Freitag, 5. August 2016

Brief 202 vom 10./11.8.1941


Mein lieber Ernst!                                                    10.8.41                                     

Wunderst Du Dich nicht, daß ich heute nicht mit der Maschine schreibe? Das kommt daher, daß alle ihren Mittagsschlaf halten. Da kann ich nicht gut losklappern. Wenn sie aufstehen wird Kaffee getrunken, nachher wollen wir Mensch ärgere Dich nicht spielen und hinterher wollen wir alle noch baden. Da wird der Tag bald rum gehen.
Am Morgen waren wir in der Wollkämmerei. Es wurde gezeigt: Ein Kulturfilm, „Das Lied vom Stahl“ und die 2 letzten Wochenschauen, alles für 10 Pfennig.
Am Morgen haben wir 3 Pakete gepackt, die ich per Post vorher abschicke, es sind 15 kg. Deshalb habe ich aber doch noch meine 2 Koffer voll. Hoffentlich kommt alles gut an. Ich will die Pakete mit Versicherung aufgeben, das kostet 10 Pfennig mehr. Gebe ich die Pakete aber als Reisenden Gepäck auf der Bahn, kostet es pro kg 40 Pfennig.
Gestern Abend kamen Paul und Alice noch vorbei. Sie brachten für Jörg noch ein Spielzeug mit, lauter kleine Figuren, einen ganzen Bauernhof mit Bäumen, Zäunen usw. Das haben wir nun zum Heimtransport auch in ein Paket gepackt.
Von Vater habe ich heute eine Karte erhalten. Er schreibt, daß es ihm etwas besser geht, daß sich die Krankheit bei ihm auf 1 Bein geschlagen hat und daß er dadurch noch nicht gut gehen kann. Von Kurt schreibt er, daß er jetzt zu seiner Kompanie zurückgekommen sei, nachdem  er die Prüfung für Personenkraftwagen abgelegt hat. Vor lauter lernen hätte er auch vergessen, Dir zum Geburtstag zu gratulieren.
Seit heute Mittag regnet es, so daß man am liebsten im Zimmer bleibt. Richtig heiß war es eigentlich, solange wir hier sind, nur 1 oder 2 Tage.
Wo wirst Du diesen Sonntag verbringen? Trotzdem ich hier viel Unterhaltung und Abwechslung habe, denke ich doch immer an Dich. Ich freue mich schon sehr, wenn Du auf Urlaub kommst. Ich habe auch hier in Leipzig oft Sehnsucht nach Dir gehabt und mir gedacht, wenn Du doch jetzt überall dabei sein könntest, das wäre fein. Es ist doch eigenartig, wenn man das Wort Urlaub hört, da fängt man schon an sich vorzustellen, wie schön es sein wird, wenn Du wieder ein paar Tage bei uns bist. Ich will mich aber noch nicht zu sehr freuen, damit nichts dazwischen kommt.
Nun will ich wieder schließen. Sei für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.

Mein liebster Ernst!                                      Leipzig, den 11.8.41

Heute Morgen erhielt ich Deinen lieben Brief vom 7.8. Ich danke Dir sehr dafür. Es ist ja nun der letzte Brief, den Du an mich nach Leipzig schreibst. Du hast es also gerade richtig getroffen, denn morgen fahren wir doch heim. Ich freue mich schon, wenn ich in Konstanz gleich wieder einen Gruß von Dir bekomme.
Die Tage in Leipzig sind wirklich gut und ungetrübt verlaufen. Ich hatte immerhin gefürchtet, daß es manche Meinungsverschiedenheiten geben würde. Nun bin ich froh, daß dies nicht der Fall war.
Die Angelegenheit mit Elsa hat sich ja nun erledigt. Sie kommt ja nicht. Das wirst Du ja inzwischen auch durch meinen Brief erfahren haben. Also besteht dadurch kein Hindernis, daß Du in Urlaub kommst.
Wenn Du es einrichten kannst, wie Du willst, und wenn Du nicht gerade zu unserem Hochzeitstag bei uns sein willst, wäre es am günstigsten, wenn Du ca. 5. September da sein könntest. Vorher ist es nicht so günstig. Hier waren die letzten Tage auch ziemlich regnerisch. Man muß jedenfalls immer den Regenmantel dabei haben, wenn man fortgehen will. Aber wenn man bei den Eltern ist, macht das ja nicht so viel aus. Da kann man auch einmal zuhause sitzen, was bei fremden Leuten nicht so gut geht. Hoffentlich hast du wirklich noch ein paar schöne Tage, wenn Du auf Urlaub kommst. Ich wollte, Du wärst jetzt schon bei uns.
Bei uns stehen sie ja hier auch nach Rauchwaren an. Aber es geht auch bei uns friedlich dabei zu. Jeder stellt sich richtig in seine Reihe und dann werden sie nach und nach in den Laden gelassen.
Heute Nacht waren wir wieder einmal im Luftschutzkeller. Drei Mal haben wir mit runter müssen. Mal sehen, ob sie uns jetzt die letzte Nacht schlafen lassen.
Heute Morgen haben wir die 3 Pakete fortgeschafft, die wir gestern gepackt haben. Als Wert  haben wir jedes Mal 100,-Mk angegeben. Heute Nachmittag fahren wir noch einmal in die Stadt, besorgen die Fahrkarten und gehen durch die Stadt. Es ist ja für dieses Jahr das letzte Mal. Wir wollten erst Mama mitnehmen, aber sie ist zu kaputt und will sich lieber ein bißchen hinlegen.
Ich habe Dir, glaub ich, noch gar nicht geschrieben, daß Erna am Samstagabend den Kindern zusammen noch 5 Mk. gegeben hat. Ich habe es erst nicht annehmen wollen, aber Mama sagte, Erna würde sich freuen, wenn sie den Kindern eine Freude machen kann.
Ich schreibe nun heute auch von hier den letzten Brief an Dich. Morgen erhältst Du ja keinen, denn da sind wir auf der Bahn. Eine Karte werde ich aber wahrscheinlich morgen Abend noch in den Kasten werfen, wenn wir gesund in Konstanz angekommen sind.
Ich grüße Dich heute noch recht herzlich und gebe von Leipzig aus noch viele, viele Küsse  Deine Annie.


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