Mittwoch, 3. August 2016

Brief 197 vom 2.8.1941


Mein liebster Ernst!                                                                      Leipzig, den 2.8.41                                                                          

Heute bekam ich Deine beiden lieben Briefe vom 28. und 29.7. Ich danke Dir herzlich dafür.
Du schreibst, daß Du einen Konstanzer getroffen hast. Das ist doch eigentlich eigenartig. In Konstanz selbst würdest Du den Mann sicher nicht beachtet haben, aber im fremden Land sind einem Landsleute doppelt lieb.
Wegen meiner Krankheit brauchst Du Dir keine Sorgen machen. Ich sehe schon zu, daß ich bald wieder gesund werde. Jedenfalls tu ich was ich kann. Wie ich Dir schon schrieb, ist es ja mit dem Schlaf schon besser geworden. Die letzten Wochen konnte ich ja überhaupt nicht mehr richtig schlafen, sondern wachte dauernd auf und es kam auch oft vor, daß ich stundenlang  munter war, was ich früher überhaupt nicht kannte. Jetzt schlafe ich ja die Nächte wieder durch. Ich werde ja sehen, wie es dann in Konstanz wieder ist. Hier überarbeite ich mich ja nicht und habe ziemlich viel freie Zeit, wenn ich auch Mama manches helfe. Ich will nur sehen, daß ich nächste Woche nicht mehr so viel fort muß, um den Kindern alles zu zeigen. Das strengt mich etwas an. Ins Kino hat mich ja Alice für nächste Woche noch einmal eingeladen, aber ich denke, daß ich sonst nicht viel fort muß.
Die Beerenernte war wirklich gut und wenn wir später wieder genügend Zucker bekommen, kann ich immer ziemlich viel einkochen. Dieses Jahr haben wir ja das meiste gegessen, aber ich glaube, daß uns das auch ganz gut getan hat.
Mit der Gehaltsabrechnung ist also alles in Ordnung. Ich weiß, daß Du nicht immer auf demselben Posten bleiben willst, wir müssen eben sehen, wenn Du den nächsten Kurs mitmachen kannst. Jedenfalls bist Du durch die Prüfung doch erst einmal eine Stufe weiter gekommen.
Ich habe in den letzten Tagen immer vergessen, Dir mit zu schreiben, daß der Geburtstagsbrief an Jörg angekommen ist. Ich lese ihn Jörg am Geburtstag vor.
Es ist mir schon recht, wenn Du Herrn Graser die Sache für uns mitgeben kannst. Da kommt es ja bald an und man kann mehr auf einmal schicken. Ich weiß nicht, ob Du Vater davon unterrichtet hast, daß ein Paket für uns an ihn ab gesandt wird. Ich schreibe heute sowieso eine Karte an ihn und werde es darin gleich mit erwähnen. Ich danke Dir auch für die viele Mühe, die Du Dir mit der Beschaffung der verschiedenen Sachen gemacht hast.
Ich muß sagen, daß die Tage in Leipzig bisher ungetrübt verlaufen sind. Papa freut sich wie ein Kind, daß wir da sind. Er hat schon öfter zur Mama gesagt, siehst Du, jetzt haben wir sie wenigstens einmal da. Als die Kinder einmal rumtobten und wir schimpften sagte er, lass sie doch, ich freue mich, wenn sie so rumtollen, ich haben das die letzten Jahre ja so entbehrt. Er macht auch abends immer mit ihnen Blödsinn, so daß sie kaum ins Bett zu kriegen sind und er kann sich auch kaum von ihnen trennen. Er hat schon gesagt, vielleicht könnten wir nächstes oder übernächstes Jahr wiederkommen, dann vielleicht mit dir. Da würde er sich auch freuen. Jeden Abend, wenn die Kinder Papa von der Straßenbahn abholen, kauft er ihnen vor Freude Eis. Papa hat gestern gesagt: „Wenn ich erst Siegfried mit Erna so glücklich verheiratet weiß wie Du mit Ernst, da will ich zufrieden sein. Siegfried macht mir noch Sorge. Er ist noch gar nicht fest und weiß nicht genau, was er will.“
Gestern hat er für Mama, mich und die Kinder Karten fürs Variete besorgt und zwar Klubsessel. Ist das nicht nobel? Als wir ihm sagten, daß das doch nicht nötig gewesen sei, meinte er, wenn wir nun einmal da seien, möchte er uns auch was Schönes zeigen und da wolle er nicht knausern. Also gehen wir heute ganz nobel aus.
Gestern Abend sind wir mit Papa auf den Friedhof gegangen. Erst haben wir die Gräber besucht. Auf das Grab Deiner Mutter habe ich einen Fuchsienstock gepflanzt. Ich wollte erst aufs Grab von Walter auch einen tun, aber Papa sagte, das sei nicht nötig, denn das sei ganz von Efeu überrankt. Es war wirklich so. Es sieht ganz grün aus und man sieht kein Fleckchen Erde durch. An der Seite wächst ein Franbusch. Dadurch sieht es gleich ganz geschmückt aus. Bei der Mutter ihrem Grab ist der Efeu nicht so dicht. Er ist ja, glaub ich, auch erst nach der Neuhügelung neu angepflanzt worden. Wir haben gestern alle Gräber noch reichlich begossen, denn es werden ja jetzt, wegen Personalmangel, keine Gräber mehr gepflegt, was man manchen ansieht. Das Grab von Mamas erstem Mann ist ja jetzt aufgegeben worden.
Nachdem wir  die Gräber besucht haben, sind wir ans Völkerschlachtdenkmal gegangen. Die Kinder waren ganz erstaunt und auch auf mich hat es wieder einen erhebenden Eindruck gemacht. Hinterher sind wir dann mit der Straßenbahn nach hause gefahren. So ist auch dieser Tag vergangen. Auf dem Rückweg haben wir natürlich von Papa noch einmal Eis bekommen, damit die Kinder ja keinen Tag ohne Eis sind.
Ich will nun Mama noch ein bißchen mithelfen, damit wir heute Mittag zur Zeit fortkommen. Um 3 fängt das Variete an. Ob ich morgen schreiben kann, weiß ich noch nicht genau, da wir schon am Morgen zur Alice fahren und bis Abend bleiben. Sei also bitte nicht böse, wenn Du da keinen Brief erhältst.
Sei nun wieder herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Annie.  Auch viele Grüße von den Eltern.


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