Donnerstag, 19. März 2020

Brief 851 vom 1.1. und 2.1.45


 Mein liebster Ernst !                                                                                                 1.1.45

Das neue Jahr hat nun begonnen. Möge es Dir ein gutes gesundes Jahr werden. Das ist mein größter Wunsch für Dich.  Gestern Abend waren wir alle zusammen in der Stube. Vater war gegen 9 Uhr rauf gekommen. ½ 10 Uhr haben wir Kuchen gegessen. Dann haben wir noch Quartett gespielt. Gegen 12 Uhr habe ich Kartoffelsalat und Butterbrot aufgetischt. Dazu gab es Schwarztee mit Rum. Das hat Vater besser gemundet als Wein. Um 12 Uhr haben wir uns ein gutes neues Jahr gewünscht und ganz besonders an Dich gedacht, daß Du ganz gesund wieder heim kommst. Die Kinder sind gegen 1 Uhr zu Bett gegangen. Vater  ging gegen 2 Uhr heim und ich bin dann gleich ins Bett gegangen. Heute morgen haben ich bis ½ 9 Uhr geschlafen, die Kinder bis ½ 10 Uhr. Zum Frühstück gab es die letzte Stolle. Die Kinder sind dann raus gegangen zum Schlitten fahren, denn es hatte während der Nacht geschneit und schneite heute den ganzen Tag weiter. Der Schnee liegt jetzt sehr hoch. Am Nachmittag sind die Kinder am Bismarckturm runtergefahren. Da ist ja ein ziemlicher buckel. Ich habe kurz an Papa, Erna und Siegfried geschrieben. Wenn mir nucht schreiben (außer an Dich) keine solche Schwerarbeit wär. Ich fürchte mich ja schon immer lange vorher davor. Später habe ich in dem Roman „Die Seemansbraut“ gelesen. Es ist ein sehr schönes Buch.  Heute erhielt ich Dein EK. Ich habe es mit zu den Luftschutzsachen getan, die ich immer mitnehme.  Papa hat sich doch seine Lebensversicherung auszahlen lassen und schickt den Kindern je 100 Mk. Was sagst Du dazu?


Du liebster Schatz!                                                                                                 2.1.45

Ich schreibe heute Morgen gleich weiter. Ich erhielt vorhin Deine lieben Briefe 134 und 135 vom 7./8.12., für die ich Dir recht sehr danke. Nun denk Dir, da kam auch mein Brief vom 15.11./gestempelt am 16.11. an Dic, zurück. Es steht drauf, „neue Anschrift abwarten“ Ich weiß garnicht, was ich denken soll. Sollte mein Brief über 4 Wochen unterwegs gewesen sein? Das nach dem 19.12. etwas geschehen ist.  Bist Du wo anders hingekommen? Hoffentlich bist Du nicht krank oder verwundet? Ich werde ja sehen, ob noch mehr Briefe zurück kommen. Gedanken macht es mir schon, was los ist. Hoffentlich ist alles noch richtig und die Rücksendung ist nur ein Irrtum. Ich wünsche es sehr.  Du fragst in Deinem Brief, was ich so eingepackt habe zum mitnehmen, wenn wir fort müßten. Ja, für das notwendigste für die Kinder je einen Tornister un d für mich den kleinen schwarzen Koffer von Dir. Für Schuhe noch eine Tasche. Sollten wir mehr mitnehmen können, habe ich noch 2 große Koffer gepackt und einen Rucksack. 2 Truhen habe ich noch gepackt, sollten wir etwas mit der Bahn wegschicken können. Doch wollen wir hoffen, dasß wir hier bleiben köännen. In den Tornistern und dem kleinen Koffer sind: Strümpfe, Unterwäsche, 2 Kleider bez. Anzug, Taschentücher, Handtuch, Seife, Kamm, Zahnbürste, Eßbesteck, einige Pflaster, Mullbinden, Salbe. In den großen Koffern ist 1 Anzug, Gabardinmantel, 2 Hemden, Strümpfe von Dir, dann Kleider, Jacke von mir. Im anderen Koffer Wäsche und Bettzeug.  Ob man die Truhen wegschicken soll? Ich weiß nicht. Ich glaube, da sind sie noch unsicherer unterwegs. Die 200 Mk von Papa sind vorhin eingetroffen, ebenso ein Brief von Elsa. Ihre Mutter ist am 9.11. gestorben. Gerhard war am 22.12. noch in Dresden, wo er jeden Tag auf dieAbstellung wartete.  Unsere Kinder sind schon wieder auf dem Bismarckturm zum Schlittenfahren, nachdem sie sich bis 9 Uhr richtig ausgeschlafen haben. Ich muß nun das Mittagessen kochen. Es gibt heute Kartoffelstückchen. Ich hab solch gute Knochenbrühe da. Gestern gab es Kartoffeln, Gulasch, Wirsing und Apfelmus.  Nachmittags hatte ich noch einen Pudding mit Furchtsoße gemacht.  Am Nachmittag werde ich in die Stadt gehen und diese Briefe gleich mitnehmen. Morgen fängt das Nähen wieder an. Diese Woche muß ich ja nur einen Tag gehen.  Lieber Ernst, ich hoffe, daß Du gesund bist und die Rücksendung des Briefes wirklich nur ein Irrtum war. Ich grüße und küsse Dich herzlich, mein liebsrter Mann und bin immer 

Deine Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen