Montag, 25. Juli 2016

Brief 192 vom 22.7.1941


Mein lieber Ernst!                                                                     Konstanz, den 22.7.41       

Heute erhielt ich 2 Briefe von Dir. Heute Morgen den vom 19. und heute Nachmittag den vom 17./18.7. Ich danke Dir für beide recht sehr.
Nachdem Du in Deinem Brief vom 19.7. schreibst, dass der Gehaltszettel wahrscheinlich doch stimmt, brauche ich doch nicht noch einmal fragen? Wegen der Abzüge hatte ich schon bei Frl. Bucher nochmals angerufen. Es ist so, wie Du schreibst. Die Gehaltsaufbesserung hat nichts mit der Ernennung zum Beamten zu tun, sondern erfolgt auf Grund der Prüfung. Wahrscheinlich würde Dein Gehalt als Beamter etwas weniger ausmachen, wenigstens sagte das Frl. Bucher, aber Du bekommst den jetzigen Betrag solange, bis Du auch als Beamter diese Stufe erreichst hast. Wenn Du die Ernennung zum Beamten bekommst, müssen wir uns dann freiwillig bei der Krankenkasse versichern. Wir müßten dann sicher mehr zahlen, aber da dann die Abzüge wegfallen, wird es sich wahrscheinlich ausgleichen. Der Betrag für die Bücher ist noch nicht abgezogen worden, da sie die Anweisung dazu spät bekommen haben. Ich habe nun gesagt, sie sollen es gleich auf einmal abziehen. Es ist mir so lieber, da hat sie nicht so viel Arbeit.
Mit Jörg war ich heute beim Arzt. Es ist alles wieder in Ordnung. Der Eiter ist raus. Da bin ich froh. Bei mir ist in den letzten Tagen die Verschleimung und die Beklemmung wieder etwas schlimmer geworden. Da habe ich mir gleich noch etwas verschreiben lassen. Bei Tag ist es nicht so schlimm, aber bei Nacht kann ich jetzt gar nicht mehr auf der linken Seite schlafen. Da wird es mir ganz eng und ich bekomme Herzklopfen. Heute früh hat es mich dadurch auch schon um 5 Uhr aus dem Bett getrieben. Ich glaube, es macht etwas aus, dass ich die letzten Tage so viel zu tun hatte. Jetzt ist ja das meiste vorbei. Denn ich habe schon alles vorbereitet. Ich freue mich ja, wenn ich einmal ausspannen kann.
Sonst fühle ich mich ganz wohl Ich gehe aber noch zum Arzt, damit auch alles richtig ausheilt. Man weiß ja gar nicht, ob es sonst nicht im Winter schlimmer wird, wenn die nebligen Tage kommen.
Ich denke auch, daß ich mit meinem Geld in Leipzig auskommen werde. Aber ich habe mir soviel mitgenommen, damit ich auch Jörg noch etwas zum Geburtstag kaufen kann. Was, weiß ich ja noch nicht.
Außer dem kleineren Bäumchen habe ich jetzt alle Stachelbeeren abgenommen. Das große Bäumchen hatte 10 1/2 Pfund, die Sträucher zusammen 16 1/2, also etwas weniger als voriges Jahr. Am kleinen Bäumchen sind die Beeren noch nicht total reif. So essen können wir sie noch nicht, Vater hat bis jetzt auch noch keinen Appetit, ob er sie bald essen kann, weiß ich auch nicht. Ich mache es nun so, daß ich einen Korb voll bzw. soviel es eben gibt, mit nach Leipzig nehme. Ich nehme den Korb natürlich nicht mit in das Abteil, sondern gebe ihn auf. Wenn ich die Fahrkarte vorweisen kann, geht es ja im demselben Zug mit. So haben wir auch noch etwas davon.
Der Brief vom 19. ist ja nun der letzte Brief hierher gewesen. Da werde ich sicher in Leipzig gleich ein paar vorfinden, denn wenn es so schnell geht wie zu uns, erhalten die Eltern den nächsten Brief schon morgen.
Von Siegfried ist heute auch ein Brief gekommen. Er war mit seinem Zug bis Stuttgart gekommen. Jetzt ist er wieder in Dresden. Urlaub wird er wahrscheinlich nicht bekommen können, er hofft aber auf ein Wunder, dass er mich wenigstens einmal sprechen kann.
Vater liegt immer noch den ganzen Tag auf dem Sofa. Er schaut sich immer an, wie er zusammengefallen ist und will es gar nicht glauben. Du kennst ja seine Art, wie er es immer schon gemacht hat, wenn er einmal etwas am Finger gehabt hat. Er schaut es immer wieder an, wenn er denkt, es sieht jemand zu. Er möchte da gern ein bißchen bedauert sein. Aber ich sage meist, dass es doch gar nicht so schlimm sei. Vorgestern war ich schon unten in seiner Wohnung und habe das Schlafzimmer ein bißchen aufgeräumt, damit es anständig aussieht, wenn der Arzt kommt. Vater hatte mich darum gebeten. In der Stube habe ich ja nichts gemacht, sonst ist er nur beleidigt. Er sagte vor kurzem einmal, er will, sobald er wieder auf dem Posten ist, vieles wegschmeißen, damit wir uns auch zu Recht finden, wenn er einmal stirbt. Das soll ja nun nicht gleich sein, aber das wegwerfen schadet ja nichts.
Nun will ich wieder schließen. Es ist jetzt Zeit zum Abendbrot. Wenn es möglich ist, will ich auch noch an Kurt schreiben. Es ist nämlich nur ein Päckchen zurückgekommen. Jetzt weiß ich nicht, ist er vielleicht doch noch in Frankreich und ist das eine nur aus Versehen zurückgeschickt worden? Ich frage jedenfalls einmal kurz bei ihm an.
Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküsst von Deiner Annie.

