Donnerstag, 19. März 2020

Brief 807 vom 21.10.44


Mein liebster Ernst!                                                                                        21.10.44        

Wieder ist eine Woche zu Ende. Am Vormittag war wieder Putztag.  Gegen Mittag kam Vater und zeigte mir das Fenstertischchen für Paula. Vom schaffen kamen wir auf Politik zu sprechen. Vater meinte, in Deinem Urlaub hätte er in aller Ruhe mit Dir darüber reden können, aber mit mir sei das ausgeschlossen.  Ich würde mich immer zu sehr aufregen. Ich hätte schließlich auch nicht den Überblick.  Ich kann es auch nicht richtig anhören, wenn Vater so redet, Du weißt es ja. Ich sagte zu ihm:“ Ob ich nicht den Überblick habe, ist mir ganz gleich. Ich halte mich ans nächstliegende und das ist jetzt schaffen und Durchhalten. Wenn es dann heißt, die schaffen, wenn sie nicht müssen, sind dumm, so will ich gern zu denen gehören.  Es muß auch solche geben. Manche leisten viel mehr als ich und bringen große Opfer.  Wie mancher hat seine Wohnung und alle SAchen verloren.“ Ich bin nun mal so, daß ich nach denen sehe, die etwas tun und nicht nach denen, die nichts tun. Du tust Deine Pflicht draußen, ich hier. Man hat doch in Frankreich gesehen, wie verächtlich es ist, wenn die Leute nur an sich denken. Da sind sie nur vorm Feind gerannt und haben überhaupt nicht daran gedacht, Widerstand zu leisten. Du schriebst ja auch, wie froh du seist, nicht mehr zu denen zu gehören.  Heute war Jörg nicht schaffen. ER wollte am Nachmittag gehen. Da bekam er noch Befehl zum Dienst und hat sich beim Leirer entschuldigt.  gleichzeitig hat er aber noch gefragt, ob er seinen Lohn bekommt.  10,Mk hat er einstweilen bekommen.  Ich war mit Helga und Ingrid in der Stadt und habe verschiedenes eingekauft. Heimzu sind wir mit dem Zug gefahren. Zum laufen wärs mir zuviel geworden. Jörg etwartete uns schon daheim. Ich habe dann Abendbrot gemacht. Es gab Bratkartoffeln, wurstbrot und für die Kinder etwas, was Du ihnen man gemacht hast. Weißbrot in Milch geweicht, auf einen Teller gestürzt und Zucker darüber. Das hatten sie sich schon so lange wieder einmal gewünscht. Es hat ihnen dann auch sehr gut geschmeckt. Vorhin kam Vater noch. Er liest die Zeitung, Helga spielt mit ihrer kleinen Puppe, der sie jetzt viel Kleider und Mützen näht und Jörg liegt auf der Erde auf seinen Decken und liest. Dabei spielt das Radio. Morgen werden unsere Kinder in die Jugendfilmstunde gehen. Was gespielt wird, wissen sie noch nicht.  Es ist ¼ 12 Uhr und Vater ist jetzt gegangen. Ich verschwinde nun auch im Bett. Zuvor bekommst Du aber noch viele liebe Grüße von 

Deiner Annie.    

Als ich vorhin Vater an die Haustür brachte, habe ich nach dem großen Bär hinauf gesehen und an Dich ganz fest gedacht. Vielleicht hast auch Du gerade hingesehen und an uns gedacht.  

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