Mein lieber Ernst Konstanz, den 30.7. 41
Einen Brief habe ich heute nicht von Dir
bekommen. So habe ich also auch nichts zu beantworten. Ich kann auch heute
nicht so viel schreiben, da ich nachher gleich in die Stadt muß. Ich sollte
mich doch morgen mit Alice und Erna treffen, aber bei Erna klappt es morgen
nicht, da sie da Besuch bekommen und so wollen wir uns schon heute treffen.
Heute Morgen konnte ich nicht schreiben, da ich für Mama eingekauft habe und
noch verschiedenes geschafft habe.
Es ist heute regnerisches Wetter, aber das
macht ja nichts. Ich habe ja meinen guten Regenmantel mit, da kann ich mich
schon sehen lassen. Wir wollen für Jörg eine Kleinigkeit einkaufen und auch ins
Kino gehen. Ich habe es Dir ja schon genau in einem vorhergehenden Brief
beschrieben.
Von Siegfried kam heute eine Karte, daß er
versuchen will, wenn sie von der Fahrt zurück sind, noch einmal Urlaub zu
bekommen. Er schreibt, sie seien schon auf der Rückfahrt.
Ich habe Papa gefragt, ob wir nicht einmal
in ein Variete gehen könnten. Er wollte uns nämlich ins Operettentheater schicken.
Das andere wäre mir aber lieber. Wir werden wahrscheinlich einmal nachmittags
hingehen, wo auch die Kinder mitgehen. Ich glaube sicher, daß es ihnen auch
gefallen würde. Entweder werden wir am Samstag oder nächsten Mittwoch gehen.
Eigentlich wollten wir ja heute nach dem Zoo. Aber erstens ist die
Verabredung mit Alice dazwischen gekommen und zweitens ist auch kein so schönes
Wetter, daß man viel Freude daran hätte. So bleiben die Kinder heute zuhause
und gehen nur am Nachmittag mit der Mama einkaufen. Ich denke, daß sie sie
schon ohne Sorgen zuhause lassen kann und daß sie nichts anstellen werden.
Nimm es mir bitte nicht übel, daß ich
heute nicht mehr schreibe, aber ich möchte mich jetzt fertig machen. Um 3 muß
ich mit der Straßenbahn von hier fort fahren. Das ist hier praktisch, daß man
durch die ganze Stadt mit der Straßenbahn für 20 Pfg. fahren kann. Kurzstrecken
kosten sogar nur 10 Pfg. Bei uns kostet schon die Fahrt zum Lutherplatz 25 Pfg.
Das ist da eigentlich sehr teuer.
Doch nun will ich wirklich schließen. Sei
Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst! Leipzig, den 31.7.41
Heute habe ich wieder keinen Brief von Dir
bekommen und ich warte doch so sehr darauf. So will ich Dir, wenn ich nichts zu
beantworten habe. wenigstens erzählen, was wir wieder alles unternommen haben.
Gestern Nachmittag habe ich mich mit Erna
und Alice getroffen. Zuerst war nur Erna da, da Alice etwas später aus dem
Geschäft kam. Wir sind dann gleich ans Kino gegangen und haben die Karten
besorgt. Es wurde gespielt „Dort hinten in der Heide“. Es war ganz nett.
Inzwischen kam dann Alice und wir sind zusammen ins Kaffee Naschmarkt gegangen.
Da haben wir Eis und 2 Stück Torte gegessen. Wie ich gestern Abend noch
rausgehört habe, zahlt alles Alice, was wir an diesem Nachmittag verbraucht
haben. Hinterher sind wir dann ins Kino gegangen und sind um 8 Uhr wieder
herausgekommen. Wir wollten noch ein anderes Kaffee besuchen, aber manche waren
zu voll, manche gefielen uns nicht und manche hatten geschlossen. So sind wir
dann nochmals ins Kaffee Naschmarkt gegangen und haben noch einen Apfelsaft und
eine Bowle getrunken. Die waren beide mit Eis gekühlt und daher waren sie sehr
erfrischend. Die Stückchen Eis, die darin schwammen, haben wir zum Schluß auch
noch mit geschleckt. Gegen 1/2 11 Uhr sind wir dort fortgegangen. Ich bin dann
an die Bahn gebracht worden und um 11 Uhr war ich zuhause. Es war ein schöner
Nachmittag.
