Donnerstag, 21. Juli 2016

Brief 191 vom 19./20./21.7.1941


Mein liebster Ernst!                                                                              Konstanz, 19.7.41                

Ich komme tatsächlich kaum mehr dazu, an Dich zu schreiben. So häuft sich jetzt die Arbeit. Es ist schon wieder 8 Uhr.
Vater liegt drüben auf dem Sofa. Ich habe ihm gerade vorhin einen Wickel gemacht und Medizin gegeben. Heute hat er meist auf dem Stuhl gesessen und meist halb geschlafen. Interesse hat er für nicht, nur ausruhen. Essen kann er auch noch nichts. Es ist direkt ein körperlicher Zusammenbruch. Vater sagt ja selber, daß er mit daran schuld ist, weil er sich zu viel zugetraut hat und immer so spät schlafen gegangen ist. Aber das läßt sich nun nicht mehr ändern Die Hauptsache ist, daß es wieder besser wird. Heute Morgen wolle ich Vaters Krankengeld holen, konnte es aber nicht bekommen, da eine Lohnbescheinigung fehlte. Ich habe mich erst ziemlich geärgert. Das hätten sie mir bei Stromeyer doch gleich mitgeben können, denn ich habe doch erst am 3. Tag, wo Vater  nicht mehr schaffte, den Krankenschein geholt. Die müssen doch wissen, daß man die Bescheinigung braucht. So muß ich am Montag erst wieder rum fahren. 
Am Nachmittag habe ich heute wieder die Tomaten angebunden. Die sind fest gewachsen.
Auch etwas Marmelade habe ich eingekocht. Vom großen Bäumchen habe ich bisher 9 1/2 Pfund Stachelbeeren abgemacht. Es sind noch welche dran. Aber die Beeren sind bei diesem Bäumchen diesmal sehr klein. Vielleicht, weil es so viel sind. Das ganz kleine, neu gepflanzte Bäumchen hat auch einige Beeren und zwar von der großen Sorte des oberen Bäumchens. Das trägt übrigens auch wieder gut. Ich habe nur noch keine abgemacht. Wegen ihrer Größe sind die Beeren davon bei den Kindern „Bomber“ genannt worden. Morgen will ich noch 3 kleinere Flaschen mit Stachelbeeren füllen. Die anderen essen wir und die erst noch reif werden kann ja Vater haben. Jetzt gibt es auch bald Buschbohnen.
Die Kinder schlafen heute wieder in ihrem Zimmer, da Vater auf dem Sofa liegen will. Ich habe dadurch wenigstens schon das Schlafzimmer richtig einräumen könne, so daß ich nicht alles nächste Woche machen muß.
Ich glaube, ich habe dir heute nicht viel interessantes geschrieben. Sei mir darum nicht böse, aber ich bin etwas kaputt, dazu ist es noch so heiß. Da kommen einen gar keine richtigen Gedanken.
Sei für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt  von Deiner Annie.

Mein lieber Ernst!                                                                                Konstanz, 20.7.41

Dieser Sonntag wäre wieder vorbei. Er war ziemlich arbeitsreich, aber ich tröste mich damit, daß ich wahrscheinlich nächsten Sonntag faul sein kann. Ich habe noch einmal etwas Marmelade eingekocht. Nun habe ich keinen Zucker mehr. Gebügelt habe ich auch, damit ich morgen nicht gar so viel zu tun habe.
Vaters Zustand ist immer noch der gleiche. Er hat heute den ganzen Tag auf dem Sofa gelegen. Eine Weile hat er sich heute mit mir unterhalten. Er hat auch versucht, 1/2 Brötchen zu essen, aber es liegt ihm noch schwer im Magen. Der Husten hat sich noch nicht gelöst. Mal sehen, wie der Arzt morgen zufrieden ist.
Bei Deiner Schokoladensendung hattest Du 2 Tafeln Kohler-Schokolade extrafein in grüner Umhüllung mitgeschickt. Da habe ich gestern eine probiert. Aber die schmeckt wunderbar. So sahnig. Die andere Tafel hebe ich mir bis zuletzt auf.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 16.7. Ich habe mich sehr gefreut, daß einer am Sonntag angekommen ist, das ist gleich ein Sonntagsgruß. Ich habe Helga vorgelesen, daß Du ihr einen Brief geschrieben hast, da hat sie ein wahres Indianergebrüll angestimmt. 
In einer Wochenschau wollten wir auch schon einmal gehen, aber erst hatte ich kein Geld übrig und jetzt ist Vater krank. Da hatte ich immer ziemlich zu tun und hin- und herzufahren. Vielleicht klappt es diese Woche noch, aber sicher ist es nicht.
Die gesandten Briefmarken hebe ich Dir wieder auf.
Ich will heute nicht so spät ins Bett gehen, gestern war es 1/4 12 geworden. Das ist mir zu spät. Jetzt ist es 3/4 10 und ich schaffe noch den Brief fort. Dann gehe ich schlafen.
Ich grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                                                21.7.41 

