Sonntag, 17. Juli 2016

Brief 190 vom 17./18.7.1941


Mein lieber Ernst!                                                                                 Konstanz, 17.7.41      

Heute habe ich gleich 2 Briefe, vom 12. und 14.7. und das Päckchen mit den Socken  erhalten. Probiert haben wir sie noch nicht, denn ich hatte einfach keine Zeit. Das siehst Du auch daran, daß ich erst heute Abend zum Schreiben komme. Der Tag war arbeitsreich. Morgens um 6 Uhr in Vaters Garten Rotkraut, Weißkraut, Wirsing gesetzt, 4 Pfund Erdbeeren gepflügt. 1/2 9 Uhr bin ich wieder heim, da haben wir gegessen, dann habe ich sauber gemacht und Essen gekocht. Außerdem habe ich etwas gewaschen. Nach dem Mittagessen bin ich mit den Kindern wieder in Vaters Garten gegangen und wir haben 7 Pfund Erdbeeren gepflückt. Fast alle Erdbeeren  haben wir heute gegessen. Vater hat keinen Appetit, aufheben kann man sie nicht und zum einkochen fehlt der Zucker. Am Nachmittag habe ich alle Setzlinge nochmals gegossen. 1/4 5 Uhr waren wir wieder daheim. Da bin ich noch einkaufen gefahren. Hinterher haben wir Abendbrot gegessen und jetzt ist es 3/4 8 Uhr.
Vater geht es nicht so sehr gut. Vor allem das Liegen tut ihm nicht gut. Er hat da ziemliche Schmerzen. Beim sitzen geht es besser. Er will heute Nacht auch auf dem Liegestuhl sitzend schlafen. Als er heute Mittag aus dem Bett aufgestanden war, war ich direkt erschrocken. Er sah ganz weiß aus, die Stellen im Gesicht, die sonst rot sind, waren blau. Auch unter den Fingernägeln sah er erst blau und dann gelb aus. Erst nachdem er längere Zeit gesessen hatte, bekam er wieder normale Farbe. An der linken Seite sticht es ihm immer sehr, so daß er fast nicht richtig atmen kann. D.h. immer sticht es nicht, nur ruckweise. Hoffentlich wird Vater bald wieder gesund. Er sagt schon, daß er nicht gleich wieder schafft. Wenn er wieder gesund geschrieben wird, nimmt er noch seinen Urlaub. Jetzt ist ihm jedenfalls noch gar nicht nach Arbeiten zu Mute.
Nun zu Deinen Briefen. Ich bin selber auch sehr froh, daß es mir wieder gut geht. Ganz weg ist das Asthma ja noch nicht. Ich habe deshalb auch mit dem Arzt anläßlich seines Besuches bei Jörg gesprochen. Er sagte, ja, so schnell geht das nicht weg, da werden sie wohl noch länger damit zu tun haben. Wenn es so bleibt wie jetzt, wäre es ja nicht schlimm. Es behindert mich nicht.
Ich gehe jetzt meist zeitig ins Bett. Das ist für mich die beste Medizin.
Wenn es möglich ist, kaufe ich wieder reichlich Kartoffeln. Leider kann Herr Weber wahrscheinlich keine besorgen, da er bis dahin, wo er sie immer gekauft hat, keine Fahrerlaubnis mit dem Auto mehr hat.
Johannisbeeren haben wir diesmal 21 1/2 Pfund gehabt. Das ist doch fein? Von Stachelbeeren habe ich bisher 12 Pfund abgemacht. In den nächsten Tagen hole ich noch welche für Marmelade und zum einmachen in Flaschen. 
Beim Apfelbaum hängt diesmal nicht so viel oben. Vielleicht bekommen wir etwas über 1 Ztr. Genau weiß ich es natürlich nicht, denn man kann sich ziemlich täuschen.
Das schwimmen war fein, aber mit Dir wäre es noch schöner gewesen. Vorläufig kommen wir ja nicht mehr dazu, höchstens nach der Reise. Da habe ich übrigens von Elsa beiliegenden Brief erhalten. Sie freut sich also. Hoffentlich ärgerst Du Dich nicht, daß ich sie zu uns eingeladen habe.
Die Bilder von Eurem Bergwerksbesuch sind fein geworden. Du gefällst mir gut drauf. Das wird Dir später eine lieber Erinnerung sein. Ihr seht wirklich aus, als ob Ihr zur Belegschaft gehört.
Du schriebst vor kurzem einmal, daß ich mir für meine Schuhe sicher eine andere Farbe gewünscht hätte, als Du sie geschickt hast. Das ist nicht der Fall. Die Farbe gefällt mir wirklich gut.
Ich will nun schließen. Da Vater auf dem Liegestuhl schlafen will, haben wir nicht genug Decken zum drunter legen und zudecken. Da will ich mit dem Rad noch schnell runter fahren, denn es ist 9 Uhr.
Sei recht, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. 