Heute morgen bin ich mit den Kindern in
die Stadt gegangen. Wir waren im Kaufhaus Althoff und Knoop (früher Brühl). Da
sind wir Fahrstuhl und Rolltreppe gefahren, was den Kindern sehr gut gefallen
hat. Ich habe Helga 2 Nacktfrösche gekauft, wie wir sie früher auch zum spielen
hatten. Das sind 2 kleine Puppen aus Porzellan, die es bei uns nicht gibt.
Hinterher habe ich ihnen noch 2 Tonpfeifen gekauft, die sie zu Seifenblasen
haben möchten. Sie haben mich schon immer damit gequält. Ein Eis haben wir auch
gegessen. Da wir dann noch Zeit hatten, sind wir gleich ins Grassimuseum
gegangen. Das ist ja jetzt auf dem Johannisplatz. Wir haben uns alles soweit
angesehen. Für alles haben ja die Kinder noch kein Interesse. Es sind auch
viele kleine Sachen dabei, die man sich nur ansehen kann, wenn man viel Zeit
und Geduld hat, und an letzterem mangelt es natürlich unseren zwei Burschen.
Auf dem Augustusplatz haben wir uns auch noch auf dem Hochhaus angesehen, wenn
die Männer die Glocke schlagen. Also die Kinder haben wirklich schon viel
gesehen.
Morgen Abend wollen wir wahrscheinlich mit
Papa noch ans Völkerschlachtdenkmal und auf den Friedhof gehen. Am Samstagnachmittag
gehe ich mit den Kindern ins Variete. Papa will Morgen schon Karten besorgen. Am
Sonntag gehen wir ja, wie ich Dir schon schrieb, zu Alice. Während ich gestern fort war, ist Mama mit
den Kindern einkaufen gegangen. Hinterher haben Beide Papa von der Straßenbahn
abgeholt und haben zum Dank dafür wieder Eis bekommen. Helga hat schon zu Papa
gesagt: Wir werden uns in Konstanz wieder wundern, wenn wir nicht mehr oft Eis
bekommen. Hinterher ist Papa noch mit Helga und Jörg fortgegangen und hat Helga
eine sehr nette Kette für 2,30 gekauft, die sie sich hat selber heraussuchen
können. Es ist eine bunte Kette mit Holzperlen, die mir ganz schön gefällt. Für
Jörg hat er nichts gekauft, da er ja schon am Montag Geburtstag hat.
Alice hat mich gestern auch gefragt, warum
Du noch nicht an sie geschrieben hast. Ob Du Bedenken hast, weil sie ein uneheliches
Kind sei. Ich habe sie deshalb direkt ausgelacht und habe ihr gesagt, daß Du
sie nur zu wenig kennst, um ihr mehr zu schreiben und daß Du eben sehr viel zu
tun hast.
Gestern hat Alice auch wieder eine Idee
gehabt, die direkt verrückt war, aber wir haben mitgemacht, damit sie nicht
beleidigt ist. Ich habe an Paul eine Karte schreiben müssen mit dem schönen Inhalt: „Mein Liebling! Ich erwarte Dich
am bestimmten Tag zur bestimmten Zeit. Es ist alles beim alten. Sei herzlich
gegrüßt von Deiner tr. N.N.“ Ich weiß nicht, ob sie ihn damit mopsen will. Jedenfalls
haben wir den Quatsch halt mal mitgemacht.
