Mein lieber Ernst! Leipzig, den 4. Aug.41
Heute habe ich Dir viel zu berichten. Vom
Sonnabend will ich anfangen.
Am Nachmittag sind wir ins Variete gegangen.
Es war wirklich wunderschön. Da hat man wieder großartige Leistungen gesehen.
Schreiben kann man das alles gar nicht so. Das erzähle ich Dir, wenn Du auf
Urlaub kommst.
In der Nacht vom Sonnabend zum Sonntag
sind wir wieder einmal im Luftschutzkeller gewesen. Wieder eine Stunde lang.
Geschossen ist diesmal aber nicht worden.
Am Sonntagmorgen sind wir zur Alice raus
gefahren. Ich habe überhaupt ganz vergessen, Dir noch zu sagen, daß am Samstag,
als wir aus dem Variete heimkamen, Siegfried da war. Er hat bis Morgen Urlaub.
So kann er also wenigstens heute zum Geburtstag von Jörg da sein.
Wir sind also am Sonntagmorgen zur Alice
gefahren. Wir haben erst mitgeholfen, das Mittagessen zu kochen. Papa hat mit
den Kindern inzwischen hinterm Haus gesessen. Zum Mittagessen kam Paul nach
hause. Er hat uns dann das Grammophon frei gemacht, damit die Kinder auch
einmal die Platten spielen sehen. Uns hat es ja auch Vergnügen gemacht. Wir
haben fast den ganzen Nachmittag gespielt. Im Garten haben wir Mittagessen und
Nachmittagsbrot gegessen. Am Mittag gab es Allerlei mit Kartoffeln und Fleisch.
Für Nachmittag hatte Alice einen Quarkkuchen und einen Rührkuchen gebacken.
Fürs Abendessen hatten wir ja unser Essen mit. Am Nachmittag und am Abend kam
Erna, ein paar Mal zu Alice und Paul rüber. Sie gab mir am Abend Buntstifte und
ein Malbuch, sowie Gebäck für Jörg mit. Alice hatte Pfefferkuchen und Gebäck
gekauft. Außerdem schenkte sie Jörg die ganzen Sachen, die ich besorgt hatte,
also auch ein Malbuch, Griffel, Schwammdose. Auch einen Tennisball hatte sie
für Beide zurückgelegt. Jörg habe ich seinen auf den Geburtstagstisch gelegt,
Helga hebe ich ihren für den Geburtstag auf. Helga und Jörg haben nämlich
außerdem noch 3 ältere Tennisbälle von Papa, Alice und Erna bekommen, so daß
sie also darin jetzt wirklich keinen Mangel leiden.
Für Helga hat mir Alice auch noch eine
Kaffeekanne in Form eines Hundes für den Geburtstag mitgegeben. Es ist nicht so
mein Geschmack, aber ich denke, daß es den Kindern sicher gefällt.
Ich bekam gestern von Alice eine
Bleikristallschale für Ölsardinen usw., also eine Art Teller, und außerdem eine
Marmeladenschale. Für die Kinder gab sie mir auch noch je 3 Mk. mit. Das ist
doch wirklich sehr nett, nicht wahr?
Am Abend gegen 1/2 7 Uhr kam Paul wieder
nach hause, nachdem er am Nachmittag noch arbeiten war. Die 3 Männer haben dann
Skat gespielt. Hinterher hat uns Paul alle noch herumgeführt und uns den Garten
gezeigt. Es ist ein großes Stück, den soll er nun so nebenbei für die Miete
bearbeiten. Das ist natürlich zu viel. Wahrscheinlich geben sie den Posten
wieder auf. Die Gräfin muß eine alte Hexe sein. Die ist bald 80 Jahre und
meckert doch überall herum. Erna wollte
auch schon von dort weg, aber sie geben sie nicht frei.
1/2 10 sind wir dann mit der Straßenbahn
nach hause gefahren. Siegfried ist bei Alice geblieben. Er sagte mir, daß er
heute Morgen gleich in sein früheres Geschäft gehen und außerdem ein Geschenk
für Jörg besorgen will. Heute gegen Mittag kam er nun an mit einem
Merkur-Baukasten. Das ist so, wie die Märklin-Kästen, mit Schrauben, Rädern,
Eisenstangen usw. Der Kasten ist sehr groß, mit 2 Einlagen und kostet 21,-Mk.
