Freitag, 5. August 2016

Brief 205 vom 16./17.8.1941


Mein lieber Ernst!                                                                  Konstanz, den 16.8.41                             

Einen Brief habe ich heute nicht bekommen. Zu beantworten habe ich also nichts.
Der Samstag ist nun auch wieder vorbei. Am Morgen bin ich einkaufen gefahren und bin gleich mit bei der Polizei vorbei gegangen, um ein Leumundzeugnis zu beantragen. Ich habe ein Formular ausfüllen und 2,50 Mk bezahlen müssen. In 10 Tagen muß ich wieder vorbeikommen, da erhalte ich dann das Zeugnis.
Am Nachmittag habe ich dann gebacken und gewaschen. Ich habe auch wieder eine ganze Schüssel Apfelmus fertig gemacht. Das ist jetzt, wo man doch kein Obst kaufen kann, sehr von Nutzen. Wir essen es ja auch alle sehr gern. Zum Mittagessen haben wir heute wieder Kohlrabi aus dem eigenen Garten gehabt. Die Kinder essen Kohlrabi lieber als Bohnen, bei denen sie immer einen Flunsch ziehen. Ich weiß gar nicht, ob ich so viel sterilisieren soll, wenn sie keiner gern ißt. Du wirst ja sicher in diesem Winter auch noch nicht zu hause sein. Sauerkraut möchte ich ja wieder machen, wenn vielleicht auch nicht so viel wie voriges Jahr, denn ich habe es jetzt noch nicht alles aufgebraucht. Du fehlst einfach überall.
Ich freue mich, daß ich den einen Garten wieder in Ordnung habe. Nächste Woche werde ich drüben einmal nachsehen, was alles so zu machen ist. Zwischen den Erdbeeren ist ja das meiste Unkraut, aber wir wollen ja die meisten sowieso raus machen, da werde ich wahrscheinlich nicht erst noch einmal anfangen, alles sauber zu machen.
Ich weiß jetzt gar nicht mehr soviel zu schreiben, wie in den vergangenen Wochen, das kommt daher, daß jetzt wieder alles seinen alten Gang geht. Jetzt habe ich eben wieder meine regelmäßige gleichbleibende Arbeit und davon ist nicht viel zu schreiben. Ach weißt Du, manchmal kriege ich noch Reisesehnsucht. Es war eine wunderschöne nach Leipzig. Erst der Schwarzwald, dann die schöne Ansicht von Stuttgart, später die schöne Fahrt durch Thüringen. Es war einfach wunderbar. In und um Suhl haben mir die Schieferhäuser so gefallen, das sah so sauber aus und die Umgebung ist wirklich fein. Eine ganze Strecke ist so dichter Wald und unten läuft ein Bach dahin. Mit Worten kann ich das gar nicht so schildern, wie mir das alles gefallen hat. Die Fahrt möchte ich gleich noch einmal machen. Man sollte an Stellen,, die einem besonders gefallen, immer einen Tag Zeit haben. Am allerschönsten wäre es aber, wenn Du wieder da wärst und wir könnten öfter mit dem Rad  fortfahren. Nur sollte ich dazu noch ein bißchen gesünder sein, denn mich strengt schon immer das Radfahren bis in die Stadt und zurück an, besonders wenn es ein bißchen den Buckel rauf geht. Aber bis Du wieder ganz heimkommst, wird wohl noch eine Zeit vergehen und ich hoffe, daß ich bis dahin auch wieder ganz gesund bin. Fein wäre es auch, wenn ich so unverhofft einmal zu Dir nach Frankreich kommen könnte. Ich würde ganz schnell sparen. Ich möchte ja so gern viel, viel sehen. Die Welt ist doch so schön und wenn es nicht kindisch wäre, möchte ich meinen Wunsch von früher wiederholen, daß ich nach meinem Tode, ehe ich in irgendeine Ferne komme, erst einmal um die ganze Erde fliegen könnte. Vielleicht wirst Du jetzt lachen und sagen, ich glaube, sie ist verrückt geworden. Aber Du mußt keine Angst haben, auch diese Reiselust wird sich wieder legen.
Vater  war bis jetzt da. Es ist gegen 1/2 10. Eigentlich sollte er ja um 7 zuhause sein, aber da war er ja noch nicht einmal bei uns. Er war gestern beim Vertrauensarzt. Schaffen kann er also noch nicht, das hat auch der Vertrauensarzt eingesehen. Sonst hat er aber nicht viel gesagt. Als Vater ganz krank war, habe ich doch bei ihm Erdbeeren abgemacht. Da waren doch die Brombeeren zwischen den Erdbeeren durchgewachsen und zwar über die Mitte des Gartens. Um die Erdbeeren abmachen zu können, habe ich dann die Brombeerranken, an denen übrigens keine Blüten waren, da sie erst neu aus der Erde rausgekommen waren, abgeschnitten. Heute sagte Vater, ich hätte doch vielleicht die Ranken dranlassen sollen, evtl. hätte es noch einige Brombeeren gegeben. Ich habe ihm aber gesagt, daß das ein Unsinn sei, erstens waren keine Blüten dran, zweitens hätte man dann eben die ganzen Erdbeeren kaputt gehen lassen müssen. Ich möchte im Übrigen nur wissen, wie er überhaupt mit den Brombeeren fertig werden will. Die hat er nicht etwa zurückgeschnitten, sonder hat jede neue Ranke, die aus dem Boden gekommen ist, stehen lassen. Der ganze Garten ist überwuchert. Ich habe ja nun nur ganz in der Mitte weggeschnitten, 1/2 bis 3/4 mtr, breit ist die Hecke immer noch. Da kommt er sowieso nicht überall dazu. Na, mir soll es gleich sein. ich muß ja den Garten nicht in Ordnung bringen, aber ich mache auch nichts mehr daran. Erst war er damit einverstanden, daß ich das Zeug wegschneide und jetzt bereut er es.
Ach Unsinn, ärgern werde ich mich deshalb nicht auch noch. Ich habe getan, was notwendig war und damit basta.
Wenn nur erst Dein Urlaub da wäre, es gibt so manches, was ich mit Dir reden möchte. Auch von unserer Reise. Wenn ich zu Vater was sage, daß es so schön war, kann er es gar nicht begreifen. Aber Du wirst es begreifen, Du wirst auch nicht weise mit dem Kopf schütteln, wenn ich ein bißchen vom Reisen erzähle. Du bist mein liebster, bester Kerl, ich habe große Sehnsucht nach Dir. Die Tage bis zu Deinem Kommen vergehen mir viel zu langsam. Wenn ich nur eine lange Nacht einlegen könnte bis zum Urlaub, dann müßten wir aufwachen und schon wärst Du da. Fein wär das. Vielleicht lachst Du jetzt doch über das viele Zeug, was ich zusammenschreibe, aber ich habe wirklich große Sehnsucht nach Dir und nur den einen Wunsch, daß Du recht bald Urlaub bekommst. Ich möchte Dich so gern  wieder einmal lachen sehen und möchte Dir über die Haare streiche, ich möchte mit Dir reden. Ach, es hat ja keinen Zweck zu träumen, ich muß eben doch warten, bis Du kommen kannst. Wenn Du Wirklich Anfang September kommen kannst, dauert es ja nicht mehr so lange.
Sei nun Du, mein lieber Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                                        Konstanz, 17.8.41

