Samstag, 2. Juli 2016

Brief 182 vom 30.6./1.7.1941


Mein lieber Ernst!                                                                                             30.6.41      

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 28.6. Der ist schnell angekommen.
Leider habe ich lesen müssen, daß Du Dich auch dort herumärgern mußt. Es muß eben immer etwas sein. Nimm es nur nicht so schwer.
Du meintest, wir sollten doch einmal zur Mainau fahren. Vielleicht laufen wir einmal hin. Das Fahren kostet mir diesen Monat zu viel, denn ich muß ziemlich das Geld zusammenhalten, wenn wir verreisen wollen. Ich habe mich heute erkundigt. Eine Fahrt kostet für mich 30,7oMk. Beide Kinder zusammen kosten auch soviel. Das ist für Hin- und Rückfahrt über 120,- Rückfahrkarten gibt es ja nicht und auf dem Fahrpreis ist halt noch Kriegssteuer drauf. Ein paar Mark möchte ich auch so noch zum Verbrauchen haben. 45,- Fahrtgeld habe ich bis jetzt. Am 15. kann ich vom Gehalt noch 80,- nehmen. Ich weiß ja nicht genau, wie viel ich ausgezahlt bekomme, aber 196,- wie voriges Mal bestimmt.
Heute habe ich auch den Gehaltszettel bekommen. Er lautet:
Gehalt (was ich ausgezahlt bekomme)    267,09
Einkommensteuer                                     14,30
Bürgersteuer                                                2,-
Miete                                                         37,70
Angestelltenw.                                            6,-
Arbeitsfront                                                3,80
Zusatzversorgung                                       6,85                   
Abzüge                                                      70,65                               
                                                          __________                               
                                                                 196,44
Wenn übrigens alles klappt, fahren wir vielleicht am Freitag, den 25.7. Ich denke, daß am Samstag sicher noch mehr Betrieb sein wird. Ich habe mich heute auch nach dem Zug erkundigt. Wir könnten um 8,06 Uhr wegfahren und wären abends 20,45 in Leipzig. Das wäre doch günstig.
Ich habe heute ein Päckchen an Dich abgeschickt. Morgen folgen noch zwei. Es sind aber nur Kleinigkeiten, die wir Dir schicken konnten. Man ist gar nicht mehr im Bild, was Du eigentlich hast und was Du brauchen könntest.
Auf der Post sagten sie mir heute, nach Westen werden Päckchen angenommen, nur nach dem Osten noch nicht.
Heute kamen 2 Päckchen von Kurt, er hat verschiedene Sachen zum Aufheben zurückgeschickt. Bonbons für die Kinder waren auch dabei. Nun lag auch ein seidener Schal dabei, vielmehr kein Schal, sondern ein viereckiges Tuch, wie Du mir welche geschenkt hast. Jetzt weiß ich nicht, soll das für mich sein, oder soll ich es mit aufheben. Er schreibt in den Briefen nie etwas dazu. Bedanke ich mich  nun und es ist nicht für mich bestimmt denkt er, die ist frech, bedanke ich mich nicht und es gehört mir, denkt er, ich bin undankbar. Was soll ich machen. Anfragen möchte ich auch nicht, denn bei seiner Wesensart denkt er dann, er muß es mir geben.
Ich denke gerade daran, Du hattest einmal gefragt, ob ich die Schuhe von Helga, die Du geschickt hast, praktisch finde. Das kann ich wohl sagen. Sie sehen immer ordentlich aus, sind leicht sauber zu machen und Helga kann sehr gut darin laufen.
Ich will jetzt noch eine Weile in den Garten gehen und die Erde lockern. Lange geht es ja nicht, es ist bereits abends 1/2 8 Uhr. Aber das ist gerade recht, denn zuviel kann ich doch nicht machen.
Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein lieber Mann!                                                                                         1.7.41

Heute erhielt ich Deinen  lieben Brief vom 27.6. Ich habe darin gelesen, daß es Dir tatsächlich nicht an Arbeit mangelt.
Wieso bist Du außer dem Assessor der einzige Beamte? Was sind die anderen?
Gestern Abend bin ich noch in den Garten gegangen. Jörg hat mir fest geholfen. Wir haben alles gehackt und hinterher noch Erdbeeren geholt. 2 Pfund haben wir wieder geerntet. Das ist jetzt immer unser Abendbrot. Wurst essen wir gar icht mehr. Ich habe jetzt meist soviel Fleischmarken übrig, daß ich Vater eine ganze Karte geben kann. Er ist mir nicht böse deshalb. Er ißt doch meistens Fleisch, denn wenn er Gemüse machten wollte, könnte er nachts um 12 essen. Als Vater zu Pfingsten für mich die Kartoffeln geschält hat, brauchte er für 12 - 14 Stück über eine Stunde. Da kannst du Dir denken, wie viel Zeit er für Gemüse brauchte. Wir sind aber gerade froh, daß es wieder frisches Gemüse gibt. Das ist schön, wenn man einen eigenen Garten hat.
Ich schrieb Dir doch gestern von dem Tuch, das Kurt geschickt hat. Ich zeigte es gestern Vater. Er will von sich aus einmal bei Kurt anfragen, für wen es bestimmt ist. An Vater kann er dann besser schreiben, wenn es nicht für mich ist.
Seit heute besteht die Bodensee-Zeitung nicht mehr. Sie ist von der Rundschau aufgekauft worden. Jetzt besteht die hier noch ganz allein.
Gestern hat Kurt zum Aufheben noch 2 Buchhalter (ich weiß nicht, wie man es richtig nennt) geschickt. Weißt Du, die man so rechts und links an die Bücher stellt, daß sie nicht umfallen. Die gefallen mir sehr gut, da hat er einen guten Geschmack gehabt. Sie stellen eine Frau und einen Mann dar, geschnitzt in dunkel gebeiztem Holz, nur die Gesichter sind hell gebeizt. Das hat sogar die Anerkennung Deines Vaters gefunden.
Bei uns im Garten ist jetzt der Salat, den ich gesetzt habe, soweit, daß man ihn essen kann. Das ist immer etwas Gutes. Man muß ihn nur hintereinander verbrauchen, sonst schießt er. Wir haben jetzt wieder meist sonniges Wetter, nach dem es ein paar Tage etwas trüb war.
Ich muß jetzt schließen, denn ich muß noch für uns und Vater die Gasrechnung bezahlen. Da wird um 3 Uhr geschlossen. Ich war schon gestern drin und hatte gar nicht daran gedacht, daß am letzten Tag im Monat geschlossen ist.  Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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