Freitag, 5. August 2016

Brief 203 vom 13.8.1941


Mein lieber Ernst!                                                       Konstanz, den 13.8.41                                        

Nun sind wir wieder zu hause angekommen. Eigentlich wollte ich ja gestern noch eine Karte an Dich abschicken, aber ich habe vergessen, mir eine zu besorgen.
Ich fand gestern Abend Deinen lieben Brief vom 8.8. vor, das hat mich riesig gefreut. Heute Morgen erhielt ich die Briefe vom 9. und 10.8. Ich beantworte sie Dir alle heute Abend, denn ich habe heute ziemlich viel zu besorgen.
Ich will mit den Kindern später zu Vater runter gehen, hinterher will ich aufs Rathaus. Ich fand ein Schreiben vor, daß ich mit vorbei kommen möchte. Heute Morgen bekam ich ein Schreiben, daß Du zum Stadtassistent ernannt worden bist. Ich schreibe es heute Abend auch mit ab. Ich muß heute auch einkaufen gehen, denn ich hab ja nichts im Hause. Wenn wir in der Stadt  sind, will ich mit den Kindern gerade noch in den Film „Über alles in der Welt“ gehen. In den nächsten Tagen komme ich dann doch nicht so fort, denn ich muß dann im Garten anfangen, da sieht es schauderhaft aus, Unkraut, halbmannshoch. Ärger habe ich auch schon damit gehabt, denn im Garten  hinterm Haus sind 4 Tomatenstöcke eingegangen und außerdem werden die Gurken welk. Alles in der einen Ecke im Garten. Frau Nußbaumer sagte schon, vielleicht ist eine Wühlmaus drin oder sonst ein Ungeziefer. Ich kann doch aber jetzt nicht alles rausreisen. Drüben im Garten steht alles soweit gut. Viele Bohnen hängen dran, da sollte ich am liebsten gleich mit einmachen anfangen. Aber ich hetze mich jetzt nicht ab. Ich habe auch nichts davon, wenn ich wieder daliege. Da kann ich dann überhaupt nichts machen. Brombeeren hat es auch schon schwarze. Falläpfel fallen auch runter. Also, es wartet schon mancherlei auf mich. Aber am ersten Tage faulenze ich noch. Von Frau Diez war für Jörg auch ein Päckchen da. Ein schöner Schreiberkasten mit allem, was rein gehört. Ich will ihr in den nächsten Tagen auch gleich danken.
Nimm bitte mit den wenigen Zeilen vorlieb. Ich will noch ein bißchen aufräumen und dann Essen kochen, damit wir nicht so spät fortkommen.
Sei Du, mein liebster Ernst, recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                   Konstanz, den 13.8.41

Ich glaube, ich mache heute noch mehrere Fehler, bis ich den ganzen Brief geschrieben habe. Ich muß mich erst wieder an die doppelte Umschaltung bei der Maschine gewöhnen. Ich bitte  also schon von vornherein um Nachsicht.
Wie ich Dir heute schon kurz schrieb, erhielt ich Deine Briefe vom 8., 9. und 10. Auf dem Brief vom 10. steht zwar auch 9ter drauf, aber auf dem Umschlag steht 10. Vielleicht hast Du Dich verschrieben. Ehe ich Dir von unserer Reise berichte, will ich sie Dir beantworten. Wir sind gut angekommen und haben auch alles soweit in Ordnung angetroffen. Ich habe mir schon vorgenommen. mich etwas zu schonen und will es auch durchführen, trotzdem ich es fast nicht sehen kann, wie der Garten aussieht. Viel Unkraut. Aber  ich mache alles nach und nach.
Ich muß wirklich sagen, daß Alice alles getan hat, um es uns angenehm zu machen. Das Grammophon hat den Kindern viel Freude gemacht, aber mir nicht minder. Jörg ist zum Geburtstag wirklich nicht schlecht weggekommen, soviel hätte er sicher zuhause nicht bekommen. Ich habe mich auch gefreut. daß Helga etwas mitbekommen hat, sonst wäre es gar zu hart für sie gewesen. Das Geld, das die Kinder bekommen haben, je 3 Mk von Alice, zusammen 5 Mk von Erna, haben wir heute auf die Sparkasse gebracht, ebenso die 3 Mk,. von den Eltern und 1,50 von Vater zum Geburtstag von Jörg. So hat Helga 5,50 und Jörg 10 Mk auf sein Sparbuch bekommen. Helga hat jetzt  im ganzen 50 Mk und Jörg 53 Mk drauf.  Ich denke, daß Helga bei ihrem Geburtstag wieder aufholen wird.
