Mein liebster Ernst! Konstanz, den 27.8.41
Heute habe ich die Sachen mit der Stadt
erledigt. Erst bin ich aufs Standesamt gegangen und habe nach den Ahnenpässen
gefragt. Sie waren mir ja nicht ganz fest auf heute versprochen worden, aber sie
waren fertig. Hinterher bin ich auf die Polizei und habe das Leumundszeugnis
geholt. Danach bin ich aufs Rathaus zu dem Herrn Mettenberger. Der hat sich
riesig gefreut, daß ich Ahnenpässe hatte. Er sagte, so schnell sei er mit Vergleichen
nie fertig geworden, denn die anderen hatten die Unterlagen gebracht, das
dauerte eine ganze Weile bis man sich da durchgearbeitet hätte. Für mich war es
ja auch ein Vorteil, denn ich habe dadurch nicht lange warten müssen. Diese
Sache wäre als von uns aus erledigt.
Gestern Abend habe ich für Jörg eine
Zuckertüte zusammengebaut aus dünner Pappe und aus Buntpapier allerhand Sachen drauf
geklebt. So z.B. Trompete, Herzen, Kreisel, Mond und Stern usw. Ich denke, daß
er sich morgen schon freue wird. Hinein getan habe ich Bonbons, die kleine
schwarze Figur, die mein Vater ihm gekauft hat und einige
Pfefferkuchenstückchen. Vater will auch noch etwas Gebäck kaufen und wenn noch
die Bonbons von Dir ankommen, dann hat er wirklich viel bekommen.
Ich erhielt heute Deine lieben Briefe vom
23.8. Einer ist scheinbar morgens und eine nachmittags geschrieben.
Morgen Nachmittag geht nun Jörg in die
Schule, um 15 Uhr, da doch nur 3 Schulräume zur Verfügung stehen, können nicht
gleichzeitig Mädels und Buben aufgenommen werden. Du hast ja angekündigt, daß
Du Bonbons für ihn schickst, da wird er schon seine Freude haben.
Wie ich Dir ja schon schrieb, ist mir der
Zucker auch später jederzeit willkommen. Etwas Marmelade habe ich ja eingekocht
und morgens essen wir ja meist Eingebrockte, so daß wir nicht so viel Marmelade brauchen. In den nächsten
Tagen kann ich auch noch ein paar Gläser voll einkochen, dann reicht es uns
schon.
Der Brief an meine Eltern kommt ja gerade
an, wenn sie verreist sind, aber das macht nichts. Da finden sie ihn wenigstens
gleich vor, wenn sie heimkommen. Als ich in Leipzig war, sagte ich schon zu
meinem Vater, als er an Dich wegen eines Briefes geschrieben hatte, daß Du Dir
denken wirst, jetzt hat es keinen Zweck zu schreiben, da ich meinen Eltern ja
alles erzählen kann, was Du mir so schreibst. Aber Papa ist nun einmal so. Als
Siegfried dort gefahren war und Erna einen Brief erhalten hatte, er an
demselben Tag aber nicht, hat er ihn auch gleich geschrieben, er hätte doch
wenigstens erwartet, daß er ihnen auch schreibt. Am nächsten Tag war aber
bereits ein Brief da, so daß die Mahnung gar nicht nötig gewesen wäre.
Ein bißchen ein Flegel ist ja Jörg auch,
aber mit Euerm Hund kann er es ja nicht aufnehmen. Ich muß eigentlich sagen,
die letzte Zeit ist es ohne Wichse gegangen, da hat ein Anschnauzer genügt. Hoffentlich
bleibt es so. Jörg ist halt vielmals zu übermütig und weiß nicht, wo er mit
seiner überschüssigen Kraft hin soll. Da boxt und kneift er natürlich Helga,
die davon auch nicht gerade entzückt ist und 1, 2, 3 ist der schönste Krach im
Gange. Meist vertragen sie sich aber bald wieder.
Ich hoffe, daß der Käse gut ankommt und
nicht unterwegs zerläuft. Essen tun wir ihn schon, Du weißt ja, daß auch die
Kinder besonders Käse gern essen. Ich danke Dir, daß Du auch da wieder an uns gedacht
hast.
Vater geht es soweit gut. Etwas schwach
fühlt er sich noch. Er will morgen noch einmal zum Arzt und ihm sagen, daß er
wieder arbeiten geht, wenn der Arzt darauf besteht, daß er aber nicht weiß, wie
lange er durchhalten wird, da er sich noch nicht so kräftig fühlt. Vom Urlaub
will er dem Arzt nichts sagen. Den kann er ja nachher extra noch nehmen. Bis
jetzt hat Vater nicht mehr gemault, er kommt ja auch nicht so oft rauf.
Nachher will ich noch in den Garten gehen und sehen, ob ich noch gelbe Bohnen
nehmen kann für Essigbohnen. Die kann man nachher wie Bohnensalat essen. Ich
mache nicht gar so viel, damit sie auch alle werden.
In nächster Zeit will ich sehen, daß ich
für Jörg einen Pullover stricken kann, denn er hat sonst gar nichts rechtes für
die Schule anzuziehen. Der helle, den er hat, der geht kaputt. Nächsten Monat
möchte ich auch zusehen, daß ich für Helga und Jörg einen Mantel kaufen kann,
wenn möglich einen Lodenmantel. Vielleicht bist Du dann da, daß wir miteinander
gehen könnten. Im Oktober oder November will ich dann noch einen für mich
kaufen. Natürlich keinen Lodenmantel, sondern ein Wintermantel, oder meinst Du,
wenn es welche gibt, ich soll auch einen Lodenmantel kaufen? Na, darüber können
wir ja noch während Deines Urlaubs sprechen.