Wie schnell doch die Tage vergehen. Der Montag ist auch schon wieder rum. Ich glaube, das bürgert sich langsam ein, daß ich Dir immer erst abends schreibe. Aber ich habe jetzt wirklich immer so viel zu tun, daß die Zeit bei Tag nicht dazu reichen will.
Heute Morgen habe ich, bis auf wenige Sachen, die Koffer soweit gepackt. Ich will nicht am letzten Tag alles machen. Dann habe ich die Schuhe soweit in Ordnung gebracht. Bei meinen guten Schuhen habe ich die Absätze wieder gerade gemacht. Nachdem ich meinen blauen Strohhut modernisiert hatte, habe ich mir heute Helga`s Hütchen vorgenommen. Ich meine das blaue, das ich aus einem Hut von Dir gemacht habe. Ich habe den Hutkopf kleiner gemacht, damit es besser sitzt. Am Nachmittag habe ich die Lohnbescheinigung für Vater geholt.
Wir bekommen die Lebensmittelkarten diesmal am Freitag, das heißt, vom Buchstaben S - Z. Ich bin nun heute, wo andere Straßen dran sind, dort gewesen um zu fragen, ob ich die Lebensmittelkarten bereits haben kann, damit ich einzelne davon noch in Urlaubsmarken umtauschen kann. Es geht aber nicht. Ich habe nach dem Verkehrsamt müssen, wo ich eine Bescheinigung erhalten habe. Damit muß ich am Samstag in Leipzig die Karten holen. Das ist auch umständlich. Aber wenn es nicht anders geht, müssen wir`s eben so machen.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 16.7. Ich habe mich wieder sehr gefreut.
Ja, nun bist Du schon den zweiten Sommer fort. Wir wollen nur nicht zu fest damit rechnen, daß Du nächsten Sommer zuhause bist. Es wäre ja wunderschön, wenn Du bald wieder bei uns wärst, aber die Enttäuschung ist desto größer, wenn man darauf hofft und es trifft dann nicht ein. Wenn man wieder beieinander ist, läßt sich ja alles leichter ertragen. Manchmal will man ja wirklich müde werden. Ich denke dann aber wieder, solange wir noch alle gesund sind, müssen wir nicht klagen. Es haben`s ja manche  noch viel schwerer.
Reisegedanken haben wir jetzt schon. Am meisten die Kinder. Die sind schon ganz zapplig. Ich bin aber nicht aufgeregt. Vorläufig habe ich nur ein bißchen aufgeatmet, als der Arzt heute sagte, ich könnte ruhig fahren und Vater brauchte nicht ins Krankenhaus. Es würde jetzt schon besser. Das ist doch eine Beruhigung.
Morgen gehe ich mit Jörg noch zum Arzt, damit das Ohr noch einmal untersucht und gereinigt wird.
Vater sagte heute, wenn Du Schuhe besorgen kannst, sollst Du sie doch einmal anprobieren. Vor allen Dingen sollen sie oben schön weit sein. Das Geld soll ich in den nächsten Tagen noch mit aufgeben, ich meine, die 15,-. Du wirst ja sehen, ob Du etwas Passendes bekommst. Ich habe Vater gesagt, daß Du nicht garantieren kannst, ob die Schuhe passen oder ihm gefallen.
Ich habe gerade mein Schreiben unterbrochen und Jörg zwischendurch die Haare geschnitten. Die Kinder müssen sowieso gleich ins Bett, da hat sich Jörg nicht erst noch einmal umziehen müssen, sondern konnte hinterher gleich das Nachthemd anziehen. Bei Tag muß er wegen den stachligen Haaren  doch immer ein frisches Hemd anziehen. Jetzt sieht Jörg wieder ordentlich aus.
Für Helga habe ich heute noch 2 Paar Haarschleifen gekauft, damit sie auch nett aussieht. Soweit sind wir alle für die Reise gerüstet. Am Donnerstagnachmittag hole ich die Fahrkarten, eine Zulassungskarte brauchen wir hier am Bahnhof nicht, wahrscheinlich nur in Großstädten. Ich habe mich schon beizeiten danach erkundigen wollen, damit ich dann nicht in Verlegenheit komme.
Ich nehme auch für alle Fälle die Quittungskarte von der Krankenkasse mit. Ebenso die Kleiderkarten, wenn ja jemand etwas für Jörg zum Geburtstag kaufen will. Ich hoffe, daß ich an alles Wichtige gedacht habe. Wenn Du hier wärst, hätte ich es ja leichter. Da würdest Du auch mit an das Nötige denken.
Nun will ich wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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