Den Metallbaukasten hebe ich noch auf, bis Jörg etwas älter ist. Er hat ja auch noch den alten von Siegfried bekommen, da kann er sich einstweilen üben. Bis jetzt sind ja beide noch nicht da, denn wir haben sie mit in die Pakete verpackt, zum schleppen wären sie mir zu schwer gewesen und ich konnte sie auch tatsächlich nirgends unterbringen.
Wie ich vermutete, freust Du Dich auch, daß die Elsa nicht mit hergekommen ist. Ich bin wirklich auch froh, denn nachdem ich gesehen habe, wie wild das eine Kind ist und welchen Dickkopf das andere hat, kamen mir wirklich Bedenken. Ich habe auch die feste Absicht, nächstes Jahr abzuschreiben, denn für 4 Wochen kann ich 3 Personen in unserer Wohnung wirklich nicht gebrauchen. Aber bis dahin ist noch viel Zeit und wir brauchen uns deshalb jetzt noch keine Sorgen zu machen.
Das Paket hast Du also an Graser nicht mitgeben können. Jetzt bin ich ja zu hause, da kann es ja direkt an mich geschickt werden.
Wegen Alice sagte mir Mama dasselbe, was Du jetzt schreibst. Ich sollte die Geschenke ruhig annehmen, denn sie könnten es ja jetzt, nachdem sie beide verdienen. Alice liege es hauptsächlich daran, näher mit uns zusammen zu kommen. In der Familie ihrer Pflegemutter fühlt sie sich nicht heimisch und sie fühlt sich mehr zu uns hingezogen. Ich werde ihr ja auch jetzt öfter schreiben.
Ich sagte auch zur Mama, daß sie ja ziemlich Arbeit mit uns gehabt hat, oder wenigstens viel Betrieb, aber sie sagte, daß sie sich vor allen Dingen gefreut hat, daß sie sich mit mir wieder einmal richtig aussprechen konnte und außerdem sei es auch schon eine Erholung und Freude, wenn die Enkel einmal da seien. Ich habe es beiden angemerkt, daß sie sich wirklich über unseren Besuch gefreut haben. Wir sich ja schon für nächstes Jahr wieder eingeladen. Ich bin wirklich froh, daß wir einmal verreist waren. Man ist einmal aus dem ganzen Betrieb und dem Ärger rausgekommen und ich habe mich wirklich erholen können. Die ersten Tage war ich ja furchtbar nervös und aufgeregt, aber später wurde es schon ein bißchen besser. Ich war ja so froh, daß ich mich nicht immer mit den Kindern von Büsings rumärgern mußte. Mein Vater sagte ja, ich sollte mir doch von der Frau und den Kindern nichts gefallen lassen und sollte einmal auf die Partei gehen. Er wollte mir ein Schreiben aufsetzen, aber vielleicht kannst Du das auch machen, wenn es nötig sein sollte. Ich muß sagen, so richtig hat es mir heute noch nicht wieder zuhause gefallen, am liebsten wäre ich gleich wieder fortgefahren. Reisen ist doch schön, man sieht manches und hat wechselnde Eindrücke. Ich glaube, das dauert wieder eine Weile, bis meine Reiselust einschläft.
Es freut mich, daß Du in Deinem Vorgesetzten jemand gefunden hast, der Deine Leistungen anerkennt. Man schafft ja noch einmal so gern. Aber trotzdem, überschaffe Dich nicht.
Die geschickten Photografien hebe ich auf. Der Hund von Euch ist ein netter Kerl, der würde uns auch gefallen.
Bei Vater waren wir heute Mittag. Er sieht etwas besser aus als erst, aber natürlich noch nicht gesund. Zuerst war es also doch etwas mit der Lunge, als es ihn so gestochen hat. Er sagte es mir heute jedenfalls. Jetzt ist es ihm oben besser, aber es ist ihm ins rechte Bein gefahren, so daß er nicht richtig laufen kann. In ärztlicher Behandlung ist er noch und an schaffen ist noch nicht zu denken. Da Dr. Deeg jetzt wieder eingezogen ist, geht er nun zum Seitz. Ich sagte zu Vater, daß ich morgen wieder runterkommen wollte, aber er sagte, daß er lieber rauf käme, er ginge eben langsam. Abends darf er ja nicht fort, sondern nur nachmittags einige Stunden. Wenn er überhaupt wieder schaffen kann, wird wohl noch einige Zeit vergehen, bis es soweit ist.
Wenn Du jetzt keine Schokolade bekommen  kannst, ist es eben nicht zu ändern. Wenn es Dir nichts ausmacht, kannst du ja vielleicht einige Pralinen besorgen, wenn sie nicht gar zu teuer sind und wenn Du sie ohne Schwierigkeiten bekommst. Es müssen ja nicht viel sein, denn eigentlich sind sie ja Luxus, nicht wie die Schokolade, die ja auch nährt.