Mein lieber Ernst!                                                                                          Konstanz, den 18.7.41

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 14./15. 7. Ich danke Dir sehr dafür. Ich schreibe Dir heute gleich mit der Schreibmaschine, da meine Zeit wieder sehr knapp ist. Ich habe heute früh gebacken, da ich morgen einkaufen fahren und das Krankengeld für Vater holen will. Am Nachmittag habe ich bei Strohmeyer den Lohn für Vater geholt. Außerdem habe ich noch die Setzlinge gegossen. Bei der Gelegenheit habe ich mir auch gleich den einen Koffer bei Vater unten geholt, denn 1 Koffer langt nicht ganz. Nun ist es schon wieder 5 Uhr.
Heute morgen war der Arzt da. Mit Vater ist es ja noch nicht besser. Er hat noch etwas Husten dazu bekommen. In der vergangenen Nacht hat er nicht schlafen können, aber er hat doch bei der erhöhten Lage im Liegestuhl nicht so viel Schmerzen gehabt. Heute liegt er auf dem Sofa. Da haben wir erst gar nicht daran gedacht, daß das auch praktisch für ihn wäre, da es doch hochzustellen geht. Da Vater so Stechen hat, müssen wir 2 mal täglich lauwarme Wickel machen. Ich habe nun den Arzt gefragt, ob ich Vater mit gutem Gewissen ab nächstem Freitag allein lassen könnte. Er sagte, er würde Anfang nächster Woche sehen, wie es ist. Ich sollte nur ruhig reisen, evtl. würde er Vater, wenn es die Pflege erfordert, solange ins Krankenhaus nehmen. Das will Vater aber wieder auf keinen Fall. Vater sagt aber, er könnte sich gut solange allein behelfen, da er doch keinen Hunger hat und sich nichts kochen muß. Aber er muß doch wenigstens jemand haben, der ihm etwas einkaufen kann.
Ich habe noch nicht abgeschrieben an zuhause, die wären sicher auch sehr enttäuscht. Aber andererseits habe ich auch gar keinen rechten Schneid wegzufahren. Vielleicht ist es bis Ende nächster Woche auch schon viel besser. Augenblicklich bin ich ja ziemlich abgespannt, das kannst Du Dir denken. Erst war das mit Jörg`s Ohr. Nun ist Vater krank. Ausspannen würde ich ja sehr gern einmal. Du mußt natürlich nicht denken, daß ich Vater nicht gern hätte, denn es ist wirklich nötig, daß er jemand hat, der ihn ein bißchen pflegen kann, die Wickel macht, Medizin gibt usw.
Wenn Elsa mit herkommen würde, ist es natürlich klar, daß ich nicht alle Arbeit allein mache. Das könnte ich auch gar nicht. Ich muß jetzt schon alle Kräfte anspannen, geschweige, wenn ich noch 3 Personen da habe.
Die nächste Woche ist ja auch noch sehr arbeitsreich. Da muß ich noch Marmelade kochen und Beeren in Flaschen einmachen. Außerdem muß ich noch packen und alles in Ordnung bringen. Ich werde froh sein, wenn ich erst mit den Kindern auf der Bahn sitze.
Ich hatte in den letzten Tagen Zeitungspäckchen an Kurt geschickt. Jetzt habe ich sie zurückerhalten, d.h. bisher eins, mit dem Vermerk „Zur Zeit nicht zu befördern“. Das heißt bisher doch, daß er nach Russland gekommen ist, nicht wahr. Denn nach Frankreich nehmen sie Päckchen an. Ich will ihm da in den nächsten Tagen extra einen Brief schreiben, denn Briefe werden ja befördert. Ich bin ja gespannt, wenn wir die erste Nachricht von ihm bekommen.
Heute habe ich mit Kesslers Josef gesprochen. Der war bis jetzt bei der Handelsmarine. Zuletzt ist er nach Narvik gefahren. Dabei ist sein Schiff torpediert worden. Er war dann noch auf einem anderen Schiff, mit dem er zuletzt in Kopenhagen war. Jetzt kommt er 12 Jahre zur Kriegmarine. Erst muß er eine Schule besuchen und kommt dann, wenn er bestanden hat, sofort auf ein Kriegsschiff. Er sagt ja, daß er noch nicht weiß, ob er bestehen wird, aber hoffen tut er es natürlich auch. Es war ganz interessant, sich mit ihm zu unterhalten. Er spricht ganz anders wie früher, ich weiß nicht, ob es Hamburger Dialekt ist. In Konstanz gefällt es ihm nicht mehr, aber er sagt, daß  er auch sonst nirgends Ruhe hat.
Ich weiß nicht, ob es Dich interessiert, daß die Frau Heinzelmann (so heißt sie doch?) deren Mann, glaub ich, vor dem Krieg Arbeitsdienstführer war, in Scheidung lebt. Wir hatten sie doch bei Deinem letzten Urlaub mit 2 Soldaten getroffen.
Helga war heute allein beim Zahnarzt. 1 Zahn wird plombiert. Einstweilen ist eine Einlage zum Nervabtöten  gemacht worden. Am Mittwoch muß sie wieder hinkommen. Beim anderen Arzt war sie auch wegen dem Fleck auf dem Kopf. Wir müssen jetzt einmal 10Tage nichts einreiben und sehen, ob die Schuppen wieder kommen. Sollte dies der Fall sein, müssen wir wieder die Salbe einreiben und sie soll, nachdem wir von der Reise zurückgekommen sind, wieder hinkommen. Anfang nächster Woche will ich mit Jörg auch noch einmal zu Arzt, damit das Ohr ausgespritzt wird.
Ich bin jetzt sehr froh um die Schokolade, die Du mir geschickt hast. Wo ich jetzt so viel zu schaffen habe, gibt es doch mehr Hunger als sonst. Da die Kinder auch augenblicklich richtig (fr)essen, habe ich nicht gerade zu reichlich Brot. Da esse ich öfter zwischendurch ein Stück Schokolade. Das nährt doch auch. Kartoffeln und Gemüse habe ich ja reichlich, aber Du weißt ja, Brot essen die Kinder abends doch am liebsten.
Nun will ich aber wieder schließen, denn es ist Zeit zum Abendbrot. Die Kinder meutern schon. Vater muß auch wieder einen Wickel bekommen. Sei also für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen