Donnerstag, 19. März 2020

Brief 810 vom 26.10.44


Mein liebster Schatz !                                                                                             26.10.44      

Es ist Mittag und ehe ich mit Helga in die Stadt gehe, schreibe ich Dir noch. Bis zum Mittagessen war ich im Garten hinterm Haus. Gestern Vormittag hatte ich schon angefangen die Brombeeren zu verschneiden und heute Morgen habe ich diese Arbeit beendet und die Ranken noch angebunden. Nachdem die Kinder aufgestanden waren, haben wir Frühstück gegessen, dann bin ich wieder in den Garten gegangen. Ich habe einen Graben um den Baum gegraben und Gülle reigeschüttet. Dann habe ich noch den Garten umgegraben, wobei mir Helga geholfen hat. Das umgraben war nicht sehr schwer, denn oben stehen ja Erdbeeren und 1 Beet Grünkohl. Unten steht Kraut, das ich noch nicht rausgetan habe und wahrscheinlich auch stehen lasse. An die Stachelbeeren und brombeeren habe ich auch Gülle getan. Der kleine Garten wär also fertig. Morgen beginne ich vielleicht drüben im Garten.  Heute habe ich drei liebe Briefe erhalten, die Du im Erholungsheim geschrieben hast. Wie ich lesen kann, gefiel es Dir dort sehr gut. Das mach mich sehr gefreut.  Nun ist also ein weiteres Päckchen an uns unterwegs. Ich hoffe, daß es ankommt. Hier auf der Strecke sind eben sehr viel Tieffliegerangriffe, da kann manches verloren gehen.  Warum ißt Du nur die Bonbons nicht selber? Ich habe Dir doch schon einmal geschrieben, ich freue mich so, wenn du selber auch etwas extra‘s hast. Du mußt doch uns nicht alles schicken.  Ja, bei Papa und Lotte hast Du einen Stein im Brett, da Du zum Geburtstag gratuliert hast. Da muß ich mich direkt verkriechen. Papa schreibt heute in einem kurzen Schreiben (er sandte mir Clopapier, welches er ins Zeitungspaket zu packen vergaß) u.a. „Lotte hat sich sehr, wirklich sehr gefreut, daß er (also Du) es war, der trotz seiner Nöte da draußen ihres Geburtstages gedacht hatte und ihr einige Zeilen geschrieben hat.! Na, was sagst Du nun?  Meinst Du wirklich im Ernst, daß unsere Leute in sowjetischer Gefangenschaft ordentlich behandelt würden? Ich kann es nicht glauben. Schon wenn man hier die sowj. Gefangenen sieht, da schüttelt man sich bei dem Gedanken, in deren Hände zu geraten. Und wie die Russen bei uns hausen und hausten, berechtigt eigentlich auch nicht zu der Hoffnung, daß sie ordentlich mit unseren Soldaten verfahren. Im vorigen Krieg waren schließlich die Gegensätze noch nicht so kraß und doch, wie schrecklich haben es die meisten Gefangenen gehabt.  Die Kinder haben heute Deinen lieben Brief an sie auch erhalten. Helga hat sich über Dein Lob sehr gefreut, daß sie eine tüchtige kleine Hausfrau während meines Krankseins war. Die Kinder werden Dir in den nächsten Tagen sicher einen Brief schreiben. Sie haben eben jetzt auch wenig Zeit. Den halben Tag schaffen sie, Helga bei mir, Jörg beim Leirer, abends machen wir noch Aufgaben. Die knappe freie Zeit spielen sie eben noch gern.  Es ist jetzt richtig herbstlich geworden. Du kennst das ja, der Himmel ist verhängt, der Wind weht, alles sieht so düster und wir gefroren aus.  Ich gehe nun mit Helga in die Stadt. Ich will sehen, ob wir die Photografien bekommen, dann will ich 2 Töpfe holen, die ich habe löten lassen. Mit der Zeit geht eben alles kaputt.  Ein Buch will ich mir in der Leihbücherei auch wieder holen und dann will ich auch nach Schuhcreme schauen.  Nun mache ich wieder Schluß und grüße Dich und möchte Dich recht fest abküssen. 

Deine Annie.

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