Nun will ich wieder schließen. Sei recht
herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein liebster Ernst! Konstanz den 28.8.41
Heute wollte ich Dir wieder mit der Hand
schreiben, aber die Zeit ist wieder so kurz, daß ich Dich schon bitten muß, mit
einem schreibmaschinengeschriebenen Brief vorlieb zu nehmen. Ich weiß ja nicht,
ob es Dir etwas ausmacht, aber bei mir ist es immer so, daß ich mich freue,
wenn ich in den Briefen Deine Handschrift sehe.
Ich schreibe heute Mittag, ehe wir mit
Jörg zur Schule gehen. Ich muß Dir da auch noch einige Sachen von Jörg
erzählen: Ich erzählte im gestern, daß es in Leipzig so ist, daß die Eltern von
den Kindern, die in die Schule kommen, zum Füllen der Zuckertüten 1 Pfund
Pralinen kaufen können, die sie auf einen besonderen Schein bekommen. Da sagt
Jörg: “Wenn ich bloß in Leipzig wär, das gefiele mir viel besser.“ Ich habe
gestern Jörg die Stelle aus Deinem Brief vorgelesen, wo Du schreibst: „Es
beruhigt mich, wenn ich auch einmal mit
dem Baukasten von Jörg bauen darf.“ Ich hatte mir doch schon immer Gedanken
gemacht, ob er es wohl auch zulassen würde. Sage ihm nur, daß ich ihm recht herzlich
danke.
Er ist natürlich noch zu klein um zu
merken, daß es ein bißchen spöttisch gemeint ist und ich wollte es ihm auch
nicht sagen, denn als ich vorgelesen hatte, war er über Deine Worte ganz
glücklich und lächelte ganz strahlend. Er sagte zu mir: “Gell Mutterle, da ist
doch eigentlich gar nicht viel zu danken, wenn ich Vaterle mitspielen lasse. Da
braucht er sich keine Gedanken zu machen. Aber ganz fest gefreut hat es mich
doch, daß Vaterle so lieb ist und sich
bedankt.“ Gestern waren wir uns nicht einig, ob Jörg heute zum ersten Mal schon
den Schulranzen mitnehmen soll. Jörg meinte dann: „Ich würde ihn gern mitnehmen
- weißt Du, es ist schon besser, wir nehmen ihn zur Not lieber mit.“ Helga war heute auch zum ersten Mal wieder
in der Schule. Da sie noch nicht wußten, in welche Schule sie kommen, hatte
sich die Klasse in Petershausen getroffen. Sie muß aber von jetzt ab nach dem
Kloster Zoffingen über der Rheinbrücke. Ihre Lehrerin heißt Frl. Wagner. Morgen
muß sie um 11 zur Schule. Ich weiß nicht, ob es jeden Tag so ist. Da hat sie
einen ziemlichen Weg bis dorthin.
Eben kam Vater noch und brachte für Jörg ein Hörnchen und eine Schnecke. Ich
denke, daß Jörg nun genug zu essen hat. Ich habe ihm auch noch 10 gr. Gebäck
gekauft.
Denke Dir, heute haben wir einmal weiße
Bohnen zu Mittag gekocht. Ich hatte noch welche vom vorigen Jahr da, habe sie
aber nie gekocht, weil ich meinte, wir würden sie alle nicht so gern essen. Nun
bekommen wir diesen Winter aber ziemlich viel Bohne von unserem Garten, da während
unserer Reise viele strohig geworden sind, die man als grüne Bohnen nicht mehr
verwenden kann. Ich habe nun heute einmal probiert, ob sie die Kinder auch
essen und siehe da, sie essen sie noch lieber als grüne Bohnen. Jetzt bin ich
natürlich beruhigt, denn es hatte mich doch geärgert, wenn ich die vielen
Bohnen nicht hätte verwenden können.
Einen Brief habe ich heute nicht bekommen.
Ich glaube auch nicht, daß noch einer kommt, da ich gestern 2 bekommen habe.
Wenn wir heute nach hause kommen, will ich
noch 2 Pflaumenkuchen backen, einen für heute Abend und einen für morgen früh.
Ich habe heute gerade noch einmal schöne Pflaumen bekommen. Sie sind etwas
klein, haben aber den Vorteil, nicht madig zu sein. Das ist auch etwas wert.
Das bißchen Mehrarbeit nimmt man dann gern in Kauf.
Ich habe heute auch wieder einmal
Kartoffeln aus dem Garten geholt. Die Stauden geben bis jetzt ganz gut aus. An
einer waren 20 Kartoffeln Sie sind auch ganz nett groß.
Das Kraut macht sich auch schon ganz schön
heraus. Da werde ich wahrscheinlich ein Teil Sauerkraut bekommen, wenn es so
weiter wächst. Die Tomaten werden auch so nach und nach reif. Es braucht eben
noch etwas Sonnenschein. Wenn es mit Deinem Urlaub nicht mehr gar so lange
dauert, wirst Du auch noch welche davon essen können.
Gestern habe ich nun noch Essigbohnen
gemacht. Es ist ja dieses Jahr der erste Versuch damit, hoffentlich halten sie
sich.
Ich will mich und auch Jörg so langsam
fertig machen, damit wir rechtzeitig fort kommen. Helga freut sich schon ganz
heimlich, was Jörg für ein Gesicht machen wird, wenn er die Zuckertüte sieht.
Sei Du, mein lieber Ernst, wieder recht
herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner
Annie .
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