Mein lieber Ernst! Konstanz, den 29.7.41
Gestern Nachmittag erhielt ich noch Deinen
lieben Brief vom 25./26. Vielen Dank.
Mit Freude habe ich gelesen, daß Du evtl.
Zucker bekommen könntest. Du weißt ja, was Du mir damit für eine große Freude
machen würdest. Ich könnte dadurch noch ein paar Brombeeren einkochen. Von
Zucker habe ich ja nie zuviel. Mit den Gardinen ist es nicht so eilig. Der
Zucker wäre mir erst lieber. Du schreibst von ganz durchsichtigen Gardinen mit
eingewebtem Blumenmuster für die Küche. Ich muß sagen, daß es mir dafür fast zu
schade ist, denn in der Küche verbrennen die Gardinen durch die Sonne so
schnell und zerfledern. Handel es sich eigentlich um Scheibengardinen?
Schuhe brauchen wir dann vorläufig keine
mehr. Es hat ja keinen Zweck zuviel zu kaufen.
Es würde mich sehr freuen, wenn wir dann später erst einmal für einen
neuen Radioapparat sparen würden. Meine Eltern haben einen sehr schönen und ich
muß sagen, es macht Freude, die Musik so schön hören zu können, auch die Baßstimmen.
Aber davon haben wir ja schon zusammen gesprochen. Gleich muß es ja auch nicht
sein, aber daraufhin sparen kann man ja alle Mal. Ich glaube, es ist besser, Du
kaufst für Vater lieber hohe Schuhe mit Gummisohle. Wenn es reicht, kannst Du
ja vielleicht deswegen noch einmal an Vater schreiben. Die Schuhe, die man
jetzt hier kauft, haben ja auch alle Gummisohle.
Gestern Abend kam Papa nach hause von
Neustadt. Er erzählte vom Begräbnis und als Neuestes brachte er mit, daß das
ältere Mädel von der Elsbeth, die Gretel, die ja seit Jahren verheiratet ist,
mit einem anderen verheirateten Mann ein Verhältnis hat. Der Mann von Gretel
wollte sich jetzt scheiden lassen. Da hatte Dora, als sie vor einigen Jahren
bei uns war, doch recht, als sie sagte, bei ihrem letzten Dortsein habe Gretel
für sie und auch für ihren Mann keine Zeit gehabt, sondern sei immer unterwegs
gewesen. Sie meinte damals, sie habe den Eindruck, als ob da nicht alles in
Ordnung wär und möchte deshalb gar nicht mehr gern nach Neustadt fahren. Papa
hat sich ja schrecklich aufgeregt.
Heute Morgen hat Papa den Wellensittich
mit in die Küche gebracht, was sie sonst nie tun und er ist doch auf den Balkon
und fortgeflogen. Wir haben überall nachgesehen, aber er ist endgültig weg. Die
Kinder waren sehr traurig. Papa sagt jetzt natürlich, Mama hätte gleich die
Küchentür zumachen sollen, aber das ist natürlich Unsinn. Sie konnte ja gar nicht
dazu kommen.
Am Vormittag waren wir bei Elsa und haben
alles geregelt wegen dem Mitfahren. Wir wollen am 11. oder 12. wieder nach Konstanz
fahren. Sie erzählte mir, daß Erhard Tillner erst wegen einer Fußverletzung,
die er sich auf dem Marsch zugezogen hatte, im Krankenhaus lag. Jetzt ist er
mit nach Rußland gekommen. Weißt Du, wer auch schwer krank ist? Räbchen. Er hat
es mit dem Herzen zu tun und kann nichts mehr schaffen. Nur spazieren gehen ist
ihm erlaubt. Seine Frau geht jetzt für ihn arbeiten. Sie hatten Räbchen. zum
Militär eingezogen. Elsa sagte nun zu mir: „Du weißt ja, die waren noch nie so
für den National-Sozialismus eingenommen und jetzt schimpft er schrecklich und
sagt, sie hätten ihn nur beim Militär kaputt gemacht.“
Auf dem Wege zu Elsa bin ich mit den
Kindern von der Wollkämmerei aus meinen alten Weg gegangen, den ich immer
früher auf meine Arbeitsstelle gelaufen bin. Ich habe ihnen dann auch gezeigt,
wo wir früher gewohnt haben. Ebenso das Haus, wo Du gewohnt hast. Dein Zimmer
bei Schirmers konnte ich ihnen nicht mehr zeigen, weil da ein Laden gebaut
worden ist. In der Elisabethstraße bin ich mit den Kindern auch in den Hof
Eures Hauses gegangen und habe ihnen gezeigt, was Ihr für einen Balkon gehabt
habt. Dann waren wir an meiner früheren Schule und in der Juliusstraße. Zu
Deiner Schule wolle ich auch noch mit ihnen, aber sie konnten nicht mehr so gut
laufen. So sind wir dann gleich zur Elsa. Sie hat uns freundlich aufgenommen.
Die Kinder sind ganz nett, aber die kleine Helga hat wirklich Gerhards Dickkopf
geerbt. Die Liselotte ist freundlich. Nach unserem Besuch sind wir noch an das
Planschbecken auf dem Stefaniplatz gegangen und anschließend sind wir mit der
Straßenbahn heimgefahren. Wir haben dann zu Mittag gegessen und hinterher habe
ich mit Mama 15 Pfund Bohnen geschnitten. Jetzt habe ich mich gleich ans
Schreiben gesetzt und nachher will ich noch aufs Gut gehen und Vollmilch holen.
Die Kinder gehen inzwischen in die Gärtnerei von Heinz Ehrling und schaffen den
Sack wieder fort, mit dem wir die Bohnen geholt haben. Da wird der Tag auch
gleich wieder vorbei sein. Morgen gehen wir ja wahrscheinlich in den Zoo, das heißt, wenn es nicht regnet,
denn es ist heute ziemlich bewölkt. Am Donnerstag will ich einmal mit den
Kindern ins Grassimuseum gehen. Das wird die Kinder sicher auch interessieren
und so etwas sehen sie nicht gleich wieder.
Du kannst Dich doch sicher noch erinnern,
daß wir einmal 2 blaue Decken von der Tante Anna erben sollten. Wir bekamen
dann doch nur eine rote und dachte, evtl. hat sie die Luise unterschlagen. Das
ist aber nicht der Fall. Mama sagt, die Luise wäre eine nette Frau und hätte,
als sie die blaue Decke nicht fand, zugesehen, daß sie uns wenigstens die rote
Decke schickte. Die blauen Decken haben nämlich die Eltern für uns aufgehoben.
Die Tante Anna hat sie ihnen nämlich bei ihrem letzten Dortsein mitgegeben und
gesagt, sie sollen sie für mich mitnehmen, aber nichts der Luise davon sagen. Was nicht mehr da sei,
sei nicht mehr da. Schicken wollte sie sie den Eltern nicht, weil sie evtl.
hätten wegkommen können. Ich soll sie jetzt mitnehmen. Es ist auch noch eine
blaue Tischdecke dabei. Ebenso noch einige Hemden, die mir auch noch zustehen.
Geschrieben haben sie uns auch nichts, damit wir nicht evtl. etwas gegen die
Tante Luise verlauten lassen. Es sind ganz nette Decken und ich freue mich,
dass wir sie noch bekommen haben. Der Luise haben wir also Unrecht getan.
Ich glaube, ich habe Dir heute wieder
einen ziemlich langen Brief geschrieben und will nun schließen. Sei recht
herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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