Mein lieber Ernst! Konstanz,
den 22.7.41
Heute erhielt ich 2 Briefe von Dir. Heute
Morgen den vom 19. und heute Nachmittag den vom 17./18.7. Ich danke Dir für
beide recht sehr.
Nachdem Du in Deinem Brief vom 19.7.
schreibst, dass der Gehaltszettel wahrscheinlich doch stimmt, brauche ich doch
nicht noch einmal fragen? Wegen der Abzüge hatte ich schon bei Frl. Bucher
nochmals angerufen. Es ist so, wie Du schreibst. Die Gehaltsaufbesserung hat
nichts mit der Ernennung zum Beamten zu tun, sondern erfolgt auf Grund der
Prüfung. Wahrscheinlich würde Dein Gehalt als Beamter etwas weniger ausmachen,
wenigstens sagte das Frl. Bucher, aber Du bekommst den jetzigen Betrag solange,
bis Du auch als Beamter diese Stufe erreichst hast. Wenn Du die Ernennung zum
Beamten bekommst, müssen wir uns dann freiwillig bei der Krankenkasse
versichern. Wir müßten dann sicher mehr zahlen, aber da dann die Abzüge wegfallen,
wird es sich wahrscheinlich ausgleichen. Der Betrag für die Bücher ist noch
nicht abgezogen worden, da sie die Anweisung dazu spät bekommen haben. Ich habe
nun gesagt, sie sollen es gleich auf einmal abziehen. Es ist mir so lieber, da
hat sie nicht so viel Arbeit.
Mit Jörg war ich heute beim Arzt. Es ist
alles wieder in Ordnung. Der Eiter ist raus. Da bin ich froh. Bei mir ist in
den letzten Tagen die Verschleimung und die Beklemmung wieder etwas schlimmer
geworden. Da habe ich mir gleich noch etwas verschreiben lassen. Bei Tag ist es
nicht so schlimm, aber bei Nacht kann ich jetzt gar nicht mehr auf der linken
Seite schlafen. Da wird es mir ganz eng und ich bekomme Herzklopfen. Heute früh
hat es mich dadurch auch schon um 5 Uhr aus dem Bett getrieben. Ich glaube, es
macht etwas aus, dass ich die letzten Tage so viel zu tun hatte. Jetzt ist ja
das meiste vorbei. Denn ich habe schon alles vorbereitet. Ich freue mich ja,
wenn ich einmal ausspannen kann.
Sonst fühle ich mich ganz wohl Ich gehe
aber noch zum Arzt, damit auch alles richtig ausheilt. Man weiß ja gar nicht,
ob es sonst nicht im Winter schlimmer wird, wenn die nebligen Tage kommen.
Ich denke auch, daß ich mit meinem Geld in
Leipzig auskommen werde. Aber ich habe mir soviel mitgenommen, damit ich auch
Jörg noch etwas zum Geburtstag kaufen kann. Was, weiß ich ja noch nicht.
Außer dem kleineren Bäumchen habe ich
jetzt alle Stachelbeeren abgenommen. Das große Bäumchen hatte 10 1/2 Pfund, die
Sträucher zusammen 16 1/2, also etwas weniger als voriges Jahr. Am kleinen
Bäumchen sind die Beeren noch nicht total reif. So essen können wir sie noch
nicht, Vater hat bis jetzt auch noch keinen Appetit, ob er sie bald essen kann,
weiß ich auch nicht. Ich mache es nun so, daß ich einen Korb voll bzw. soviel
es eben gibt, mit nach Leipzig nehme. Ich nehme den Korb natürlich nicht mit in
das Abteil, sondern gebe ihn auf. Wenn ich die Fahrkarte vorweisen kann, geht
es ja im demselben Zug mit. So haben wir auch noch etwas davon.
Der Brief vom 19. ist ja nun der letzte
Brief hierher gewesen. Da werde ich sicher in Leipzig gleich ein paar
vorfinden, denn wenn es so schnell geht wie zu uns, erhalten die Eltern den
nächsten Brief schon morgen.
Von Siegfried ist heute auch ein Brief
gekommen. Er war mit seinem Zug bis Stuttgart gekommen. Jetzt ist er wieder in
Dresden. Urlaub wird er wahrscheinlich nicht bekommen können, er hofft aber auf
ein Wunder, dass er mich wenigstens einmal sprechen kann.
Vater liegt immer noch den ganzen Tag auf
dem Sofa. Er schaut sich immer an, wie er zusammengefallen ist und will es gar
nicht glauben. Du kennst ja seine Art, wie er es immer schon gemacht hat, wenn
er einmal etwas am Finger gehabt hat. Er schaut es immer wieder an, wenn er
denkt, es sieht jemand zu. Er möchte da gern ein bißchen bedauert sein. Aber
ich sage meist, dass es doch gar nicht so schlimm sei. Vorgestern war ich schon
unten in seiner Wohnung und habe das Schlafzimmer ein bißchen aufgeräumt, damit
es anständig aussieht, wenn der Arzt kommt. Vater hatte mich darum gebeten. In
der Stube habe ich ja nichts gemacht, sonst ist er nur beleidigt. Er sagte vor
kurzem einmal, er will, sobald er wieder auf dem Posten ist, vieles
wegschmeißen, damit wir uns auch zu Recht finden, wenn er einmal stirbt. Das
soll ja nun nicht gleich sein, aber das wegwerfen schadet ja nichts.
Nun will ich wieder schließen. Es ist
jetzt Zeit zum Abendbrot. Wenn es möglich ist, will ich auch noch an Kurt
schreiben. Es ist nämlich nur ein Päckchen zurückgekommen. Jetzt weiß ich
nicht, ist er vielleicht doch noch in Frankreich und ist das eine nur aus
Versehen zurückgeschickt worden? Ich frage jedenfalls einmal kurz bei ihm an.
Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und
geküsst von Deiner Annie.
Ich habe ganz vergessen, Dir zu schreiben,
daß der Brief an Helga gestern gekommen ist. Das war eine Freude. Du hast
wieder so lieb geschrieben, daß ich mich selber gefreut habe. Der Brief hat
ihnen viel Spaß gemacht, vor allen Dingen hat sich Jörg amüsiert, daß er sich
fürchten soll, mit dem Zelt fortzufahren. Auch der „Oberstromer“ hat viel
Begeisterung gefunden. Helga wollte gleich gestern wieder schreiben, ich habe
ihr aber gesagt, sie soll Dir lieber gleich von Leipzig schreiben, was sie
alles erlebt hat.
Vorhin habe ich auch noch an Kurt
geschrieben. Leider habe ich vergessen, einen Durchschlag zu machen. Ich
schreibe ihn Dir deshalb ab:
Lieber
Kurt!
Ich
habe vor ein paar Tagen 3 Zeitungspakete an Dich abgeschickt. Jetzt ist eins zurückgekommen mit dem Vermerk
„Feldpostsperre, zur Zeit nicht zu befördern“. Nun werden doch Päckchen nur
nach Frankreich angenommen, aber nicht nach Rußland. Bist Du nach Rußland
gekommen? Wir sind uns aber nicht sicher, weil die anderen 2 Päckchen nicht
zurückgekommen sind. Vielleicht gibst Du uns einmal Bescheid.
Vater
ist augenblicklich krank. Am Samstag vor 8 Tagen ist er zusammengebrochen. Ich
habe es erst durch Hermine Hagnauer erfahren und habe Vater mit zu uns
genommen. Da wir doch am Freitag wegfahren wollen nach Leipzig, habe ich den
Arzt gefragt, ob ich ihn allein lassen kann. Er sagte, daß ich ruhig fahren
sollte, es würde jetzt besser. Bei Vater ist das Herz angegriffen. Er braucht
vor allen Dingen Ruhe. Essen kann er bis jetzt auch noch nichts. Soweit es
möglich ist, habe ich ihm alles besorgt, damit er, wenn er Appetit bekommt,
etwas da hat. Am Donnerstag geht Vater wieder zu sich runter. Der Arzt besucht
ihn gleich am Freitag wieder. Er wollte Vater erst so lange ins Krankenhaus
tun, bis wir wiederkommen, aber beim letzten Besuch sagte er, daß es nicht mehr
nötig sei. Vater hätte sich sowieso gesträubt, ins Krankenhaus zu gehen. Ich
bin froh, daß ich mit ruhigem Gewissen abreisen kann. Jetzt hat Vater selbst
eingesehen, daß es nicht gut war, daß er immer so lange munter geblieben ist.
Er hat sich vorgenommen, daß es nicht mehr vorkommen soll. Aber es war eben so,
bei Tag hat er schwer schaffen müssen und abends hat er noch im Garten und mit
dem Essen zu tun gehabt, da ist es immer später geworden. Vorläufig kann Vater
ja nicht mehr schaffen. Er soll nur auch nicht zu zeitig wieder anfangen. Es
gibt ihm niemand etwas, wenn er ganz kaputt ist.
Gestern
sind die 130,- von Dir angekommen. Der Briefträger hatte erfahren, daß Vater
bei uns ist und hat es zu uns gebracht.
Gib
uns also bitte Bescheid, wo Du bist. Am besten schreibst Du an Vater. Wenn Du
an mich schreibst, ist meine Adresse bis ca. 9.8. Leipzig N 25, Mockauerstr.
116 bei Michel.
Sei
nun herzlich gegrüßt von ...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen