Freitag, 13. Januar 2017

Brief 270 vom 8./9.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                            Konstanz, den 8.1.42                     

Ich erhielt Deinen lieben Brief vom 3.1. und danke Dir vielmals dafür.
Wie ich aus ihm lese, habt Ihr dort kein Winterwetter wie wir. Bei uns ist dieses Jahr der Schnee beständig, denn auch heute liegt noch welcher und die Kinder sind wieder draußen.  Heute aber nicht mehr mit den Schlitten, sondern mit Ski aus Holz von einem Waschfaß, das wir immer im Vorraum liegen gehabt haben, das aber morsch war. Die oberen Stücke sind ja noch gut. Damit kamen die Kinder vorhin an, ich sollte ihnen doch Ski machen. Mit Fahrradgummi habe ich dann diese Dinger zustande gebracht. Schön ist ja anders, aber es macht ihnen doch Spaß. Was man doch nicht noch alles lernen muß.
Schule haben die Kinder ja noch nicht, wie ich Dir schon schrieb. Die haben wirklich ein faules Leben, nur lernen sie eben nicht viel dabei, das ist nicht gut. Später müssen sie es dann im Galopp nachholen.
Ich glaube auch, daß das Wohnen in freier Lage viel zu ihrer guten Entwicklung beigetragen hat. Sie haben ja immer frische Luft, viel Sonne und viel Platz zum Tummeln.
Ich habe mich wirklich gefreut, daß ich wieder ein paar Mark auf die Sparkasse schaffen konnte. Man hat doch immer das Gefühl, einen gewissen Rückhalt zu haben.
Wir können also bei Deinem Urlaub auch mit einem neuen Radioapparat rechnen. Das ist fein. Aber unseren alten geben wir doch nicht weg. Der ist so zuverlässig, denn er hat bisher noch nicht versagt.  Wenigstens während des Krieges möchte ich ihn noch behalten, da man Reparaturen immer so lange nicht gemacht bekommt, hat man ihn immer noch in Reserve. Hoffentlich haben wir mit dem neuen genau so Glück wie mit dem alten.
Ich hatte einmal an Dich geschrieben, Du hättest doch den Ahnenpaß noch dort. Das ist ja gar nicht der Fall. Du hast ihn scheinbar bei Deinem letzten Urlaub wieder mitgebracht, denn ich fand ihn gestern in der Tischschublade in der Stube. Er lag ganz hinten drin, drum hatte ich ihn nie gesehen. Ich glaube aber, ich werde ihn Dir wohl gar nicht erst noch hinschicken, vielleicht kannst du ihn nach Deinem Urlaub mitnehmen. Andernfalls schreibst Du mir bitte.
Ich schicke Dir heute einen Artikel vom Hödinger Tobel mit, der Dich sicher auch interessieren wird. Mir hat er gut gefallen.
Von Elsa erhielt ich heute einen Brief. Gerhard liegt seit 31.12. in einem Lazarett in Rouen. Er muß sich seine Krampfadern operieren lassen.
Die Kinder können die Ankunft der Kokosnuß gar nicht erwarten. Sie sind jedes Mal beleidigt, wenn der Briefträger das Päckchen nicht bringt.  Das wird ein schönes Theater geben, wenn sie wirklich ankommt.
Gerade war Jörg da. Es ist doch ein Bengel. Kaum hat er die Skier ausprobiert, da fährt er schon ein Stück den Weberbuckel runter. Hingefallen ist er zwar schon öfter, aber das macht ihm nichts aus.
Nun laß mich für heute wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein liebster Ernst!                                                       Konstanz, den 9.1.42

Heute ist wieder einmal die Zeit so kurz, daß sie mir nirgends zureicht. Darum schreibe ich gleich mit der Maschine. Ich war heute Morgen schon unterwegs und habe die Lebensmittelkarten besorgt. Auch angemeldet habe ich sie gleich und dabei noch verschiedenes besorgt, damit ich morgen nicht noch einmal fort muß. Ich habe ziemlich bei der Fahrerei gefroren, denn wir hatten heute 7 Grad Kälte. Aber zum laufen dauert es zu lange und der Omnibus fährt nur noch ganz früh, wenn die Leute zur Arbeit fahren und dann von 11 ½ - 2 und von ½ 6 - ½ 8. Aber ich habe ja gleich wieder eine schöne warme Küche vorgefunden, so daß ich bald wieder aufgewärmt war.
Als ich heim kam, stand Helga schon beim Frieden und sagte mir, daß 2 Päckchen von Dir angekommen sind. Wir haben sie dann gleich ausgepackt. Als ich das eine Päckchen vom Tisch nahm, hatten die Kinder noch Deinen lieben Brief vom 5.1. darunter versteckt. Sie wollten mich damit überraschen. Es ist ihnen auch geglückt.
Nun kam beim Auspacken die Kokosnuß zum Vorschein. Über das Aussehen waren sie ganz verdutzt. Und bis wir das Ding auf hatten. Dann kam noch eine Enttäuschung. Sie hatte gedacht, die schmeckt süß. Damit war es ja nichts. Aber ich habe dem abgeholfen und habe eine Art Kokosflocken gemacht. Die essen sie nun gern.
Bist Du mir böse, wenn ich Dir schreibe, dass ich nichts davon essen kann? Ich weiß nicht, ob ich Dir schon einmal davon erzählt habe, daß ich sie mir so über gegessen habe. Bei uns in Leipzig gab es die Nuß doch immer streifenweise zu kaufen und wir haben meinen Vater immer damit gequält. Da hat er einmal eine Ganze mitgebracht und ich habe mich so darüber gestürzt, dass ich sie nachher überhaupt nicht mehr sehen konnte. Lange Zeit wurde es mir beim sehen direkt schlecht. Das ist ja jetzt nicht mehr der Fall und ich dachte auch, dass ich sie essen könnte, aber es geht nicht. Es tut mir so leid, da Du sie doch extra schickt hast.
Die Schale der Nuß hat sich Jörg ja gleich wieder angeeignet. Vorhin hat er sie einmal mit hinaus genommen, da haben alle Kinder gestaunt, keiner wußte, was das sei. Da kannst Du Dir den Stolz von Jörg vorstellen, daß er so ein Wunderding besitzt.
Über die Apfelsinen bzw. Mandarinen, die Äpfel und die Bonbons haben wir uns sehr gefreut. Leider sind 2 von den Mandarinen schlecht geworden bzw. zerquetscht, aber die anderen sind gut angekommen. Wir danken Dir für alles und Du sollst, wenn Du, hoffentlich recht bald, auf Urlaub kommst, viele Küsse dafür bekommen.
Nun zu Deinem lieben Brief vom 5.1.Wie Du aus meinen vorhergehenden Briefen ersehen hast, bekomme ich jetzt wieder etwas regelmäßiger Post von Dir. Der Briefträger hat heute schon zu den Kindern gesagt, wir bekämen ja fast immer Post.
Die Kinder sind absolut nicht böse, daß wir zusammen ins Kino gegangen sind. Aber ich muß doch immer bremsen, denn seit wir nun in letzter Zeit ein paar mal fort warten, guckt Helga schon jede Woche das Filmprogramm nach, ob filme gespielt werden, bei denen Kinder mit können. Jedes Mal fragt sie, ob wir nicht wieder einmal gehen. Sie meint fast, das muß einfach sein. Das wollen wir ihr aber gar nicht so angewöhnen.
Die Kinder wollten Dir auch schon wieder einmal schreiben. Sie nehmen es sich jeden Tag vor, aber wenn sie dann aufstehen und der Schnee lockt draußen so, da möchten sie doch gar zu gern raus und sie haben gar keine Ruhe zum schreiben. Du nimmst es ihnen doch sicher nicht übel, denn gezwungenermaßen sollen sie Dir nicht schreiben, da kommt gar nichts Richtiges dabei heraus.
So, mein lieber Ernst, jetzt will ich weiter schaffen. Ich muß noch bügeln und wenn es mir langt, will ich auch noch backen. Manchmal möchte man die Zeit direkt dehnen können. Aber lieber nicht, dann dauert es ja noch länger, bis zu wieder einmal heim kommst.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Samstag, 7. Januar 2017

Brief 269 vom 7.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                       Konstanz , 7.1.42        

Heute habe ich Deinen lieben Brief vom 2.1. erhalten. Du merkst es ja auch an dem Briefpapier, das mit „zwischen den Zeitungen“ langt und das werde ich heute gleich einmal ausprobiere.
Wir haben heute wieder winterliches Wetter. Gestern war ja noch großer Matsch, das ist aber dann gefroren und der neu gefallene Schnee, ca. 15 cm hoch, ist liegen geblieben.
Natürlich fahren unsere Beiden schon wieder Schlitten.
Ich freue mich, daß Dir der Kalender von mir gefällt. Der Kalender von Papa ist kein ausgesprochener Taschenkalender. Du wirst ihn ja sehen, wenn Du auf Urlaub kommst. Ja, Krach macht Jörg ganz gern und das schießen hat ihm besonders imponiert. Na, augenblicklich habe ich ein ja ein bißchen Ruhe, da er seine Munition verschossen hat und von den 6 Schachteln, die ich noch in Reserve habe, weiß er ja nichts.  Die gefüllte Schokolade, in der einfachen Packung, war sehr gut. Die hat auch Helga nicht verschmäht. Sie hat mich immer wieder um ein weiteres Stück gebettelt. Jörg war nur auf die Füllung versessen. Die Schokolade drum rum konnte ich essen. Tu Dich bitte nicht ärgern, daß sie so teuer war. Sie hat ja viel Freude gemacht, das ist auch was wert.
Mit Vater ist schon alles wieder im rechten Gleis. Ab und zu muß er eben mal brummen. Aber es freut mich, daß ich nun weiß, daß es Dir recht ist, wie ich es mit dem Ausziehen der Kinder mache.
Mit dem Pudding mache ich es so, daß ich ab und zu, wenn ich nichts Vollwertiges zu Mittag habe, einen dazu gebe. Das füllt dann auf. Dabei bin ich auch immer wieder über den Zucker von Dir froh. Sonst müßte ich ja vielmals Süßstoff nehmen.
Mit der Kokosnuß hast Du ja was angerichtet. Als ich den Kindern die Stelle Deines Briefes vorlas, daß Du eine Kokosnuß schickst, da stürmten sie gleich mit Fragen auf mich ein: „Was ist das“, „Wie sieht sie aus?“, „Wie schmeckt sie“, usw. Als ich die Fragen soweit beantwortet hatte, da stürmten sie wieder auf mich ein, aber diesmal mit Küssen, die eigentlich Dir gelten. Mit dem Ruf „Vaterle ist aber lieb“ in dauernder Wiederholung, bin ich halb tot gemacht worden. Das ist ja nun auszuhalten. Da solltest Du unbedingt hier sein und mir wenigstens die Hälfte abnehmen. Aber warte nur, wenn Du auf Urlaub kommst, da wird es Dir auch nicht anders gehen. Mit Küssen haben sich die Kinder viel vorgenommen, Du kannst mir schon heute leid tun.
Jörg war wieder ganz glücklich, daß Du Dich über seinen Brief gefreut hast.
Du, da muß ich noch was erzählen.  Heute Morgen klingelt es und diesmal stand zur Abwechslung Frau Schwehr draußen.  Oben am Rücken ganz zerkratzt, ein Ohrring rausgerissen, ein Büchel Haar ausgerissen und eine Beule am Kopf. Frau Bolz hat sie so zugerichtet. Die Leute haben doch Sorgen.  Also, ich halte von Beiden nicht viel. Gestern kam Frau Bolz angesaust „Denken sie, der Hermann hätte bald das Haus angezündet, er hat mit Streichhölzern gespielt und Glut aus dem Ofen geholt. Haben das ihre Kinder auch schon gemacht?“ „Nein“, habe ich gesagt, „ich habe sie auch nie allein gelassen.“ Dann hat sie mir geklagt, daß sie ihn durchgehauen habe, aber das könnte sie nicht mehr. Sie sei ganz kaputt gewesen.  Dann ist sie gleich zur Frau Leimenstoll und hat dasselbe erzählt und vorher war sie bei der Frau Oexle und hat erklärt, warum der Hermann so geschrien habe. Ich finde das einen Quatsch. Was geht uns das an und wenn man seinen Jungen durchhaut, braucht man sich doch nicht im ganzen Haus entschuldigen. Ich lasse sie doch nie in die Wohnung, sondern fertige sie immer durch das kleine Fenster ab. Aber sie kommt doch immer wieder. Abends hockt sie jetzt meist bis um 11 bei Büsings. Da soll sie doch auch bei Tag ihr Leid klagen. Das ganze hängt einem schon zum Hals heraus. 
Ich habe heute auch schon eine Freude erlebt. Ich habe heute Morgen Schnee weggekehrt.  Als ich herein kam, empfingen mich Helga und Jörg schon an der Türe. Sie waren ganz ungeduldig und zapplig. Als ich in die Küche kam hatten sie schon das Eingebrockte für uns alle gerichtet, schon Zucker und Süßstoff dran getan und auch den Kaffee schon heiß gemacht und die Milch dazu gestellt. Ich habe mich sehr darüber gefreut.
Ich war doch am Montag in der Stadt. Da habe ich schon überall hingesehen, was ich Papa und Erna zum Geburtstag schenken könnte. Ich weiß gar nicht, was ich kaufen soll. Ein Paar Strümpfe wollte ich ihr schenken, aber ich konnte keine bekommen und mit was kann ich Papa eine Freude machen? Kannst Du mir nicht raten?
Nun laß mich wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Brief 268 vom 6.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                  Konstanz, 6.1.42              

Seit gestern Vormittag habe ich nicht mehr an Dich geschrieben und heute ist es auch Abend geworden. Da wird es bald Zeit, daß ich mich zu einem Brief hinsetze.
Einen Brief habe ich gestern und heute nicht von Dir bekommen. Dagegen kamen die Päckchen 48, 49, 50 mit Seife. Das sind aber schöne Stücke, dafür möchte ich Dir sehr danken. Nun möchte ich Dir von unserem Tageslauf berichten. Gestern war ich mit den Kindern in der Stadt. Ich habe allerhand besorgt. Sogar Klopapier habe ich wieder mal erwischt, während Briefumschläge, die ich auch bald wieder brauche, nicht zu haben waren. Auch mit etlichen anderen Sachen bin ich auf später vertröstet worden. Man muß sich nur das Nachfragen nicht verdrießen lassen, einmal klappt´s doch.
Auf dem Heimweg kamen wir an der Rheingasse vorbei. Da war in dem großen Eckhaus gegenüber der Lesehalle ein Kellerbrand ausgebrochen. Die Feuerwehr war da, da haben wir eine Weile zugesehen. Wie heute in der Zeitung stand, ist ein Mädchen mit offenem Licht in den Keller gegangen und das Stroh  auf einer Apfelhorde hat Feuer gefangen.
Ich hatte gestern für Vater ein Brot mitgebracht. Das haben wir ihm ins Geschäft gebracht.  Es ist nämlich gestern ganz plötzlich ein Wetterwechsel eingetreten und es fing an mit regnen. Da wollten wir ihm den Weg zu uns herauf abnehmen. Es hat noch die ganze Nacht und heute Vormittag geregnet, während es heute Nachmittag und auch jetzt noch schneit. Du kannst Dir sicher den Matsch vorstellen. Dem halten keine Schuhe stand.
Heute sind nun die Kinder zum ersten und auch gleich wieder zum letzten Mal zur Schule gegangen. Wegen der Wollsammlung haben sie bis zum Montag noch Ferien. In der Schule liegen doch die ganzen Sachen. Da werden wir also auch in den kommenden Tagen solange im Bett bleiben, bis wir kein Licht mehr brauchen.  Wir sind doch Faulenzer, nicht wahr?
Heute Mittag kam Vater und brachte 2 kleine Stollen, die ich für Kurt einpacken und fortschaffen sollte. Das habe ich heute Nachmittag auch getan. Da war ich froh, daß ich mit dem Rad fahren konnte. Der Matsch ist nur so rumgespritzt und es ist dann ein schönes Gefühl, wenn man mit dem Rad gewissermaßen darüber schwebt.
Als ich heim kam, habe ich noch das Waschhaus und die Treppe geputzt. Dann habe ich mir mal den Klappstuhl, den Vater gemacht hat, vorgenommen. Ich habe ihn mit einem blau/weißen Stoff einstweilen bezogen.  Wenn wir später mal anderen haben, kann man ihn ja abmachen. Kaum hatte ich ihn fertig, also den Stuhl, da haben ihn schon die Kinder für ihre Puppen „organisiert“.  Das ist nun gleich ein Puppenbett.
Von Papa erhielt ich heute einen Brief mit Bildern von Siegfrieds Hochzeit und einem Gedicht, das ich Dir abschreibe.
Findest du Papa auch so schlecht aussehend. Als wir in den Ferien dort waren, sah er viel besser aus, aber Mamas Tod hat ihn doch sehr mitgenommen.
Von Alfred Seifert kam auch eine Karte. Ich schicke sie Dir auch mit. Ob der Name „Lilly“ ein Mädchen von ihnen ist?
Ich weiß nicht, ob Dich das Gedicht von Papa so berührt wie mich. Ich habe heulen müssen. Das kommt auch daher, daß der Schmerz noch so frisch ist. Du glaubst gar nicht, wie oft ich von Mama träume. Immer frage ich sie „ja, bist Du denn nicht gestorben“ und immer sagt sie „das ist ja gar nicht wahr“ oder „davon wollen wir nicht reden“, daß doch eine Mutter auch sterben kann. Wie oft habe ich schon an Euch denken müssen, wie schwer es Euch gewesen sein muß, als Eure Mutter starb. Das habe ich früher nicht so empfunden. So lernt man auch durch Schmerz.
Lieber Ernst, meinst Du, es wird wahr, daß Du noch diesen Monat auf Urlaub kommen kannst? Wir würden uns ja so freuen. Vielleicht dauert es doch nicht mehr so lange.
Sei nun für heute wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.
Ich habe gerade das Gedicht abgeschrieben. Vielleicht, meine ich, wirst Du manches eigenartig finden. Aber es war früher so, daß Papa dichtete, wenn er sehr froh war und jetzt tut er es vielleicht, wenn er traurig ist. Ich glaube, daß Papa die Mama doch sehr vermißt. Ich habe ja Dich und die Kinder, aber Papa ist doch eigentlich mehr allein. Siegfried ist ja nun glücklich, daß er jung verheiratet ist und Erna ist ja trotz aller Liebe nicht das eigene Kind. So tut mir Papa eigentlich immer leid.
Nochmals viele, viele Grüße und Küsse von Deiner Anni.

Donnerstag, 5. Januar 2017

Brief 267 vom 4./5.1.1942


Mein lieber, lieber Ernst!                                                           Konstanz, 4.1.42      
                                       
Als am Sonntagsgruß erhielt ich Deinen lieben Brief vom 31.12., für den ich Dir sehr danke. Du hast also genau so an uns am Jahresende gedacht, wie wir an dich. Ihr habt mit wenig Alkohol das nun neue Jahr begrüßt. Aber wir waren Euch doch noch über, wir haben ganz brav nur Tee getrunken.
Deine Gedanken zum Jahreswechsel habe ich gern gelesen. Mir sind auch so ähnliche Gedanken gekommen, aber Du weißt ja, daß ich sie schlecht in Worte kleiden kann. Desto froher war ich, daß Du mir davon geschrieben hast.
Deine Wünsche für Vater werde ich ihm ausrichten, wenn er wieder einmal herauf kommt.
Vater bekommt seine Rente jetzt regelmäßig, monatlich 44,30 Mk. Ich habe ihn darum nicht erst fragen müssen, denn ich hole ihm ja manchmal die Rente, weil er durch seine lange Arbeitszeit schlecht dazu kommt. Vater hat sich jetzt auch ein Postsparbuch angelegt. Das  ist für ihn praktischer als auf der Sparkasse, da die Post länger offen ist.
Wenn Du Dir in Deinem Urlaub einen festen  und herzhaften Kuß von mir wünschst, so erfülle ich Dir diesen Wunsch gern. Ich kann aber noch nicht garantieren, ob es bei dem einen bleibt.
Der Sonntag ist heute ziemlich ruhig verlaufen. Am Vormittag das übliche Aufräumen und Essen kochen, am Nachmittag baden. Die Kinder baden doch jetzt auch nacheinander und nicht mehr zu gleicher Zeit.  In der Holzwanne kann sich Jörg doch auch nicht mehr richtig bewegen, darum haben wir sie für´s baden ausrangiert.
Auch noch was anderes hat sich geändert. Ich habe den Morgenrock mit den roten Punkten in Gebrauch genommen und meinen blauen Morgenrock hat Helga bekommen, der er gerade richtig paßt. Ja, die Kinder werden groß. Der grau karierte Mantel war Helga zu kurz geworden und bei Jörg bedeckte sein brauner Mantel gerade noch den Bauch. Nun hat er Helga´s Mantel bekommen.  Ich kann doch nicht 2 Stück da haben und die Kinder frieren.
Ich bin erst heute Abend zum schreiben gekommen. Hoffentlich macht es Dir nichts aus, wenn ich den Brief erst morgen fortbringe. Ich habe nämlich noch nasse Haare und mir graust es ein bißchen, jetzt noch fortzugehen. Es ist gerade 10 Uhr. Ich gehe nachher bald schlafen.  Gute Nacht mein lieber Schatz.

Lieber Ernst!                                                                                        5.1.42
Nun will ich den Brief fertig schreiben, damit er wenigstens zu Mittag mit fortkommt.  Gerade ist Dein Päckchen 47 angekommen. Von dem Knäckebrot habe ich den Kindern gleich ein Stück geben müssen. Da sind sie doch wild darauf. Die anderen schönen Sachen hätten sie natürlich auch nicht verschmäht, aber das gibt es nicht, daß gleich alles gefuttert wird. Das wird richtig eingeteilt, sonst merken es die Kinder nämlich gar nicht, daß Du uns die Sachen extra schickst und sie meinen, das geht alles so nebenbei und ist selbstverständlich. Ich danke Dir für das Päckchen recht sehr.
Heute Nachmittag gehe ich mit den Kindern in die Stadt. Ich habe verschiedenes einzukaufen und mit dem Rad läßt es sich schlecht fahren. Da hat es am gestrigen Nachmittag etwas getaut und über Nacht hat es wieder gefroren. Da ist die Straße ganz uneben und wenn man mit dem Rad in Spuren rein fährt, kann´s einen leicht einmal runterschmeißen. Es ist heute auch wieder kälter als in den vergangenen Tagen.
Was sagst Du zu der Wollsammlung? Das ist doch ein großer Erfolg. Es waren auch alle mit Freude dabei. Jeder hat alles rum gewälzt, ob er noch was zum geben fand und überall ist geschafft worden. Am Freitag und Samstag haben sich die Leute sogar anstellen müssen, damit ihnen die Sachen abgenommen wurden. Trotzdem steht Konstanz in Baden und Elsaß erst an siebenter Stelle  mit den Spenden. Wie mag es da erst in den anderen Städten zugegangen sein. Das war eine Sammlung, die Freude gemacht hat. Ich danke Dir auch, daß Du es mir überlassen hast, was ich geben will. Ich wüßte nämlich erst gar nicht, ob es Dir recht ist, wenn ich dies und jenes weggebe.
Ich will mich nun noch ans bügeln setzen, damit ich bis zu Fortgehen fertig werde. Laß mich deshalb jetzt schließen und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Brief 266 vom 2./3.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                             Konstanz, 2.1.42                                 

