Mittwoch, 27. Juli 2016

Brief 194 vom 27./28.7.1941


Mein lieber Ernst!                                                                 Konstanz, den 27.7.41(Leipzig)           
        
Als wir heute aus dem Zoo heimkamen, war Dein lieber Brief vom 24.7. da. Ich danke Dir vielmals dafür. Als ich Dir gestern von hier den ersten Brief geschrieben habe, habe ich ganz vergessen Dir zu sagen, daß ich Deine Briefe vom 21. und 22. hier vorfand als ich ankam und daß wir gestern Deinen Brief vom 23. mit den Bildern von Dir erhielten. Ich habe mich über alles sehr gefreut.
Es hat mich auch gefreut, daß Dein neuer Chef so eine gute Meinung von Dir hat und sich auch dem Tommy gegenüber lobend geäußert hat. Da hat es doch wenigstens einen Wert, wenn man sich bei der Arbeit anstrengt.
Schokolade habe ich noch 10 große und 2 kleinere Tafeln. Die reichen ja schon noch eine Weile, aber wenn Du noch welche kaufen kannst, ist es mir schon recht. Da kann ich ab und zu einmal etwas essen. Denn schaden kann es mir ja nicht. Nächsten Monat kann ich Dir ja auch wieder etwas Geld schicken.
Jetzt hast Du also auch noch ein Paar Schuhe für mich und Sandalen für Helga besorgen können. Das ist fein. Jetzt sind wir ja versorgt und brauche nicht gleich wieder welche zu kaufen. Wenn Du mir Stiefel machen lassen kannst, wo wäre das ganz fein. Aber sie müßten dann reichlich große sein, damit ich ein Paar dickere Strümpfe drunter ziehen könnte. Die Farbe braun würde mir zusagen.
Heute Morgen waren wir im Zoo. Das war wirklich fein. Er ist sehr groß ausgebaut worden. Ein ganzes Stück vom Rosental ist mit dazugenommen worden. Wir sind überall herumgelaufen, von morgens 1/2 9 bis mittags 1/4 1. Dann waren wir ganz müde. Wir sind dann mit der Straßenbahn nach hause gefahren, haben zu Mittag gegessen und nun habe ich mich zum schreiben hingesetzt. Gegen 4 Uhr werden Alice und Erna kommen.
Ich habe sie ja gestern Abend noch kennen gelernt. Es ist ein ganz nettes Mädel. Ich wäre schon fast am Anfang mit einem Kuß bedacht worden. Dieses Vorhaben ist aber an meinem Widerstand gescheitert. Ich glaube aber, daß ich ungeküßt nicht zum Abfahren komme. Am Donnerstag bin  ich mit den Kindern von ihr eingeladen worden. Da will sie gern mit uns ausgehen. An den vorhergehenden Tagen hat sie noch keine Zeit. Am nächsten Sonntag sind wir zu Alice eingeladen, alle zusammen, auch die Eltern. Wir gehen gleich am Morgen und bleiben den ganzen Tag dort. Alice kocht. Morgen will ich zu Elsa gehen. Als Siegfried gestern noch einmal unverhofft kam, sagte er mir, daß er Gerhard in Dresden einmal getroffen habe. Er kommt nach der Kanalküste. Er hat ihm gesagt, daß er heute noch einen Tag in Leipzig sei und wenn ich Zeit hätte, könnte ich vielleicht einmal nach dem Schrebergarten in Schönefeld kommen. Ich gehe aber heute nicht. Ich weiß ja nicht einmal, wo sein Garten ist und renne vielleicht den ganzen Nachmittag herum. Ich hätte vielleicht so gleich mit Elsa reden können, aber das hat morgen auch noch Zeit.
Ich habe mir schon die letzten Tage überlegt, was wohl Vater machen mag. Aber ich hoffe, daß es ihm nicht schlechter geht. Schreiben will er mir ja nicht. Im Notfalle würde mir sicher der Doktor Bescheid geben, da Vater ja meine jetzige Adresse hat. Aber als wir wegfuhren, ging es ihm ja nicht mehr gar so schlimm. Er hatte schon angefangen, wieder ein paar Bratkartoffeln und Johannisbeeren zu essen. Auch Brot habe ich ihm besorgen müssen, weil er wieder etwas Appetit hatte. Hoffentlich macht er es nun auch so und schafft nicht zu viel. Vorgenommen hat er es sich ja. Vielleicht hat er doch etwas aus seiner Krankheit gelernt.
Heute Nachmittag ist Papa nun nach Neustadt gefahren. Morgen wird Onkel Richard begraben.
Wie ich Dir schon gestern schrieb, hat Papa eine neue Stelle angenommen. Er bekommt dort vorerst soviel Gehalt wie bisher. 250.- brutto. Wenn er sich gut einarbeitet, soll ihm evtl., in einem Vierteljahr 10% zugelegt werden. Der Vorteil bei seiner neuen Stelle ist der, daß er nur einen Weg von 10 Min. hat und auch das Straßenbahngeld einsparen kann. Außerdem ist die Arbeitszeit besser. Ich habe es Dir geschrieben, da ich denken, daß es Dich interessiert.
Wir erwarten nun bald den Besuch und wir wollen den Tisch decken. Heute gibt es einen Stachelbeerkuchen von unseren Stachelbeeren. Kompott davon haben wir heute Mittag auch gehabt.
Eben sind Alice und Erna eingetroffen. Sei also für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                        Konstanz, den 28. 7. 41

Heute kam Dein lieber Brief vom 25.7. an. Hab vielen Dank dafür.
Inzwischen hast Du ja sicher unseren Brief und die Karte erhalten und siehst, daß es mit der Fahrt geklappt hat und daß wir nun in Leipzig sind. Es geht uns hier gut und ich habe ziemlich freie Zeit, was mir im Gegensatz zu daheim wirklich  auffällt.
Wegen der Schokolade habe ich Dir ja gestern geschrieben. Es ist nun nicht so, daß alles die gleiche Schokolade ist. Die grüne Packung ist am sahnigsten. Auch die weiße Packung und die kleinere Tafel sind verschieden. Beide sind aber gleich gut.
Ich hatte Mutter 2 Tafeln von der weißen Packung mitgenommen. Sie hat sich sehr gefreut und bittere Schokolade darf sie auch eher essen. Jetzt habe ich mir gedacht, wenn Du Schokolade noch so gekommen solltest, das heißt, daß Du keine Lauferei und Ärger mit der Beschaffung hast, könntest Du vielleicht an die Eltern ein paar Tafeln schicken. Sie würden sie Dir sehr gern bezahlen. Ich habe Mama nicht gesagt, daß Du angefragt hast, ob Du für uns noch welche besorgen sollst. Ich habe sie nur gefragt, ob ich einmal bei Dir anfragen soll, ob Du einige Tafeln besorgen könntest. Sie sagte daraufhin, daß sie sich darüber sehr freuen würde. Du solltest aber schreiben, wie viel sie kostet, damit sie Dir das Geld gleich zuschicken können. Sie wären doch sehr froh, wenn sie überhaupt  welche bekommen. Du kannst mir ja Bescheid geben, ob Du welche besorgen kannst. Vielleicht wirst Du jetzt auch denken, na, Annie denkt, ich brauche sie bloß kaufen und schicken und überlegt gar nicht, daß das nicht so einfach ist. Aber weißt Du, darüber weiß ich nun nicht Bescheid und darum mußt Du mir nicht böse sein, wenn ich einfach so eine Anfrage an dich richte, nicht wahr?
In die Wochenschau bin ich in Konstanz wirklich nicht mehr gekommen. Auch wenn ich Zeit gehabt hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht gegangen. Denn allein gehe ich sowieso nicht fort und außerdem stand in der Zeitung, man soll Kinder in diese Wochenschauen nicht mitnehmen, da diese Bilder von den Morden nichts für sie sind. Ich bin aber nun für Donnerstag von Erna und Alice eingeladen worden. Ich dachte erst, die Kinder könnten mitgehen, aber die soll ich bei der Mutter lassen, ich meine also die Mama, und soll am Donnerstag um 3 mit der Straßenbahn zum Augustusplatz fahren. Ich treffe dort Erna und Alice und wie sie Mama gesagt haben, wollen sie mir dann eine kleine Erinnerung kaufen und evtl. noch etwas für Jörg zum Geburtstag.  Hinterher wollen wir ins Kino gehen und wieder hinterher wollen sie mich zum Eisessen ausführen. Am Abend werde ich dann wieder zuhause sein.
Gestern, als Alice und Erna kamen, haben wir Nachmittagskaffee getrunken. Wir haben uns dann unterhalten und haben später Abendbrot gegessen. Der Besuch hatte sein Abendbrot selber mitgebracht. Wir sind dann noch bis 1/2 11 zusammengesessen. Es war ein schöner Nachmittag. Erna habe ich bei dieser Gelegenheit auch ein bißchen näher kennen gelernt. Sie ist wirklich nett und es wäre von Siegfried gemein gewesen, wenn er sie sitzen gelassen hätte.
Mit  dem Wellensittich haben wir alle viel Spaß. Er setzt sich jetzt auch schon bei mir auf die Schulter und auf den Kopf. Wenn ich ihm ein Stück Brot hinhalte pickt er auch davon. Wir haben uns schon vorgenommen, Deine Zustimmung natürlich vorausgesetzt, daß wir uns später auch einmal so ein Tier kaufen wollen. Jetzt während dem Krieg, natürlich nicht, denn da hat man seine Not mit dem Futter. Aber so eilig ist das ja auch gar nicht. Jedenfalls haben die Kinder jetzt dadurch auch ihre Unterhaltung.
Wir waren heute Morgen im Milchgeschäft und haben gefragt, ob ich während der Zeit des Hierseins auch Magermilch bekomme. Es ist aber abgelehnt worden. Wir müßten eben zusehen, wie wir mit der Magermilch von der Mama auskommen. Heute Nachmittag gehen wir nun aufs Gut, das ca. 1/4 Stunde von hier entfernt ist und wollen sehen, ob wir von dort die Vollmilch für die Kinder bekommen können. Die geben nicht gar so knapp und die Milch ist auch gut. Es fragt sich nun, ob wir angenommen werden. Da müssen wir heute Mittag um 12 hin gehen.
Ich will nun Mama noch ein bißchen mit helfen und schließe meinen Brief ab. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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