Heute will ich wieder einmal mit der Hand schreiben, sonst meinst Du vielleicht, ich kann es gar nicht mehr.
Es ist nun Sonntagnachmittag. Die Kinder sind draußen und spielen und ich faulenze ein bißchen. Am Vormittag hatte ich ja zu tun, aber jetzt habe ich alle Arbeit beiseite gelegt.
Gestern haben wir schon die Schulsachen für Helga und Jörg fertig gemacht und eingeräumt. Ich kann es nicht leiden, wenn das erst am letzten Tag geschieht.
Heute Morgen hatte ich eine große Freude, ich bekam 2 Briefe von Dir, vom 12. und 13.8. Das hat mich gefreut.
Der Zoo hat den Kindern sehr gefallen. Sie haben sich von ihrem Geld mehrere Photo-Postkarten von Tieren gekauft, die jetzt in ihrem Zimmer hängen. Das ist immer gleich eine Erinnerung.
Meine Mutter war froh, daß ich ihr verschiedene Sachen umgeändert habe. Entweder  versteht die Frau Junghanns nichts Modernes zu nähen, oder sie hat meine Mutter mit Absicht so rumlaufen lassen. Ich habe mich jedenfalls über den Pfusch sehr geärgert. Dabei hat die Frau, als sie einmal bei meiner Mutter war, im Hinblick auf ihren Tod gesagt: „Wie schlimm, daß diese geschickten Hände auch einmal ruhen müssen“. So geschickt kommen sie mir gar nicht vor. Die Erna kann die Frau Junghanns auch nicht leiden und es hat mich amüsiert, wie sie mir vorgemacht und erzählt hat, welch scheinheiliges Gesicht Frau Junghanns immer macht, wenn sie einmal herkommt.
Ich habe Vater wegen den Schuhen noch nicht fragen könne, aber bringe sie nur mit oder schicke sie. Er nimmt sie bestimmt. Andernfalls würden wir sie hier auch loswerden.
Der Film „Wunschkonzert“ ist doch sehr schön. Das müssen nette Kaffern sein, die so abfällig drüber urteilen. Da kann man manchmal bei anderen Filmen fragen, warum die eigentlich gedreht wurden, aber bei dem bestimmt nicht.
Wir hatten gestern gegen Abend wieder Regenwetter und rechneten schon damit, daß es heute wieder so werden würde. Nun ist doch noch schönes Wetter geworden. Man freut sich ja über jeden schönen Tag. Da kann man wenigstens noch die Fenster richtig offen lassen.
Mein „Leiber“ ist bestimmt ein Tippfehler. Ich habe Dich ja solange nicht gesehen und weiß nicht. ob Du so dick geworden bist. Aber ein unverbesserlicher Spötter bist Du, nicht einmal an so einem harmlosen Tippfehler kannst Du vorübergehen, Du schlimmer Kerl. Das mußt Du aber bestimmt büßen, wenn Du heimkommst, daß Du mich immer so aufziehst. Richte Dich also schon immer darauf ein.
Wenn Du Dir noch einen Anzug machen lassen willst, ist es recht. Das Geld werden wir auch noch zusammen bringen. Schuhleder könnte ich schon noch gebrauchen. Etwas habe ich ja noch da. In den nächsten Tagen muß ich mich auch wieder mit ans schustern machen. Jörg hat seine Schuhe in Leipzig ziemlich abgelatscht.
Wir haben vorhin gerade wieder einige Brombeeren abgemacht. Es ist schade, daß ich sie nicht zu Marmelade kochen kann. Aber ich habe jetzt nur den Zucker von den 2 Wochen, den brauche ich so. Übernächste Woche erhalte ich ja wieder welchen im Voraus für die Marmeladenkarte. Da koche ich noch ein paar Gläser voll.
Nun, mein liebster Schatz, will ich wieder schließen. Ich grüße und küsse Dich recht herzlich Deine Annie.

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