Mein liebster
Ernst! 16.11.44
Heute erhielt ich
gleich drei liebe Briefe von Dir, Nr. 104, 106, 1o8 vom 2., 4. und 6.11.
Jedesmal ist es doch wieder eine große Freude, wenn solch liebe Grüße von Dir
kommen. Und nun kamen noch die 2 Päckchenmarken mit. Das ist mir wirklich eine
Beruhigung, daß ich sie jetzt da habe. Hoffentlich kommen dann aber auch die
Päckchen richtig bei Dir an. Wegen
seines Verhaltens mir gegenüber mußt Du
n i c h t an Vater schreiben. Wir zanken uns ja auch nicht gerade. Meist
geht ja alles gut. Nur manchmal könnte ich zapplig werden. Aber das geht ja
vorbei und hinterher sage ich mir dann selbst, daß es Unsinn ist, sich
aufzuregen. Aber ich mußte mich Dir gegenüber einmal aussprechen und Du wirst
mirs ja sicher nicht über nehmen, nicht wahr? Recht hast Du, wenn Du sagst, daß
Vater so belehrend vorbringt, daß man direkt zum Widerspruch gereizt wird.
Vater hat manchmal nicht gerade Unrecht, aber zustimmen tue ich ihm trotzdem
nicht, denn ich bin vorsichtig geworden. Bei anderer Gelegenheit hält er einem
dann immer vor „damals hast Du auch so und so gesagt, nicht wahr, habe ich
nicht recht?“ undderweil hat der letzte Fall mit dem vorhergehenden garnichts
zu tun. Da kriege ich dann einen Zorn. Vielmals laufen aber seine Meinungen
meinen gerade verquer. Du hast es richtig gesagt und Du kannst garnicht
glauben, wie mich das freut, daß Du auch so denkst, wenn Du schreibst „es kommt
auf das Herz an, den Glauben an unsere Sache sollte man mehr in den Vordergrund
stellen.“ Gefreut habe ich mich wirklich über den Brief von Nanni. Über ihre
Einstellung freue ich mich wirklich. So denke ich auch, man soll sich einsetzen
und den festen Glauben haben. Wenn ich zum Nähen gehe, hört man auch immer
wieder, wie tapfer die evakuierten Frauen sind. Es kann schon sein, daß Erna oder Alice das Grab von Mama
aufsuchen. Wenn man aber keine Blumen bringen kann, sieht man es ja nicht. Ich weiß es natürlich nicht, ob sie gehen,
aber ich möchte es auch nicht abstreiten, wenn ich es nicht weiß. Wenn die 50
Mk von Deinem Wehrsold ankommen, so werde ich sie einstweilen aufheben, bis Du
weiteres schreibst. Helga stellt sich
bei den Näharbeiten für ihre Puppe garnicht ungeschickt an. Ich freue mich auch
darüber. Sie beklagt sich nur manchmal darüber, daß sie so gar keine Einfälle
hätte wie ich und Jörg. Sie meint im
Basteln und irgendetwas zusammenbauen. Aber es kann ja sein, daß das auch noch
kommt. Weißbrot in Milch mit Zucker haben wir erst jetzt an einem der letzten
Abende gehabt. Das ist immer ein Fest für die Kinder. Brot haben wir uns auch
schon geröstet, nur tun wir gleich ein bißchen Butter in die Pfanne, dafür
streichen wir hinterher nichts mehr drauf. Das schmeckt auch wirklich gut. Das
haben wir ja von Dir gelernt, als Du auf Urlaub hier warst. Den Pelzbesatz zu Helga‘s Mantel habe ich
von einer Boa genommen. Nanni hatte doch früher mal ein Stück Fell geschickt,
von dem ich Helga eine Boa gemacht hatte. Sie zog sie aber verhältnismäßig
wenig an. Zur Not kann sie auch von mir eine nehmen. Jedenfalls erfüllt sie so
ihren Zweck. Die Pelzstücke verdecken manchen Schaden und putzen heraus. Der Schäfer ist Dir garnicht sympathisch,
nicht wahr? Die Frau ist aber nicht unrecht, man kann mit ihr auskommen.
Persönlich habe ich ja nichts mit ihr zu tun.
Nun hast Du also schon Bilder von unserem letzten Urlaub erhalten. Wenn
sie Dir nur gefallen. Ich finde auch, daß sie nicht gleichmäßig entwickelt
wurden. Nun kann man es ja nicht mehr ändern, leider. Vielleicht werden die Bilder vom nächsten Urlaub besser. Vater
habe ich es heute Abend erzählt, wie Paula uns den kaputten Korb aufhängen
wollte. Es meinte, das sähe ihr wieder ähnlich. Er wüßte schon, wie sie darin
ist. Genau so wäre es, daß sie ihn jetzt immer zu allerhand Dienstleistungen
heranziehen möchte. Er hat mir noch manches erzählt, aber das möchte ich im
Brief nicht so schreiben. Heute Abend war Vater wieder sehr freundlich. Er
brachte mir von den auf Paulas Karte geholten Äpfeln 15 Pfund rauf. 10 Pfund
hat er für sich behalten. Er meinte, wir würden doch mehr futtern als er. Ich
habe VAter 2 Päckchen Tabak von Dir gegeben. Er will mir dafür unbedingt etwas
Gries mitbringen. Heute haben wir noch
auf verschiedene Nummern, auf die wir im Sommer nichts geholt hatten, Äpfel
bekommen. Bei uns handelte es sich noch um 18 Pfund. Das ist doch besser als
nichts, nicht wahr? Man kann alles brauchen.
VAter ist vorhin gerade fortgegangen. Es ist nun ¼ 12 Uhr. Also schon
ziemlich spät. Sonst liege ich um diese Zeit schon lange im Bett. Ich bin eben
so eine Schlafmütze. Sonst mag ich morgens nicht aufstehen. Im übrigen habe ich
in den letzten Nächten immer von Dir geträumt. Das erhoffe ich auch heute. Vorher bekommst Du noch viele liebe Grüße
und Küsse von
Deiner Annie.
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