren davon begeistert.
Denn was gab es schöneres als Kuchen und einen herrlichen Spaziergang durch den
Wals oder auf den Tabor, oder eine Fahrt mit dem Rad am Sonntag. Außer Flöhen hast du nun auch Läuse
bekommen. Das wird Dir sicher auch schlimm sein, nachdem Du Dich bisher immer
davon frei halten konntest. Das Entlausen wird doch sicher auch nicht lange
vorhalten, denn Euer STroh wird doch wahrscheinlich nicht gleichzeitig
erneuert. Hast Du die Läuse eigentlich in Eurer Ruhestellung vorübergehend los
werden können? Ich glaube, Du machst Dir immer wieder Sorge, daß Du uns nichts
mehr schicken kannst. Deine Sorge ist wirklich unbegründet. Wir kommen gut
duch, ganz bestimmt. Natürlich war es sehr schön, als Du uns früher immer etwas
schicktest und daß wir uns immer riesig gefreut haben, das weißt Du ja. Wir
hätten ohne diese Sachen manches nicht gehabt. Aber es geht nun auch so, glaub
mir. Sorgen mußt Du Dir keine machen.
Eine tolle ABwascherei habt Ihr ja dort. Der Sand muß Euch hinterher
schön zwischen den Zähnen knirschen. Aber es geht ja nicht anders und so mußt
Du Dir helfen wies geht. Als ich lesen konnte, daß Du den ersten Brief von uns
erhalten hattest, habe ich mich so sehr gefreut, daß ich den ganzen Tag froh
war. Da war doch erst wieder richtig die Verbindung zwischen uns hergestellt. Es kommt mir fast so vor, als denkst Du, ich
meine Jörg sei oberflächlich, weil er der erste nach Deiner Abreise war, der
wieder fröhlich war. Das meine ich aber absolut nicht. Erstens ist er ja ein
Junge, der empfindet vielleicht etwas anders als wir und außerdem ist er noch 2
Jahre jünger als Helga. Er ist noch ein kleiner verspielter Kerl, wie Du sebst
schreibst. Augenblicklich versucht er ja, seinen Willen durchzusetzen. aber ich
stemme mich dagegen und heute Mittag habe ich ihn mal wieder verhauen. Erst
hatte er ja einen schrecklichen Zorn darüber, aber als er dann schaffen ging,
war er wieder friedlich und hat mir
einen Kuß zum aBschied gegeben. Wenn
Dein Rauchwarenpäckchen eiontrifft, werde ich es auf Papa und Vater verteilen.
Es freut mich aufrichtig, daß Du das Vertrauen Deines Vorgesetzten und auch
Deiner Kameraden besitzst. Es freut mich auch, daß Du mir davon schreibst. Ich
will doch auch mit auf Dich stolz sein können und mich mit Dir freuen. Heute Vormittag habe ich zum ersten Mal mit
den Kindern Schulaufgaben gemacht, d.h. mit Helga habe ich schon einmal
gerechnet. Jörg rechnet mit mal, durch, und und weg bis zu 1000, mal und durch
bis 100 Helga rechnet Aufgaben folgender Art: (Rechnungen mit Klammern) . Das
Klammer auf, Klammer zu, habe ich dabei nun auch gelernt. Englisch haben wir
auch durchgenommen und bei Jörg Deutsch. Das Rechnen geht bei Jörg etwas
schwierig, d.h. er hat manches vergessen.
Zuletzt ging es schon ganz gut.
Unseren Kindern machen die langen Abende Freude. Sie finden es so
gemütlich, wenn wir zusammen sitzen. Oft holen sie sich ja die verschiedenen
Decken, die Steppdecke dazwischen, damit sie weich liegen und lesen liegend.
Das ist ihnen der höchste Genuß. Heute war ein trüber Tag. Am Abend fing es
noch mächtig zu regnen an. Um 4 Uhr mußte man schon Licht anmachen, wenn man
etwas sehen wollte. Ich habe heute
wieder einmal Schuhe repariert. Lange habe ich ja nichts tun können. Da war
verschiedenes kaputt. Doch nun bin ich
müd und höre auf zu schreiben. Dir schicke ich noch viele, recht liebe Grüße
und Küsse
Deine Annie.
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