Siegfried hatte nämlich an einem Märklinkasten gesehen, daß Jörg für so Sachen
Geschick hat und hat ihm deshalb diesen Kasten geschenkt. Ich werde natürlich
Obacht geben, daß von den Sachen nichts verloren geht. Für Helga brachte
Siegfried ein Perlengeldtäschchen und einen Ölhautumhang für ihre große Puppe
mit. Außerdem legte er ihr in das Geldtäschchen noch 50 Pfg. Alles zusammen hat
Siegfried 25,-Mk gekostet. Das ist doch ein teurer Geburtstag, nicht wahr? Heute Abend will ich mit Siegfried in den
Film „Auf Wiedersehen, Franziska“ gehen, den Du doch so gelobt hast. Morgen
Mittag muß Siegfried ja wieder weg. Heute Vormittag haben Mama und ich die
Sachen von Siegfried gewaschen, die er alle schmutzig mitgebracht hat und
sauber wieder mitnehmen will. Das war ein ganzer Teil.
Siegfried hat doch einen französischen
Stahlhelm. Jetzt hat er sich noch einen russischen mitgebracht. Der sieht nun
wieder ganz anders aus, als wir es gewöhnt sind.
Es geht heute im Brief alles ein bißchen
durcheinander, aber ich habe Dir doch noch gar nicht alles aufgezählt, was Jörg
zum Geburtstag bekommen hat. Außer den Sachen, die ich schon vorhin aufgezählt
habe, noch von einer Frau aus dem Haus Bonbons und eine kleine Figur auf den Geburtstagstisch,
die bei Jörg viel Freude ausgelöst hat. Es ist ein kleines Küken mit einem
Blumenstrauß. Das schleppt er jetzt überall mit herum. Die Bonbons waren in
einem Kästchen, das wie ein Baumstamm aussieht, an dem 2 Maikäfer raufkrabbeln.
Das hat ihm auch gefallen. Von Mama und Papa hat er 3 Mk. bekommen. Außerdem
hat Mama 2 Kuchen gebacken. Ich habe ihm diesmal nachdem er so viele Geschenke
bekommen hat, nur 1 Mk. in lauter Zehnern gegeben. Mit denen darf er machen was
er will. Er kann sich also Eis oder sonst etwas kaufen. Das hat Jörg auch viel
Vergnügen gemacht und er überlegt jetzt immer, was er sich wohl kaufen könnte.
Er meint ja jetzt, das Geld wird überhaupt nicht mehr alle.
Ich habe von Dir Deinen lieben Brief vom
31.7. bekommen. Nun hast Du also wieder an Vater und Kurt geschrieben. Vater
wird sich sicher auch gefreut haben, daß Du ihm wieder geschrieben hast.
Gerade, wenn er jetzt noch nicht gesund ist, hat er ja Zeit und Ruhe zum lesen.
Ich bin ja gespannt, wie weit er gesund ist, wenn wir heim kommen.
Wenn Du Anfang September auf Urlaub kommen
könntest, wäre das ja wegen den Geburtstagen besonders schön. Natürlich bist Du
auch sonst immer willkommen, nicht nur zu den Geburtstagen. Wir freuen uns ja
alle schon so sehr, daß wir Dich vielleicht bald einmal wiedersehen. Wenn nur
immer hinterher der Abschied nicht wär. Aber vorher wollen wir uns auf das
Wiedersehen freuen.
So sehr schlecht lebt ihr ja dort noch
nicht, wenn Du Dir noch Butter und Eier kaufen kannst. Kaufe es Dir aber nur,
solange Du kannst. Eine Wildente als Abendessen lasse ich mir auch gefallen,
vor allen Dingen, wenn sie noch so billig ist.
Etwas Wichtiges habe ich fast noch
vergessen. Elsa Legler schrieb mir gestern, daß sie es sich doch überlegt hat.
Es wären ja nur knapp 14 Tage, die sie in Konstanz würde bleiben können (für 14
Tage hatten sie ja auch nur angefragt, sonst hätte ich ja gar nicht zugesagt).
Da wäre die Aufregung für sie und für mich zu groß. Da würde sie lieber nicht
mit fahren und käme nächstes Jahr in den großen Ferien zu mir, wenn es mir
recht ist.
Ich muß ja sagen daß ich absolut nicht
böse über die Absage bin. Im Gegenteil. Es wäre doch eine ziemliche Hetzerei
geworden und das bißchen Erholung wäre futsch.
Als ich zu Elsa kam, fragte sie mich, wie
lange wir gefahren seien. Als ich sagte, 13 Stunden, sagte sie „Was, so lange.“.
Ich sagte ihr auch im Laufe des Gespräches, wie viel die Fahrt kostet. Das
wußte sie auch nicht. Ich denke mir, daß das wahrscheinlich auch mit den
Ausschlag bei der Ablehnung gegeben hat, daß die Fahrt so teuer ist. Aber so
etwas überlegt man sich doch schließlich ehe man schreibt. Jedenfalls, ich bin
sehr froh, daß sie nicht mitfahren. So kann ich dann zu hause anfangen, wieder
im Garten zu arbeiten, kann es mir aber einteilen und brauche mich nicht
abzuhetzen. Bist Du auch froh, daß es so gekommen ist?
Gestern habe ich gemerkt, daß es doch ganz
gut ist, daß Papa keinen Urlaub hat. Als wir gestern bei Alice waren, saß nun
Papa hinterm Haus. Die Kinder waren auch draußen. Sie fragten ihn nach dem
Klosett. Er hat es ihnen erklärt, sie haben es aber nicht gleich begriffen und
schon wurde er hitzig. So ging es bei anderen Gelegenheiten noch ein paar Mal
am Tag. Er fuhr die Kinder an, die heulten, da wurde er wieder wütend und mußte
ihnen natürlich sagen, daß sie Heulsusen und Dickköpfe wären, so daß ich mich
ein paar Mal einschalten mußte, um alle zu beruhigen. Am Morgen war es auch
schon einmal so. Helga wollte die neuen Socken von Dir anziehen. Das erste Mal
geht es immer streng. Da sie es nun nicht fertig bekam, fing Helga an zu
heulen. Ich sagte: „Du mußt eben ein bißchen Geduld beim Anziehen haben“. Papa:
„Die bekommt sie nie an.“ Ich: „Natürlich gehen sie an.“ Papa: „Ausgeschlossen,
das sehe ich doch selber“. Ich: „Sie gehen aber an, ich weiß es doch von den
anderen.“ Papa: „Mache mich doch nicht verrückt, die gehen nicht an, das mußt
Du doch selber sehen.“ Inzwischen heulte natürlich Helga, von Papa unterstützt,
weiter. Ich sage zur Helga, sie soll mit heulen aufhören, worauf Papa natürlich
prompt antwortet: „Quäle sie doch nicht so, daß sieht doch jedes Kind, daß die
Strümpfe niemals angehen.“ Da hatte es aber bei mir geschnappt, ich habe den
Kram hingeschmissen und habe gesagt, dann soll sie eben barfuß gehen. Ich habe
dann Helga auf den Balkon gerufen, wo Papa nicht war und siehe da, innerhalb 1
Minute hatte ich beide an. Da hat Papa nichts mehr gesagt. Wenn Papa den ganzen
Tag da wäre, ginge das sicher öfter so. Da würde ich mich ja mehr aufregen. Am
Abend ist er immer ganz friedlich, da kommen wir schon alle miteinander aus.
Die Hälfte des Urlaubs ist ja bei uns
schon vorbei. Wir haben ja hier sehr viel gesehen und erlebt. Ich glaube, die
Kinder werden noch oft davon sprechen, wenn wir erst wieder zu hause sind.
Heute will ich noch eine Karte an Dora
schreiben, damit sie mir hinterher nicht wieder sagen kann, ich hätte auch
etwas von mir hören lassen können, wenn ich in Leipzig war. Du weißt ja, wie
sie damals bei Dir beleidigt war, wenn sie sich auch aus mir nicht so viel
macht wie aus Dir.
Nachdem unsere beiden Banausen gestern so
spät ins Bett gekommen sind, schlafen jetzt alle Beide über Mittag. Sie sind
vorhin gerade am Tisch eingeschlafen. Es tut ihnen gut.
Jörg ist heute ganz glücklich, daß sein
Geburtstag ist. Er strahlt die ganze Zeit und ab und zu verschwindet er
heimlich in der Stube und holte wieder etwas von seinem Geburtstagstisch. Heute
Morgen war er schon 1/2 6 munter und konnte es gar nicht mehr erwarten, bis er
beschert bekam. Du, übrigens, Du glaubst gar nicht, wie sächsisch jetzt die
Helga redet. Man könnte meinen, sie wäre hier geboren. Jörg dagegen hat noch
nicht ein einziges Wort angenommen. Helga spricht genau in dem Tonfall wie sie
hier reden. Es klingt manchmal schauderhaft. Ich hätte nicht geglaubt, daß man
sich das so schnell angewöhnen kann. In Konstanz wird sie es sich ja schon
wieder abgewöhnen.
Heute habe ich aber wirklich viel
geschrieben, wenn auch alles wie Kraut und Rüben durcheinander steht. Aber Du
wirst schon draus klug werden. Ich
hoffe es jedenfalls.
Sei nun für heute wieder herzlich gegrüßt
und geküßt von Deiner Annie.
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