Mittwoch, 31. August 2016

Brief 211 vom 29./30.8.1941


Mein liebster Ernst!                                                                            Konstanz, den 29.8.41  

Heute kommt nun schon wieder ein Schreibmaschinenbrief, nachdem ich mich erst gestern  deshalb entschuldigt habe. Aber ich schreibe heute erst am Abend und da möchte ich den Brief  doch noch fortbringen und mit der Maschine geht das schreiben am schnellsten.
Am Morgen hatte ich aufzuräumen. Dann ging Helga wieder für um 11 zur Schule und ich habe Essen gekocht, weil doch Jörg 3/4 1 schon fort mußte, um 1/2 2 in der Schule zu sein. Er hat dann 1/4 1 gegessen, hinterher habe ich ihn noch einmal gründlich gewaschen, denn er wäre ganz verschmiert fortgelaufen. Dann ist er ganz stolz fortgegangen. Ich hatte ihn gefragt, ob ich ihn bringen müßte, aber er sagte, das sieht ja aus wie bei einem kleinen Butzerle. Als Jörg fortgegangen war, habe ich gleich 1 1/2 Pfund Brombeeren gepflückt, bis Helga aus der Schule kam. Dann haben wir zusammen Mittag gegessen. Helga brachte aus der Schule eine ganz Aufstellung mit, was sie alles für neue Hefte und Bücher brauchen. Nach dem Essen bin ich mit Helga in den Garten gegangen. Da habe ich die untersten 5 Reihen Erdbeeren ausgeputzt (Das meiste hatte ich schon gestern gemacht) und habe umgegraben. Die oberen Reihen, die 3 jährigen, die nicht mehr viel waren, hat Helga inzwischen rausgerissen und auf den Misthaufen geschafft. Setzlinge von den jungen Pflanzen habe ich gestern gegen Abend an dem schrägen Stück hinterm Haus gesetzt. In den nächsten Tagen bekomme ich von der Frau Leimenstoll von ihren Erdbeeren Setzlinge, die ich dann auch mit anpflanze. Du wolltest doch gerne, daß wir einmal eine neue Sorte setzen. Sollte es nicht richtig sein, was ich gemacht habe, kannst Du es ja immer noch rausreißen.
Hinterher bin ich in die Stadt gefahren und habe die Bücher für Helga besorgt. Als ich bei Tengelmann vorbeikam, habe ich gleich gefragt, ob sie vielleicht Pralinen oder Bonbons haben und hatte tatsächlich nach langer Zeit Glück. Sie hatte gerade was hereinbekommen.
Als ich heimkam sah ich gleich, daß es bald Regen geben wird. Da habe ich gleich noch etwas Grünkohl gesetzt. Ich denke, daß wir jetzt genug haben. Vor einigen Tagen hatte ich doch Wintersalat und Wirsing und Spinat gesät. Das kommt alles schon raus. Vorhin hat es nun mit regnen angefangen.
Jörg sitzt jetzt gerade mit Helga zusammen und erzählt seine Erlebnisse von der Schule.
Ich will überhaupt noch von gestern erzählen. Wir sind also gestern mit Jörg zur Schule gegangen. Wir mußten uns alle im Hof versammeln, da kein Raum weiter frei ist. Da hielt der eine Lehrer eine kurze Ansprache, daß die Kinder wegen Platzmangel weniger Schule hätten wie die in der Stadt, und daß es deshalb notwendig wäre, daß sich die Eltern etwas mehr um die Arbeit der Kinder kümmern und die Schule unterstützen. Sie wollten aber die kleinen Kinder noch nicht über dem Rhein in die Schule schicken, da es für sie zu weit und auch zu gefährlich sei.
Hinterher wurden die Namen aufgerufen und wir mußten in das Schulzimmer gehen. Jörg`s Lehrerin heißt Hafner und ist eine Elsässerin. Sie ist scheinbar eine nette Lehrerin. Sie sieht Dora ähnlich.
Jörg hat Montag, Dienstag, Mittwoch von 9 - 10 Uhr 10 Minuten und Donnerstag von 1/2 2 - 3 Uhr Schule, Samstag ist frei.
Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 24.8., mit den Durchschlägen an Schnäutzel und den Marinesturm. Die Briefe sind auch wieder prima. Ich mag überhaupt alle Briefe von Dir gern lesen, es klingt immer so, als wenn Du gerade mit jemand reden würdest.
Das Päckchen mit Bonbons ist also doch nicht mehr zur Zeit angekommen. Jörg hat ja gestern sehr viel bekommen und so habe ich schon gedacht, ich hebe es vielleicht auf bis zu Helga`s Geburtstag. Da teile ich es dann den Kindern. Ich hoffe, daß es Dir so recht ist.
Vater hat durch seine Krankheit doch nichts gelernt. Vorgestern hat er schon wieder eine Nachtschicht gemacht. Da  hat er Brombeeren eingekocht, 5 Pfund und nun denke Dir, er nimmt jede einzelne Beere auseinander und guckt nach, ob Maden drin sind. 7 Stück hat er nun drin gefunden. Vorgestern sagte er mir schon einmal, daß er jede einzelne Beere aufmacht und meinte, daß sich wohl kaum jemand so viel Mühe gibt. Ich sagte ihm auch, alles was recht ist, wenn ich jede Beere nehmen wollte, könnte ich überhaupt nichts mehr anderes schaffen. Ja, meinte er darauf, ich scheue die Arbeit nicht, aber ich will es sauber haben. Was meinst du dazu? Vater hatte mir doch schon einmal gesagt, ich hätte doch nicht die Brombeerzweige abschneiden sollen, vielleicht hätte es doch noch Beeren gegeben. Gestern fing er wieder an: „Da sind doch noch so kleine Brombeerzweige da, dieses Jahr hat es so geblüht, daß sogar die kleinsten Zweige Beeren haben. Sogar die kleinen Zweige tragen etwas.“ Das wiederholte er noch öfter, aber ich habe gar nicht gemacht, als verstünde ich die Anspielung. Schreibe aber nichts darüber an Vater, denn sonst weiß er doch gleich, daß ich es Dir geschrieben habe und das möchte ich nicht. Geärgert habe ich mich diesmal nicht, sondern ich habe eigentlich lachen müssen, daß er wieder in alle seine alten Fehler verfällt.
Heute erhielt ich auch eine Karte von meinen Eltern aus Böhmisch Kamnitz. Seit Donnerstag sind sie nun in Neustadt und fahren am Samstag heim.
Von Frau Diez bekam ich auch eine Karte. Ich soll Dir von ihr auch viele liebe Grüße bestellen.
Gestern ist der alte Herr Kuster gestorben. Ich habe ihn ja nicht näher gekannt und schicke nur eine ordentliche Trauerkarte. Das wird doch reichen. Ihm war doch erst ein Fuß abgenommen worden und wie ich heute hörte, mußte er vor 8 Tagen nochmals operiert werden.
Nun will ich wieder schließen. Ich bringe erst noch die Kinder ins Bett und dann schaffe ich den Brief noch fort. Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst                                                                              Konstanz, 30.8.41

Heute erhielt ich Deinen lieben Brief vom 26.8. und das Päckchen Nr. 22 mit Käse. Er ist gut angekommen und wir haben heute zum Abendbrot schon davon gegessen. Wir danken Dir dafür.
Ihr habt scheinbar auch viel mit den Sabotagefällen zu tun. Daß doch die Kommunisten keine Ruhe geben wollen. Es ist ja jetzt nur wegen diesen Saboteuren in Paris ein Sondergericht zusammen getreten. Da müssen diese Fälle doch einen ziemlichen Umfang angenommen haben.
Ich habe jetzt öfter Pflaumen bei Webers gekauft. Sie sind gut, nur ein bißchen klein. Dafür kosten sie aber auch nur 20 Pfg. Ich habe heute davon nochmals 2 Kuchen gebacken. Frau Weber sagte schon daß es wahrscheinlich nicht mehr lange welche gibt. Sollte ich nochmals welche bekommen, sterilisiere ich sie. Recht wäre es mir auch, wenn ich zu Helga`s Geburtstag noch ein paar Pfund bekäme. Von Birnen habe ich hier noch nichts gesehen, in Leipzig kosteten sie auch 50 Pfg.
Von den Eltern erhielt ich heute für unseren Hochzeitstag einen Brief. Der Brief ist an Dich und mich gerichtet. Ich weiß nun nicht, ob sie Dir auch einen Durchschlag geschickt habe. Meine Mutter wünscht uns, daß wir diesen Tag zusammen verleben können, das ist ja nun nicht der Fall, aber wir werden wohl an diesem Tag besonders aneinander denken. Die 10 Jahre sind eigentlich schnell vergangen. Man glaubte es gar nicht, daß schon so viele Jahre vergangen sind, wenn man nicht unsere großen Kinder sähe. Hoffen wir, daß wir alle noch viele Jahre zusammen leben können.
Ich habe heute schon etwas für Helga`s Geburtstag gekauft. Eine kleine Tasche, die sie mit zum Handarbeitsunterricht nehmen kann, und ein Buch „Was Heinz und Helga in Tirol erlebte.“ Es ist in einem N.S.-Verlag erschienen und ich hoffe, daß es etwas Ordentliches  ist. Viel werde ich nicht mehr kaufen. Ich backe einen Kuchen und vielleicht etwas Kleingebäck. Dann gibt es noch einen Pudding. Dazu werde ich noch die Bonbons von Dir legen, die bis dahin bestimmt angekommen sind. Da hat Helga doch einen schönen Geburtstagstisch.
Ich will Helga noch zum Briefkasten schicken, bevor sie hereinkommen müssen. Es ist bereits 1/4 8 Uhr.
Sei nun wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

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