Es war mir ganz eigenartig zu Mute, als ich nach so langer Zeit wieder die Wollkämmerei betrat. Dort ist ja alles sehr verbessert. Der Film lief in einem wunderschönen Saal, der früher noch nicht da war. Die Wollkämmerei ist ja Musterbetrieb. Die haben dort eine richtige Tonfilmanlage, so daß sie die Wochenschauen auch bringen können. In 14 Tagen findet wieder eine Veranstaltung statt, in der auch wieder ein Kulturfilm und die beiden letzten Wochenschauen gezeigt werden. Vor allen Dingen sind diese Veranstaltungen für die Arbeiter und Angestellten des Betriebs gedacht, aber auch andere dürfen mit hinein.
Nun will ich Dir von unserer Reise berichten. Am Morgen habe ich noch den Rest eingepackt, dann haben wir Frühstück gegessen. Papa hatte sich bis nach 10 Uhr freigeben lassen, damit er mit auf die Bahn gehen konnte. Gegen 9 Uhr sind wir zu hause weggefahren und waren gegen 1/2 10 am Bahnhof. Wir sind dann reingegangen, mußten aber warten, da der Zug erst gegen 3/4 10 einlaufen sollte, 9,53 Uhr sollte er ja weiterfahren, da kam er aber erst an, so daß wir mit einer kleinen Verspätung abgefahren sind. Wir hatten ganz gute Plätze, wenn auch nicht direkt am Fenster. Wir konnten ja aber in den Gang gehen. Der Aufenthalt des Zuges in Leipzig war ja kurz und dementsprechend auch der Abschied. Mama gab beiden Kindern noch je eine Rolle Drops, nachdem mir Papa schon zu hause 2 Rollen Pfefferminzdrops gegeben hatte. Zu essen hatten wir auch genug mit, so konnte also die Reise losgehen Wir haben lange Zeit am Fenster gestanden. Es gab ja so viel zu sehen. Der Thüringer Wald ist ja auch wunderschön. Es war soweit auch gutes Wetter bis Stuttgart, da fing es fest an zu regnen und regnete dann bis Konstanz, wo wir auch im Regen ankamen. Glücklicherweise war der Regen nicht so heftig wie später, als wir ganz zuhause waren, da fing es ja dann mit Giessen an. Wir kamen also im Regen an und haben uns, bis der Postomnibus kam, bei der Bodenseerundschau eingestellt. Wir sind dann bis zum Frieden gefahren und hatten ja dann nicht mehr weit bis heim. Da war alles noch in Ordnung. Wir haben noch ein bißchen gegessen und dann sind die Kinder ins Bett, während ich noch die Koffer ausgeräumt habe. Die Glassachen habe ich alle gut heimgebracht. 1/2 12 waren wir zuhause und gegen 1 Uhr bin ich dann auch ins Bett gegangen. Heute Morgen bin ich dann erst gegen 1/2 8 Uhr munter geworden und bin aufgestanden. Die Kinder sind nach 8 Uhr aufgestanden. Ich holte mir dann meine Zeitung von Frau Nußbaumer, die sie die ganzen Tage mit reingenommen hatte, damit es nicht so auffällt, daß niemand da ist. Da mußte ich dann so allerhand schon wieder hören, was die Büsing-Kinder an unseren Sachen  angestellt hatten. Aus dem Lumpensacke im Korb unten die Lumpen rausgerissen. Holz verschleppt, Tomaten mit Steinen abgeschmissen usw. Erst habe ich mich wieder fest geärgert, aber dann habe ich mir gedacht, jetzt geht es doch nicht mehr zu ändern und den ersten Tag will ich mir nicht gleich verderben lassen. Während ich mit Frau Nußbaumer redete, kam natürlich auch gleich der Richard runter, trampelte wie ein Verrückter und schmiß die Türen zu, daß alles klirrte. Oben an der Türe horchten sie auch schon wieder was gesprochen würde, damit sie ja alles genau wissen. Ich muß sagen, ich hatte gleich wieder genug. Da war es die 14 Tage in Leipzig doch wunderbar gewesen. Da war kein Krach im Haus und alles war so friedlich. Am liebsten wäre ich gleich wieder abgefahren. Ich habe mir dann den Garten  angesehen. Da war  ja auch nicht alles in Butter. Einige Tomatenstöcke sind ganz eingegangen, ebenso die Gurken, die werden schon an den Blättern gelb. Da bekommen wir dieses Jahr nicht viel. Das Kraut dagegen ist wunderbar gewachsen. Ich war ganz paff. Auch Bohnen hat es. Wie viel will ich morgen erst einmal genau sehen. Auch die Kartoffeln stehen gut da. Ebenso sind die Kohlrabi an dem schrägen Stück wunderbar gewachsen. Ich kann schon welche zum essen holen. 1 1/2 Pfund Brombeeren haben wir heute auch abgenommen, ebenso haben wir eine ganze Tasche Falläpfel aufgesucht. Da gibt es morgen Apfelmus. Da freue ich mich schon drauf. Also Du siehst, ganz ohne Freude war der Empfang nun auch wieder nicht.
