Mein liebster Ernst! den 6. Aug.1941
Einen Brief habe ich heute nicht von Dir
erhalten und zu berichten habe ich eigentlich auch nicht viel, aber einen kurzen
Gruß sollst Du doch wenigstens von mir erhalten.
Es ist heute ziemlich trübes Wetter, es
regnet auch manchmal und außerdem ist es kühl, da ein ziemlich starker Wind
weht. Wir sind daher heute den ganzen Tag daheim. Am Morgen waren wir nur fort
zum einkaufen. Das Ausruhen tut mit aber auch ganz gut. Nach dem Mittagessen haben
wir heute alle ein bißchen geschlafen. Hinterher haben wir gleich wieder
Brötchen zum Nachmittag gegessen. Jetzt kocht Mama gerade Grießpudding zum
Abendbrot und ich muß nachher noch zum Gut um Vollmilch zu holen. Dann ist
dieser Tag auch bald wieder vorbei.
Nun sind ja die Ferien bald vorbei. Daß
ich durch den Aufenthalt in Leipzig ganz gesund geworden bin, kann ich
natürlich nicht sagen, denn soviel können 14 Tage nicht ausmachen. Aber ich
habe doch einmal Abwechslung gehabt und wir sind ja auch wirklich sehr gut
aufgenommen worden. Reuen tut mich das Geld nicht, das ich für die Reise
ausgegeben habe. Ich bin auch wieder einmal mit fast allen Verwandten zusammengekommen.
An Alice werde ich natürlich von jetzt an mehr schreiben, denn sie hat sich uns
gegenüber sehr anständig gezeigt und ich habe gemerkt, daß ihr sehr viel daran
liegt, mit uns in ein gutes Verhältnis zu kommen. Paul ist ja immer noch der
gemütliche Kerl von früher. Er läßt sich durch nichts aus der Ruhe bringen.
Kennst Du eigentlich den Gerhard Wollin
noch? Es war ein Freund von Siegfried und war auch bei der silbernen Hochzeit
mit da, so ein blonder? Er war, soviel ich weiß, Bäcker? Der ist bei seinem
ersten Einsatz als Beobachter in einem Flugzeug über England abgeschossen
worden. Siegfried kann es manchmal gar nicht begreifen, daß er wirklich
gefallen ist.
Während ich hier schreibe, hat es sich
richtig eingeregnet. Ich werde da wohl allein zum Milch holen gehen. Die Kinder
wollten Papa wieder von der Straßenbahn abholen, weil sie wissen, da gibt es
immer 10 Pfg. Gestern haben sie zwar gleich für heute 10 Pfg. mitbekommen, da
ist es für sie nicht so schlimm, wenn sie nicht gehen dürfen.
Gestern, als ich den Brief an Dich
fortschaffte, traf ich gerade Papa. Ich mußte dann mit ihm und den Kindern
gleich noch ein Stück mitgehen und bekam auch gleich ein Eis. Als wir auf dem
Rückweg waren, sah ich in einem Geschäft so Fensterklammern, wie es sie bei uns in Konstanz nicht gibt, weißt Du,
damit das Fenster nicht zufliegen kann. Als ich den Wunsch äußerte, mir evtl.
auch einige zu kaufen, holte Papa gleich 4 Stück, für jedes Fenster eins.
Außerdem kaufte er mir gleich so eine moderne Brosche. Aus was für Metall sie
ist, weiß ich nicht, glänzen tut sie wie Gold, ist aber natürlich keins. Ich trage
sie mit für wochentags, für sonntags habe ich ja die echte silberne von Dir,
die ja auch erheblich teurer war.
Jetzt wird es Zeit, daß ich mich auf die
Beine mache, sonst muß ich mich auf dem Gut zu lange anstellen. Sei für heute
recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Mein lieber Ernst! Leipzig 8.8.41
Nachdem ich gestern nicht dazu gekommen
bin, Dir einen Brief zu schreiben, sondern es bei einer Karte geblieben war,
sollst Du doch wenigstens heute wieder einen bekommen. Ich schreibe gleich
heute Mittag und weiß nicht, ob vielleicht heute Nachmittag noch ein Brief von
Dir kommt. Heute Morgen habe ich nichts bekommen.
