Freitag, 5. August 2016

Brief 201 vom 9.8.1941


Mein lieber Ernst!                                                                           Leipzig, den 9.8.41                                                                             

Gestern, gerade als ich fortgehen wollte, bekam ich Deinen lieben Brief vom 5./6.8. Ich danke Dir recht sehr dafür.
Du hast recht, das gefällt meinem Vater, wenn er den Kindern erzählen kann. Die Kinder sitzen auch jeden Abend gleich auf dem Sofa und warten, bis Papa erzählt.
Vom Eis essen sind Beide wirklich große Gegner. Darum vertilgen sie so viel als möglich. Vorhin sind wir gerade wieder alle fortgewesen und haben uns für 10 Pfg. Eis gekauft. Den Eltern haben wir auch welches mitgebracht. Mit meinem Geld komme ich schon aus. Übrig habe ich natürlich auch nichts mehr. Aber das ist ja nicht so schlimm. Das Wirtschaftsgeld für nächste Woche habe ich natürlich noch, das habe ich nicht verbraucht.
Siegfried ist schon wieder fortgefahren. Sein Zug wird jetzt wahrscheinlich in Krakau abgestellt. Da bekommt er ja auch nicht gleich wieder Urlaub.
An Frau Diez schreibe ich noch eine Karte.  So sieht sie wenigstens, daß wir uns nicht bedanken konnten, wenn sie ja ein Päckchen geschickt hat. Sie wollte Jörg zum Geburtstag einen Schieferkasten schenken.
Du hast ja jetzt viel Arbeit. Ich bitte Dich auch wieder, überschaffe Dich nicht.
Ich bin froh, daß wir uns wieder einmal richtig über alles aussprechen können, wenn Du auf Urlaub kommst. Es gibt ja so viel zu erzählen. Beim schreiben kann man doch immer nur das Notwendige schreiben.
Von gestern möchte ich Dir auch noch berichten. Ich bin gestern in die Stadt gefahren. Erst bin ich erst auf den Bahnhof gegangen und habe mich wegen einer Zulassungskarte erkundigt, ich brauche aber für meine Reise nach Konstanz keine. Hinterher bin ich auf den Augustusplatz gegangen und habe auf Alice gewartet. Auf einmal kam auch Erna, die gerade in der Stadt zu tun hatte und wartete mit, bis Alice kam. Danach sind wir zuerst in ein Cafe gegangen und haben Torte und Eis gegessen. Hinterher sind wir einkaufen gegangen. Ich hatte mir eine Butterdose gewünscht. Wir sind überall herumgerannt, haben aber keine bekommen können, ebenso keine Konfektdose, die ich mir von Erna gewünscht hatte, da sie mir unbedingt etwas schenken wollte. Zuletzt fanden wir eine aus Porzellan zu 11,-Mk. Die wollte Erna kaufen. Ich habe es ihr aber abgeredet und habe ihr gesagt, wenn sie schon einige Mark ausgeben wollte, so wäre es mit lieber, sie kaufte mir einen Holzteller. Die sind nicht so teuer und gefallen mir wirklich gut. Alice, Erna und ich sind dann in ein Spezialgeschäft gegangen, die nur Sachen aus Holz haben und da haben mir beide je einen Holzteller gekauft. Der eine kostet 5,- der andere 3,50 Mk. Sie gefallen mir sehr gut. Heute brachte mit Erna nun auch noch eine Butterdose, die sie nach längerem Herumlaufen noch bekommen hat. Also ich bin doch wirklich reichlich beschenkt worden. Für Helga brachte Erna heute noch eine silberne Kette mit Anhänger mit. Nun bringt Helga also von dieser Reise 2 Ketten mit.
Gestern sagte Jörg „Helga, ich muß Dir unbedingt etwas von meinem Geld kaufen.“ Sie sind dann beide fortgegangen und brachten für Helga ein Armband an. Es besteht aus lauter bunten Herzen und sieht wirklich nicht schlecht aus. Es hat 30 Pfg. gekostet. Das ist doch ein lieber Bruder, nicht wahr?
Heute habe ich schon einen Koffer fertig gepackt. Den anderen kann ich noch nicht fertig machen, da wir ja noch verschiedene Sachen anhaben.
Am Morgen habe ich 2 Kuchen gebacken. Einen haben wir heute Nachmittag gegessen, als Erna kam, den anderen essen wir morgen. Ich habe heute für Mama auch noch einen Rock genäht. Frau Junghanns hat ihn vor ein paar Jahren genäht und hat ihn so vermurxt, daß Mama ihn gar nicht mehr tragen konnte. Sie sah darin rund aus und der ganze Rock saß einfach nicht. Ich habe ihn nun noch einmal ganz aufgetrennt und habe ihn richtig genäht. Mama ist froh, daß auch das in Ordnung ist. Ich freue mich natürlich auch, daß mir alles so gut gelungen ist. Am Nachmittag kam Erna. Sie hat gleich einen Trainingsanzug für Siegfried ausgebessert, während ich genäht habe. Hinterher haben wir Kuchen gegessen und nachdem sind wir zum Milch holen gegangen. Nun habe ich mich zum schreiben hingesetzt, während die Kinder mit Papa ein Flohspiel spielen. Erna sitzt mit Mama auf dem Sofa. Nachher wollen wir noch Abendbrot essen. Papa muß noch auf Nachtwache ins Geschäft.
Nun will ich schließen. Es ist schon 1/4 8 Uhr. Da kommt der Brief gerade noch 3/4 8 mit fort. Sei für heute herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.
Ich habe heute auch eine Karte von Dora bekommen. Sie schreibt, daß sie leider nicht nach Leipzig kommen kann, da sie ihre Mutter nicht allein lassen möchte, da sie ja auch älter geworden sei. Außerdem habe sie die Stelle Mutter und Kind und habe viel Arbeit. Sie hofft, daß sie uns nach dem Kriege wieder einmal besuchen kann.

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