Gestern hat Papa an Grete in Neustadt, die
doch mit einem anderen verheirateten Mann verkehrt, einen Brief geschrieben,
der sich gewaschen hat. Mama und ich haben ihm gesagt, er solle ihn doch nicht
schreiben, denn er braucht sich doch in diese Sachen nicht hineinmischen. Es
kamen so schöne Wendungen drin vor wie: „Ein Mann, der mit einer verheirateten
Frau verkehrt ist ein Lump und ein Wicht“, „dein dirnnenhaftes Treiben“, „hast
Du gar kein Schamgefühl“, „eine Dirne wollen wir nicht in unserer Familie haben“,
„meinst Du nicht, daß Du mit deinem Treiben deinen Vater noch eher in den Tod
getrieben hast“ usw.
Eine schöne Blütenlese. Wir, d.h. Mama und
ich, erwarten nun nur, daß Grete wahrscheinlich schreiben wird „das geht dich
nichts an und kümmere Dich um dich usw.“ Wenn das kommt, gibt es ja einen
Mordskrach. Ich wäre froh, wenn das erst hinter uns läge. Ich muß ja sagen, ich
hätte mir so einen Brief auch nicht gefallen lassen. Aber Papa hat den Brief
doch fortgeschafft und muß nun auch die Folgen tragen.
Ich bitte Dich, lieber Ernst, verbrenne
bitte diesen Brief. Ich möchte nicht, daß ihn später vielleicht jemand in die
Hände bekäme, da wir die Briefe doch sonst aufheben. Nicht wahr, tust Du mir
den Gefallen. Siegfried hat heute auch wieder eine Karte geschrieben, daß sie
schon bis Erfurt wieder zurück sind und daß er hofft, doch noch einmal kurz
nach hause zu kommen, ehe sie wieder fortfahren.
Nun, mein lieber Ernst, sei recht herzlich
gegrüßt und geküßt von Deiner Annie. Hoffentlich bekomme ich bald wieder einen
Brief von Dir, ich freue mich schon sehr darauf.
Mein lieber Ernst! Leipzig, den 1.August 1941
Heute habe ich wieder umsonst auf einen
Brief von Dir erwartet und ich habe doch solche Sehnsucht, wieder etwas von Dir
zu hören. So bleibt mir nichts anderes übrig, als Dir wieder von uns zu
erzählen. Vom gestrigen Vormittag habe ich Dir ja schon berichtet. Am
Nachmittag waren wir ja daheim 1/2 6 Uhr sind wir aufs Gut und haben Vollmilch
geholt. Hinterher sind wir zum Heinz Ehrling und wollten einen Sack hinbringen.
Wir hatten darin Bohnen geholt. Er war aber nicht in seiner Gärtnerei und so
war der Gang umsonst. Die Hauptsache war aber, daß wir nicht zuhause waren,
denn am Abend brachten die Leute von 2 Häusern die Miete. Da bin ich nicht gern
da, da man allen vorgestellt werden muß. Nachdem die Mietsachen vorbei waren,
haben wir Abendbrot gegessen, Kartoffeln mit Soße und Bohnensalat. Hinterher
hat Papa mit den Kindern rumgekaspert und Spaß gemacht, daß Helga sagte, Papa
könnte ein Clown sein.
Heute Morgen habe ich ein paar Teppiche
geklopft, hinterher bin ich einkaufen gegangen. Ich habe für Alice und Erna für
Jörgs Geburtstag ein Paar Griffel, eine Schwammdose, Buntstifte und ein Malburg
besorgt. Ich bringe es am Sonntag mit zu ihnen hin und sie packen es Jörg mit
etwas Gebäck für Montag ein. Sie wollen noch etwas Geld dazu geben, da ich
wirklich nicht gewußt habe, was Jörg jetzt noch brauchen sollte.
Heute Abend treffen wir uns mit Papa auf
dem Augustusplatz und fahren dann mit ihm nach dem Friedhof und dem
Völkerschlachtdenkmal. Hinein gehen wir nicht, da die Kinder ja doch noch nicht
alles verstehen und ich habe es ja schon gesehen.
Denk Dir, Helga ist bald so groß wir Mama.
Mama ist durch das Alter ja etwas kleiner geworden, aber trotzdem. Da sieht man
erst, wie groß Helga schon geworden
ist. Helga und Jörg hängen sehr an Mama. Immer wollen alle Beide neben
ihr sitzen und Helga umarmt sie immer und hilft ihr ein bißchen mit. Sie fragte
mich schon einmal, ob es mir nichts macht, daß sie Mama lieb hat. Ich habe ihr
natürlich gesagt, daß mir das sogar lieb ist, da ich mich früher ja auch immer
gut mit Mama verstanden habe. Ich verstehe mich natürlich auch jetzt noch mit
ihr, denn sie tut uns auch alles zuliebe, was sie kann.
Wahrscheinlich bekommt Papa doch eine
Woche Ferien. Da fahren sie wahrscheinlich doch noch nach Kamnitz und besuchen
die Luise. Die ist jetzt auch schon viel über 70 und freut sich sehr, wenn Mama
und Papa kommen. Sie haben sie schon mehrere Jahre vertröstet.
Die Eltern haben hier noch einen alten
Märklin-Baukasten der natürlich nicht mehr vollständig ist. Aber Jörg unterhält
sich den ganzen Tag damit und baut Schubkarren, Bahnwagen usw. Basteln tut er
ja sowieso gern. Helga spielt jetzt immer mit ihren Nacktfröschen. So haben
beide Unterhaltung.
Ich werde ja auch wieder ziemlich bepackt
nach hause fahren. Da habe ich die Decken mitzunehmen, dazu Romane und
Zeitungen, dann ein Buch vom Völkerschlachtdenkmal und verschiedene kleine
Sachen. Die Eltern haben schon gesagt, daß sie einen Teil zusammenpacken und
als Reisegepäck aufgeben wollen.
Siegfried hat heute wieder geschrieben,
daß er augenblicklich in Wiesbaden ist. Er hofft immer noch, kurz Urlaub zu
bekommen.
Vorhin habe ich doch noch einen Brief von
Dir erhalten und zwar den vom 30.7. Der letzte, den ich erhielt, war vom 26.7.
Also werden wohl noch welche zwischendurch unterwegs sein.
Mit Deinen Reklamationen hast Du
vollkommen recht. Also, die Karte habe nicht ich, sondern Papa frankiert. Ich
schrieb Dir ja, daß er die Karten fortgeschafft hat und dabei den Kindern eine
Limonade gekauft hat. Die Überschrift „Konstanz“ habe ich aus alter Gewohnheit
geschrieben. Daß ich verschiedene Briefe von Dir bekommen hatte, hatte ich
wirklich Dir zu bescheinigen vergessen. Ich habe es aber in einem der nächsten
Briefe nachgeholt. Ich war so im Eifer, Dir unsere ganzen Erlebnisse zu
berichten, daß ich es wirklich vergessen hatte und ich weiß ja, daß Du mir das
nicht übel nimmst. Von der Ablenkung kam es also nicht, sondern nur von meinem
Eifer. Die ersten 2 Tage war ich ja noch ziemlich kaputt und habe gar nicht
richtig schlafen können. Aber jetzt schlafe ich immer fest und bin sehr froh
darüber. Ich war ja eigentlich nicht richtig körperlich kaputt, sonder mehr
aufgeregt und nervös. Das ist jetzt auch ein bißchen besser geworden.
Du hast ja ziemlich zu arbeiten. Ich bitte
dich aber, überarbeite Dich nicht, damit Du nicht auch kaputt wirst. Es gibt
Dir ja niemand etwas dafür. Wenn Dir die Arbeit Freude macht, ist es ja recht.
Wenn man merkt, daß jemand Vertrauen zu einem hat, schafft man ja auch noch
einmal so gern.
An
die Eltern habe ich die Grüße ausgerichtet. Sie lassen Dich auch wieder
grüßen.
Sei nun für heute wieder recht herzlich
gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
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