Ich habe ganz vergessen, Dir zu schreiben, daß der Brief an Helga gestern gekommen ist. Das war eine Freude. Du hast wieder so lieb geschrieben, daß ich mich selber gefreut habe. Der Brief hat ihnen viel Spaß gemacht, vor allen Dingen hat sich Jörg amüsiert, daß er sich fürchten soll, mit dem Zelt fortzufahren. Auch der „Oberstromer“ hat viel Begeisterung gefunden. Helga wollte gleich gestern wieder schreiben, ich habe ihr aber gesagt, sie soll Dir lieber gleich von Leipzig schreiben, was sie alles erlebt hat.

Vorhin habe ich auch noch an Kurt geschrieben. Leider habe ich vergessen, einen Durchschlag zu machen. Ich schreibe ihn Dir deshalb ab:

 Lieber Kurt!
Ich habe vor ein paar Tagen 3 Zeitungspakete an Dich abgeschickt. Jetzt  ist eins zurückgekommen mit dem Vermerk „Feldpostsperre, zur Zeit nicht zu befördern“. Nun werden doch Päckchen nur nach Frankreich angenommen, aber nicht nach Rußland. Bist Du nach Rußland gekommen? Wir sind uns aber nicht sicher, weil die anderen 2 Päckchen nicht zurückgekommen sind. Vielleicht gibst Du uns einmal Bescheid.
Vater ist augenblicklich krank. Am Samstag vor 8 Tagen ist er zusammengebrochen. Ich habe es erst durch Hermine Hagnauer erfahren und habe Vater mit zu uns genommen. Da wir doch am Freitag wegfahren wollen nach Leipzig, habe ich den Arzt gefragt, ob ich ihn allein lassen kann. Er sagte, daß ich ruhig fahren sollte, es würde jetzt besser. Bei Vater ist das Herz angegriffen. Er braucht vor allen Dingen Ruhe. Essen kann er bis jetzt auch noch nichts. Soweit es möglich ist, habe ich ihm alles besorgt, damit er, wenn er Appetit bekommt, etwas da hat. Am Donnerstag geht Vater wieder zu sich runter. Der Arzt besucht ihn gleich am Freitag wieder. Er wollte Vater erst so lange ins Krankenhaus tun, bis wir wiederkommen, aber beim letzten Besuch sagte er, daß es nicht mehr nötig sei. Vater hätte sich sowieso gesträubt, ins Krankenhaus zu gehen. Ich bin froh, daß ich mit ruhigem Gewissen abreisen kann. Jetzt hat Vater selbst eingesehen, daß es nicht gut war, daß er immer so lange munter geblieben ist. Er hat sich vorgenommen, daß es nicht mehr vorkommen soll. Aber es war eben so, bei Tag hat er schwer schaffen müssen und abends hat er noch im Garten und mit dem Essen zu tun gehabt, da ist es immer später geworden. Vorläufig kann Vater ja nicht mehr schaffen. Er soll nur auch nicht zu zeitig wieder anfangen. Es gibt ihm niemand etwas, wenn er ganz kaputt ist.
Gestern sind die 130,- von Dir angekommen. Der Briefträger hatte erfahren, daß Vater bei uns ist und hat es zu uns gebracht.
Gib uns also bitte Bescheid, wo Du bist. Am besten schreibst Du an Vater. Wenn Du an mich schreibst, ist meine Adresse bis ca. 9.8. Leipzig N 25, Mockauerstr. 116 bei Michel.
Sei nun herzlich gegrüßt von ...

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