Gestern
Vormittag waren wir, wie Du aus den gestrigen Karten gesehen hast, im
Zoo. Es war wirklich noch einmal schön. Wir haben uns die Sachen, die uns
besonders interessiert haben, gründlich angesehen. Die kleinen Bären und die
Affen haben durch ihr Raufen und ihr Springen viel Freude gemacht, ebenso die
kleinen Tiger. Die Hyänen sind ekelhafte Tiere, auch schon, wenn sie klein
sind. Gerade gestern war es besonders interessant. Als der Wärter beim Käfig
vorbei kam, zogen sie sich so schleichend zurück, nicht wie die anderen Tiere,
daß sie zurückspringen, nein, sie sind direkt geschlichen und als der Wärter
ihnen den Rücken zuwandte, sprangen sie gleich wieder vor ans Gitter und
beobachteten ihn. Die jungen Tiger und Bären sind ganz anders. Die lassen sich
beim spielen gar nicht stören und tollen herum wie die Kinder. Interessant war
mir auch, daß sich die Hyänen direkt gegenseitig anfressen. Jedes Tier hat da
blutende Wunden am Körper, den einen haben sie sogar den ganzen Schwanz und ein
Stück vom Hinterteil abgefressen. Es sah ekelhaft aus.
Die Papageien haben wir auch besucht. Der
eine sagte immer „Habt ihr was dabei?“ Wir haben erst ein paar Mal zuhören
müssen, bis wir es verstanden haben. Nach uns kamen noch 2 Leute, denen hat er
sein Sprüchchen auch gesagt. Als sie nun wieder weggingen, ohne daß er etwas
bekommen hat, stellte er die Federn ganz steil in die Höhe und schrie und
kreischte, daß sich die Kinder direkt gefürchtet haben. Als die Leute draußen
waren, beruhigte er sich wieder und fing wieder an zu sprechen. Als wir dann raus
gingen, natürlich auch ohne ihm was zu geben, ging derselbe Krach von vorn los.
Um 9 Uhr sind wir gestern Morgen
fortgegangen und um 1 waren wir wieder zuhause. Wir haben dann Mittagessen
gegessen. Es gab ein Lieblingsessen der Kinder, Wickelkraut. Am Nachmittag habe
ich dann für Mama 2 Kleider geändert. Mit einem bin ich gestern fertig
geworden. Das andere habe ich heute Morgen fertig gemacht. Mama freut sich, daß
ich es ihr habe machen können, da sie jetzt für Änderungen schlecht jemand
bekommt.
Heute Nachmittag gehe ich schon um 3 fort
und erkundige mich, ehe ich mich mit Alice treffe, auf der Bahn nach der Zulassungskarte.
Wo und wann ich sie mir besorgen muß. Daß ich dann nicht am Dienstag da stehe
und kann nicht fahren. Ich habe heute schon ein bißchen mit dem einpacken
begonnen. Alles kann ich nicht fortbringen. Das schicken wir dann mit der Post.
An Vater habe ich heute noch eine Karte geschrieben.
Ich habe ihm mitgeteilt, wenn wir kommen und habe ich gebeten, er möchte uns
ein Brot besorgen, wenn er wieder laufen kann, damit wir am Mittwochmorgen
etwas zu essen haben. Ich weiß ja gar nicht, wie es ihm geht, da er ja nicht
geschrieben hat. Er sagte mir ja ehe
wir fortfuhren, daß er nicht schreibt, wenn es ihm gut geht.
Papa muß jetzt den Kindern jeden Tag aus seiner Jugend erzählen. Als er gestern
sagte, daß sein Vater fest hat zuhauen können, sagte Helga wieder „Das kannst
Du auch, Mutterle hat es uns ja gesagt, wo Du sie einmal so fest gehauen hast!“
Papa konnte sich ja nicht mehr erinnern, schon vor ein paar Tagen glaubte er es
nicht, als Helga es sagte, aber Mama hat es bestätigt. Da war Papa erst eine
ganze Weile still und dann meinte er „Man hat es eben auch gut gemeint, damit
die Kinder gut werden und man war eben vom Krieg auch nervös geworden, so daß
man rascher aufgebraust ist.“ Ich habe ja lachen müssen, denn nach über 20
Jahren braucht er sich ja wirklich nicht mehr deshalb entschuldigen. Aber es
reut ihn ein bißchen, daß er damals so fest zugehauen hat, während ich ja
nichts mehr davon spüre und es ihm ja schließlich auch nicht nachtrage.
Heute weiß ich eigentlich gar nichts mehr
zu schreiben. Ich hoffe, daß Du auch mit einem kürzeren Brief zufrieden bist.
Schön wird es ja, wenn ich erst wieder richtig mit Dir reden kann, wenn Du
wieder Urlaub hast.
Sei nun für heute recht herzlich gegrüßt
und geküßt von Deiner Annie.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen