Samstag, 27. August 2016

Brief 210 vom 27./28.8.1941


Mein liebster Ernst!                                                                 Konstanz, den 27.8.41                                            

Heute habe ich die Sachen mit der Stadt erledigt. Erst bin ich aufs Standesamt gegangen und habe nach den Ahnenpässen gefragt. Sie waren mir ja nicht ganz fest auf heute versprochen worden, aber sie waren fertig. Hinterher bin ich auf die Polizei und habe das Leumundszeugnis geholt. Danach bin ich aufs Rathaus zu dem Herrn Mettenberger. Der hat sich riesig gefreut, daß ich Ahnenpässe hatte. Er sagte, so schnell sei er mit Vergleichen nie fertig geworden, denn die anderen hatten die Unterlagen gebracht, das dauerte eine ganze Weile bis man sich da durchgearbeitet hätte. Für mich war es ja auch ein Vorteil, denn ich habe dadurch nicht lange warten müssen. Diese Sache wäre als von uns aus erledigt.
Gestern Abend habe ich für Jörg eine Zuckertüte zusammengebaut aus dünner Pappe und aus Buntpapier allerhand Sachen drauf geklebt. So z.B. Trompete, Herzen, Kreisel, Mond und Stern usw. Ich denke, daß er sich morgen schon freue wird. Hinein getan habe ich Bonbons, die kleine schwarze Figur, die mein Vater ihm gekauft hat und einige Pfefferkuchenstückchen. Vater will auch noch etwas Gebäck kaufen und wenn noch die Bonbons von Dir ankommen, dann hat er wirklich viel bekommen.
Ich erhielt heute Deine lieben Briefe vom 23.8. Einer ist scheinbar morgens und eine nachmittags geschrieben.
Morgen Nachmittag geht nun Jörg in die Schule, um 15 Uhr, da doch nur 3 Schulräume zur Verfügung stehen, können nicht gleichzeitig Mädels und Buben aufgenommen werden. Du hast ja angekündigt, daß Du Bonbons für ihn schickst, da wird er schon seine Freude haben.
Wie ich Dir ja schon schrieb, ist mir der Zucker auch später jederzeit willkommen. Etwas Marmelade habe ich ja eingekocht und morgens essen wir ja meist Eingebrockte, so daß wir nicht  so viel Marmelade brauchen. In den nächsten Tagen kann ich auch noch ein paar Gläser voll einkochen, dann reicht es uns schon.
Der Brief an meine Eltern kommt ja gerade an, wenn sie verreist sind, aber das macht nichts. Da finden sie ihn wenigstens gleich vor, wenn sie heimkommen. Als ich in Leipzig war, sagte ich schon zu meinem Vater, als er an Dich wegen eines Briefes geschrieben hatte, daß Du Dir denken wirst, jetzt hat es keinen Zweck zu schreiben, da ich meinen Eltern ja alles erzählen kann, was Du mir so schreibst. Aber Papa ist nun einmal so. Als Siegfried dort gefahren war und Erna einen Brief erhalten hatte, er an demselben Tag aber nicht, hat er ihn auch gleich geschrieben, er hätte doch wenigstens erwartet, daß er ihnen auch schreibt. Am nächsten Tag war aber bereits ein Brief da, so daß die Mahnung gar nicht nötig gewesen wäre.
Ein bißchen ein Flegel ist ja Jörg auch, aber mit Euerm Hund kann er es ja nicht aufnehmen. Ich muß eigentlich sagen, die letzte Zeit ist es ohne Wichse gegangen, da hat ein Anschnauzer genügt. Hoffentlich bleibt es so. Jörg ist halt vielmals zu übermütig und weiß nicht, wo er mit seiner überschüssigen Kraft hin soll. Da boxt und kneift er natürlich Helga, die davon auch nicht gerade entzückt ist und 1, 2, 3 ist der schönste Krach im Gange. Meist vertragen sie sich aber bald wieder.
Ich hoffe, daß der Käse gut ankommt und nicht unterwegs zerläuft. Essen tun wir ihn schon, Du weißt ja, daß auch die Kinder besonders Käse gern essen. Ich danke Dir, daß Du auch da wieder an uns gedacht hast.
Vater geht es soweit gut. Etwas schwach fühlt er sich noch. Er will morgen noch einmal zum Arzt und ihm sagen, daß er wieder arbeiten geht, wenn der Arzt darauf besteht, daß er aber nicht weiß, wie lange er durchhalten wird, da er sich noch nicht so kräftig fühlt. Vom Urlaub will er dem Arzt nichts sagen. Den kann er ja nachher extra noch nehmen. Bis jetzt hat Vater nicht mehr gemault, er kommt ja auch nicht so oft rauf.
Nachher will ich noch in den Garten  gehen und sehen, ob ich noch gelbe Bohnen nehmen kann für Essigbohnen. Die kann man nachher wie Bohnensalat essen. Ich mache nicht gar so viel, damit sie auch alle werden.
In nächster Zeit will ich sehen, daß ich für Jörg einen Pullover stricken kann, denn er hat sonst gar nichts rechtes für die Schule anzuziehen. Der helle, den er hat, der geht kaputt. Nächsten Monat möchte ich auch zusehen, daß ich für Helga und Jörg einen Mantel kaufen kann, wenn möglich einen Lodenmantel. Vielleicht bist Du dann da, daß wir miteinander gehen könnten. Im Oktober oder November will ich dann noch einen für mich kaufen. Natürlich keinen Lodenmantel, sondern ein Wintermantel, oder meinst Du, wenn es welche gibt, ich soll auch einen Lodenmantel kaufen? Na, darüber können wir ja noch während Deines Urlaubs  sprechen.
Nun will ich wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                                               Konstanz den 28.8.41

Heute wollte ich Dir wieder mit der Hand schreiben, aber die Zeit ist wieder so kurz, daß ich Dich schon bitten muß, mit einem schreibmaschinengeschriebenen Brief vorlieb zu nehmen. Ich weiß ja nicht, ob es Dir etwas ausmacht, aber bei mir ist es immer so, daß ich mich freue, wenn ich in den Briefen Deine Handschrift sehe.
Ich schreibe heute Mittag, ehe wir mit Jörg zur Schule gehen. Ich muß Dir da auch noch einige Sachen von Jörg erzählen: Ich erzählte im gestern, daß es in Leipzig so ist, daß die Eltern von den Kindern, die in die Schule kommen, zum Füllen der Zuckertüten 1 Pfund Pralinen kaufen können, die sie auf einen besonderen Schein bekommen. Da sagt Jörg: “Wenn ich bloß in Leipzig wär, das gefiele mir viel besser.“ Ich habe gestern Jörg die Stelle aus Deinem Brief vorgelesen, wo Du schreibst: „Es beruhigt mich, wenn ich auch einmal  mit dem Baukasten von Jörg bauen darf.“ Ich hatte mir doch schon immer Gedanken gemacht, ob er es wohl auch zulassen würde. Sage ihm nur, daß ich ihm recht herzlich danke.
Er ist natürlich noch zu klein um zu merken, daß es ein bißchen spöttisch gemeint ist und ich wollte es ihm auch nicht sagen, denn als ich vorgelesen hatte, war er über Deine Worte ganz glücklich und lächelte ganz strahlend. Er sagte zu mir: “Gell Mutterle, da ist doch eigentlich gar nicht viel zu danken, wenn ich Vaterle mitspielen lasse. Da braucht er sich keine Gedanken zu machen. Aber ganz fest gefreut hat es mich doch, daß Vaterle  so lieb ist und sich bedankt.“ Gestern waren wir uns nicht einig, ob Jörg heute zum ersten Mal schon den Schulranzen mitnehmen soll. Jörg meinte dann: „Ich würde ihn gern mitnehmen - weißt Du, es ist schon besser, wir nehmen ihn zur Not lieber mit.“  Helga war heute auch zum ersten Mal wieder in der Schule. Da sie noch nicht wußten, in welche Schule sie kommen, hatte sich die Klasse in Petershausen getroffen. Sie muß aber von jetzt ab nach dem Kloster Zoffingen über der Rheinbrücke. Ihre Lehrerin heißt Frl. Wagner. Morgen muß sie um 11 zur Schule. Ich weiß nicht, ob es jeden Tag so ist. Da hat sie einen ziemlichen Weg bis dorthin.
Eben kam Vater  noch und brachte für Jörg ein Hörnchen und eine Schnecke. Ich denke, daß Jörg nun genug zu essen hat. Ich habe ihm auch noch 10 gr. Gebäck gekauft.
Denke Dir, heute haben wir einmal weiße Bohnen zu Mittag gekocht. Ich hatte noch welche vom vorigen Jahr da, habe sie aber nie gekocht, weil ich meinte, wir würden sie alle nicht so gern essen. Nun bekommen wir diesen Winter aber ziemlich viel Bohne von unserem Garten, da während unserer Reise viele strohig geworden sind, die man als grüne Bohnen nicht mehr verwenden kann. Ich habe nun heute einmal probiert, ob sie die Kinder auch essen und siehe da, sie essen sie noch lieber als grüne Bohnen. Jetzt bin ich natürlich beruhigt, denn es hatte mich doch geärgert, wenn ich die vielen Bohnen nicht hätte verwenden können.
Einen Brief habe ich heute nicht bekommen. Ich glaube auch nicht, daß noch einer kommt, da ich gestern 2 bekommen habe.
Wenn wir heute nach hause kommen, will ich noch 2 Pflaumenkuchen backen, einen für heute Abend und einen für morgen früh. Ich habe heute gerade noch einmal schöne Pflaumen bekommen. Sie sind etwas klein, haben aber den Vorteil, nicht madig zu sein. Das ist auch etwas wert. Das bißchen Mehrarbeit nimmt man dann gern in Kauf.
Ich habe heute auch wieder einmal Kartoffeln aus dem Garten geholt. Die Stauden geben bis jetzt ganz gut aus. An einer waren 20 Kartoffeln Sie sind auch ganz nett groß.
Das Kraut macht sich auch schon ganz schön heraus. Da werde ich wahrscheinlich ein Teil Sauerkraut bekommen, wenn es so weiter wächst. Die Tomaten werden auch so nach und nach reif. Es braucht eben noch etwas Sonnenschein. Wenn es mit Deinem Urlaub nicht mehr gar so lange dauert, wirst Du auch noch welche davon essen können.
Gestern habe ich nun noch Essigbohnen gemacht. Es ist ja dieses Jahr der erste Versuch damit, hoffentlich halten sie sich.
Ich will mich und auch Jörg so langsam fertig machen, damit wir rechtzeitig fort kommen. Helga freut sich schon ganz heimlich, was Jörg für ein Gesicht machen wird, wenn er die Zuckertüte sieht.
Sei Du, mein lieber Ernst, wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt  von Deiner Annie .

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