Du lieber Schatz! 18.10.44
Heute war ich wieder schaffen. Es hat mir auch heute wieder
gefallen. Wie ich Dir schon schrieb, sind im Z‘hof nur arbeitsverpflichtete
Frauen. Nun mußte ich heute zu einer Frau Steinhart von der Frauenschaft, um zu
fragen, ob eine Nebenstube für Freiwillige eingerichtet würde und ob mich die
Frau Rees inzwischen noch bei den Vepflichteten aufnehmen kann. Sonst müßte ich
in die Schule. Die Frau Steinhart hatte nichts dagegen, sie meinte, ich könnte
auch in einer Werkstube mithelfen, wenn ich Lust hätte. Ich überlege mirs
noch. Am Abend habe ich mit den Kindern
wieder Schularbeiten gemacht. Rechnen und Englisch. Am Morgen habe ich den Ofen und das Ofenrohr in der Küche
geputzt. Es ist ja nörig, ehe es kalt wird und man wieder oft heizt. Es hatte
sich auch schon genügend Ruß angesetzt, sodaß die Arbeit wirklich nicht
überflüssig war. Ich schrieb Dir schon
einmal, daß die Schweiz die Grenze kennzeichnen will. Jetzt sieht man von
unserem Speicher aus auch scon 3 Häuser in gewissen Entfernungen, die das weiße
Kreuz auf rotem Grund aufgemalt haben, wie bei uns die Lazarette das rote
Kreuz. In der Küche haben wir jetzt
wieder das Doppelfenster drin und auf dem Fensterbrett blüht wohlbehütet Dein
Priemelstock. Er blüht jetzt wirklich, was mich sehr freut. Das Doppelfenster kann
man jetzt schon brauchen, denn seit heute Nachmittag hat sich ein Sturm mit
Regen erhoben, das ist schon garnicht mehr schön. 19.10. Gestern Abend sind wir schlafen gegangen, denn ich war
sehr müd. Vorher habe ich mir noch die Rede des Reichsführers SS Himmler zur
Ausrufung des Deutschen Volkssturms angehört. Man sieht auch daraus wieder, in
welch ernster Zeit wir leben, aber man sieht wenigstens auch, daß man nicht
einfach die Hände in den Schoß legt.
Heute Nacht hat der Sturm auch nicht nachgelassen. Ich dachte jedes Mal,
als ich in der Nacht aufwachte an Dich,
ob Du wohl auf Wache stehen mußt, oder ob Kämpfe im Gang sind. Ich weiß nicht,
ob es richtig ist, aber ich meine, bei so einem Sturm, der alle Geräusche so
verschluckt, ist es doch schwer, eine Annäherung des Feindes zu erkennen. Wie
viel leichter haben wir es da noch daheim, wo wir in unseren Betten liegen
können. Nachher will ich noch mit den
Kindern in die Stadt gehen. Zuerst möchte ich mich auf dem Arbeitsamt
erkundigen, ob und in welcher Höhe Jörg eine Entschädigung bei seiner Arbeit
erhalten muß. Das Mädel, die auch mit beim Leirer schafft, ist schon länger als
Jörg da und hat noch keinen Pfennig bekommen. Da mache ich aber nicht mit.
Außerdem wollen wir nach Schuhen sehen, denn den Kindern stehen 1 Paar
Lederschuhe und 1 Paar leichte Schuhe wieder zu. Laß mich nun schließen. Bleib mir immer gesund mein liebster
Ernst, und laß Dich herzlich und recht oft grüßen und küssen von
Deiner Annie.
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