Ich habe dann heute Mittag, weil die Zeit so kurz war, nur einen Griesbrei gekocht. Hinterher sind wir zu Vater gegangen. Er hat mit von seiner Krankheit erzählt, was ich Dir schon vorhin berichtet habe. Wir haben ihm den Koffer von Kurt wieder hingebracht, haben noch kurz mit ihm geredet, haben ihm die Marken und das Geld für die 2 besorgten Brote gegeben, dann sind wir wieder gegangen, da wir noch in die Stadt wollte. Zuerst bin ich dann aufs Rathaus zu Herrn Vettenberger, oder heißt er Rettenberger. Der hat mir dann mehrere Formulare mitgegeben, die ich ausfüllen und die Du dann unterschreiben mußt. Da mußt Du eine Erklärung unterschreiben, daß Du Dich in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen befindest. Außerdem sind 2 Fragebogen auszufüllen, einer von Dir und einer von mir, über Deine und meine Eltern und Großeltern. Dann noch eine Standesliste. Ich fülle die Bogen nach den Urkunden, die wir besitzen, soweit als möglich aus und schicke sie Dir. Wenn Du sie mir zurückschickst, muß ich mit den Urkunden, zum Vergleich, aufs Rathaus gehen. Daraufhin wirst Du dort in Frankreich von Deinem Vorgesetzten als Beamter vereidigt und erhältst dann die Urkunde Deiner Ernennung zum Beamten. Ein Schreiben habe ich davon ja heute schon bekommen, das ich Dir abschreibe. Die Bogen schicke ich Dir in den nächsten Tagen, da ich heute nicht zum ausfüllen komme, ich muß ja erst alles raussuchen. Abschreiben tue ich es ja von dem großen Bogen, den Du angelegt hast.
Der Vettenberger sagte mir auch heute „Sie sind doch jetzt bald 10 Jahre verheiratet. Das weiß ich nämlich, da ich damals auf dem Standesamt einige Wochen ausgeholfen habe, da kenne ich die meisten Leute noch, die damals gekommen sind“. Du siehst also, sogar da denken sie noch dran. Doch allerhand, nicht wahr?
Nachdem wir auf dem Rathaus waren, sind wir auf die Post gegangen und haben den Brief an Dich und eine Karte an die Eltern weggeschafft. Hinterher habe ich mich auf dem Verkehrsamt wieder angemeldet. Nachher sind wir auf die Sparkasse gegangen und haben das Geld auf das Sparbuch der Kinder getan. Den Gehalt habe ich auch mit geholt, da ich ihn doch jetzt, nachdem Du Beamter geworden bist, schon am 1. bekomme. Ich hole ihn ja trotzdem erst am 15. Wir bekommen, wie Frl. Bucher sagte, jetzt den Gehalt also schon im Voraus. Der Gehaltszettel lautet diesmal: Gehalt  280,34, Einkommenssteuer 14,30, Bürgersteuer 2.00, Miete  37,70 für Lernmittel  12,50;    66,50   = 213,84. Ich habe davon Geld für Kohlen weggetan, 20 Mk tue ich auf die Sparkasse, denn ich habe seit April nichts mehr sparen können. 20 Mk schicke ich Dir. Ich hoffe, daß es Dir reicht. Sollte es nicht der Fall sein, mußt Du eben schreiben.
½ 4 waren wir im Kino. Der Film „Über alles in der Welt“ hat uns gut gefallen.
Ich hatte  der Mama in Leipzig einen Holzuntersetzer kaufen wollen, wie ich ihn habe, zum zusammensetzen, konnte ihn aber nirgends bekommen. Heute habe ich nun einen besorgt, den ich ihr in den nächsten Tagen  schicken werde. Ich denke, daß sie sich freut. Ich hatte es ihr versprochen, daß ich ihr einen schicke.
Es kam mir heute Abend ganz komisch vor, daß ich das Abendbrot selber richten mußte, nachdem ich es 14 Tage  immer fertig vorgesetzt bekommen habe. Man muß sich erst wieder an alles gewöhnen.
Nun will ich aber schließen. Ich will Dir noch das Schreiben der Stadt abschreiben. Sei also wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie

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