Mein liebster, bester Schatz ! 12.10.44
Zwei liebe Briefe habe ich heute von Dir erhalten, vom 28.9.
und 2.10. Inzwischen hat sich ja Deine
Frage nach der Art meiner Verletzung erledigt, denn im Brief vom 4.10.
schriebst Du ja, daß Du den 3. Teil meines großen Briefes erhalten hast. Wenn Resi ein Pflegkind angenommen hat, so
will ich deshalb noch lange nicht das gleich tun. Da wollte ich schon lieber
ein eigenes, das ich dann auch behalten kann. Resi muß die kleine Petra ja auch
wieder abgeb en und sie tut es schon jetzt nicht gern. Ich bin auch sehr froh,
daß ich Jörg beim schaffen in der Nähe habe. Er ist da jederzeit bald daheim.
Man ist schon wegen den Gliegern ruhiger, wenn man die Kinder am Ort hat.
Voralarm wegen Tieffliegern haben wir jetzt genug. Wir sind Gottseidank bis jetzt verschont worden, aber überall in
der nähe haben sie Züge beschossen. Vor allem auch im Scharzwald. In dem
kleinen Ort Bonndorf wohnt die Tochter von Frau Nußbaumer. Die hat jetzt
geschrieben, daß Flieger den Zug dorthin (von Donaueschingen aus) beschossen
haben. Er ist vollkommen ausgebrannt. Eine evakuierte Frau, die mit ihren 7
Kindern in Bonndorf untergebracht ist, war zur Trauerfeier für ihren gefallenen
Mann gefahren. Als der Zug angegriffen wurde, packte sie noch ihr Gepäck und
kam dadurch nicht so schnell vorwärts. Da haben sie die Flieger erschossen. Ein
Mann, der seine hochschwangere Frau in die Klinik zur Entbindung bringen
wollte, wurde auch erschossen. Seiner Frau wurde 1 Bein entzweigeschossen. In
der Klinik hat sie dann Kaiserschnitt bekommen und ist dabei auch ihren
Verletzungen erlegen. Es gibt soch jetzt oft furchtbares Elend. Es ist doch er
reinste Mord, den unsere Feine treiben. Aber vielleicht wird es doch noch
einmal gerächt. Es sieht ja nicht rosig bei uns aus, aber ich will die Hoffnung
nicht verlieren. Wer sich selbst aufgibt, der ist schon verloren. Bei unseren
Feinden ist es bstimmt auch nicht rosig. Besser ist es noch, zu kämpfen, als
sich peinigen und verschleppen zu lassen. Ein Familienkleben gäbe es bei einer
Niederlage für uns ja doch nicht, das sieht man ja daran, wie die Feinde in
besetzten Gebieten hausen. Du wunderst
Dich, wie wenig sich Vater um mich gekümmert hat. Er hat wohl einmal gesagt, er
will mithelfen beim Kartoffeln raus machen und Äpfel pflücken, wenn er mit dem
Schuppen fertig ist. Aber das dauerte ja zu lange. Als ich zu den Kindern
sagte, ich wollte Vater nochmals bitten, daß er mithilft, haben sie mich
flehentlich gebeten, es nicht zu tun. Lieber würden sie sich sehr anstrengen.
Sie bekämen es schon fertig. Großvater hätte doch nur immer was auszusetzen und
man machte ihm nichts recht. Als wir gestern Kartoffeln holten, waren die
Kinder froh, daß ich mitging, sie hätten voriges Mal mit Großvater so viel
aushalten müssen, meinten sie. Du kennst ihn ja. Da sollen sie dies und jenes
nicht tun, da müssen sie dort stehen bleiben und ja aufpassen. Da wollte Vater,
nachdem ich es ihm am Abend vorher doch schon auszureden versuchte, alle 4
Zentner zu sich hinfahren, einen abladen und die restlichen drei wieder zu uns
fahren. Da haben aber die Kinder zu energisch protestiert und so haben sie am
Güterbahnhof nochmals abgeladen.
GEstern war er ja auch verärgert. Er hatte am Abend vorher gesagt, ich
sollte nicht gleich um 8 gehen, lieber etwas später, es wäre so ein Gedränge.
Ich schiebe aber so was nicht gern weiter raus und sagte, gar so spät ginge ich
nicht, ich würde mir die Sache mal ansehen. Ob ich seine Karte mitnehmen
sollte. Das wollte er auch nicht. Es wollte sich die Kartoffeln erst selber
ansehen. ½ 10 wollte er kommen und mich evtl. ablösen. ½ 9 sind wir gekommen,
um 10 Uhr waren wir auf dem Heimweg und VAter war noch nicht gekommen. Wir
haben daheim ausgeladen und ich wollte zu ihm runter fahren, damit er weiß, daß
wir schon daheim sind. Da kam er schon angelaufen und wollte den Wagen holen.
Er hätte schon bezahlt. Er hatte Nr. 81, ich hatte 35. Nun mußte er sich
nochmals solange anstellen. Aber ich konnte nichts dafür. Na, nun haben ja unsere Kinder die
Kartoffeln allein geerntet und ich kann Dir sagen, daß sie nicht wenig stolz
darauf sind. Heute Vormittag habe ich
wieder mit den Kindern Aufgaben gemacht. Am Nachmittag haben wir die
Kartoffeln, die wir zum trocknen ausgebreitet hatten, sortiert und in den
Keller gebracht. Den Keller mußten wir auch erst auf und umräumen, damit wir
für alles Platz hatten. Ich habe mir schon Gedanken gemacht, ob ich die
Luftschutzsachen unten lassen soll, wenn es jetzt wieder feucht wird. Ich
möchte ja die Sachen nicht gern verstocken lassen. Aber oben sind sie eben auch
unsicher. Was würdest Du tun? Nun ist
es wieder Schlafenszeit. Helga sitzt schon ausgezogen neben mir und liest noch
einstweilen. Jörg ist noch beim ausziehen. Da muß man immer und immer wieder
schimpfen, damit er fertig wird. Bleib
mir gesund, mein liebster Ernst und laß Dich immer wieder fest und herzlich
grüßen und küssen von
Deiner Annie.
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