Ich erhielt Deinen lieben Brief vom 29.12. und habe mich sehr darüber gefreut.
Die kleinen Puppen haben Helga wirklich sehr gefreut, aber konntest Du nicht eine bravere heraussuchen? Die größere, die die Augen zumachen kann, ist ja ein ganz schlimmer Kerl. Die tapst ins Essen rein, wirft alles um, sogar ins Klosett ist sie schon gefallen. Die Puppenmutter hat mir gerade heute ihr Leid geklagt.
Beim Zusammensetzen der Kanonen mußte ich schon noch mithelfen, denn da sind so kleine Schrauben dran, mit denen Jörg noch nicht ganz fertig wird.
In der einen Zeitungssendung war wirklich kein Brief. Ich habe alle anderen Schreiben und auch jede Seite der Zeitungen durchgesehen. Es ist wirklich manchmal so, daß man den Kindern zu wenig zutraut. Aber sie werden eben auch größer und selbständiger. Das ist ja kein Schade, sie wissen sich doch dann wenigstens auch zu helfen, wenn sie auf sich selber angewiesen sind. Das habe ich gerade beim Impfen gesehen. Jörg wollte mich nicht mit haben, da er sich selber aus- und anziehen kann. Aber es waren doch manche Mütter mit, die den Kindern geholfen haben. So sprach mich auch eine Frau an und fragte, ob ich nicht mit zum Impfen gegangen sei. Sie wäre dort gewesen, denn ihr Bub könnte sich doch noch nicht so anziehen. Jörg kann das ja alles. Auch die Schuhe kann er sich jetzt schon längere Zeit selber binden. Ich mag das nicht, wenn Kinder so unselbständig sind. Da habe ich direkt einmal lachen müssen, als mir Frau Leimenstoll erzählte, sie müßte dem Walter, der doch älter als Helga ist, beim waschen helfen, da er das noch nicht kann. Meine Mutter hat wirklich immer zugesehen, daß sie einem eine Freude machen konnte. Mit den Handtüchern, die ich jetzt habe, komme ich ja lange Zeit aus. Mit den weißen wahrscheinlich mein ganzes Leben, denn da habe ich außer dem Dutzend, das ich im Gebrauche habe und das noch gut erhalten ist, 24 neue. Wischtücher habe ich auch 6 Stück bekommen. Also Mangel habe ich nicht.
Der Schnee ist noch nicht getaut und die Kinder sind wieder beim Schlittenfahren. Vor allem Jörg tobt so im Schnee herum, daß er sich die letzten Tage immer noch mal umziehen mußte, weil Hose, Strümpfe und Schuhe ganz naß waren. Das Rumtoben ist für ihn direkt ein Fest. Helga ist ja ein bißchen vorsichtiger und hat es erst abends soweit gebracht, daß alles naß ist.
Der Maler Lotter von der Reichenau ist gestorben. Vor kurzem sind seine beiden Söhne gefallen und als er jetzt die Nachricht bekam, daß sein zukünftiger Schwiegersohn auch gefallen ist, hat er einen Herzschlag bekommen. Das ist doch traurig. Vergangene Woche ist auch eine Frau gestorben als sie die Nachricht erhielt, daß ihr Sohn gefallen ist.
Von Kurt kamen heute 2 Päckchen mit Sachen zum aufheben. 2 Bücher, die er zu Weihnachten erhielt und ein Fernglas, das er sich wieder gekauft hat. Er hatte auf das Päckchen „vorsichtig auspacken“ geschrieben. Das habe ich ja getan, aber auf dem Transport ist doch ein Stück von der Verschraubung der Gläser gebrochen. Viel macht es ja nicht aus, aber ich will es Kurt doch gleich mitteilen, damit er nicht meint, es ist bei uns passiert.
Als Vater zu Sylvester hier war, hat er einen schlimmen Schnupfen mitgebracht, den er mir gleich ererbt hat. Ich kann gar nicht genug Taschentücher haben. Aber  sonst geht es uns allen gut.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein lieber Ernst!                                                           Konstanz, den 3.1.42

Vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 30.12. Ich bin auch sehr froh, daß die Feiertage vorbei sind. So ist man wieder bei seiner regelmäßigen Arbeit.
Das Apfelmus, welches Du eingekocht hast, hat ja, wie ich Dir schon schrieb, prima geschmeckt. Wir haben ja noch welches da und werden beim Essen immer wieder an Deinen Urlaub denken und an die Mühe, die Du Dir gegeben hast.
Es geht mir also nicht allein so, dass ich den Schnupfen habe, sondern Du bist auch so ein Patient. Bei mir ist es ja jetzt schon wieder ein bißchen besser.
Wenn Du wieder Seife schickst, so kann ich sie schon brauchen, wenn auch nicht gleich. Aber gute Seife wird ja durchs liegen nur besser.
Denk Dir, ich habe gestern das ganz verkehrte Puppenkind bei Dir verklagt. Es ist doch das Baby, das so schlimm ist, die andere ist ganz brav. Als ich es Helga gestern sagte, daß ich Dir geschrieben habe, warum Du keine bravere geschickt hast, sage sie gleich, daß ich Dir aber schreiben muß, daß es nicht die ist, die die Augen zumachen kann, sondern die kleine.
Wir haben immer noch etwas kaltes Wetter, aber viel Kältegrade hat es nicht. Für die Kinder ist es gerade richtig zum draußen rumtollen. Schnee liegt ja auch noch, so daß sie dieses Vergnügen also auch noch haben können. Ich habe nun inzwischen auch gewaschen und einen Teil schon trocken. Es war nicht so viel, weil Vater diesmal keine Bettwäsche gebracht hat und ich auch nicht alles abziehen brauchte. Im Winter ist man ja froh, wenn man nicht so viel in dem kalten Wasser rummatschen braucht. Morgen werden wir sicher baden. Eigentlich war es heute schon vorgesehen, aber ich habe so viel zu tun gehabt, daß er nicht geklappt hat.
Nun fängt ja die Schule bald wieder an. Jörg hat ja ab und zu geschrieben und gelesen, aber manchen Tag hat er mir doch abgebettelt, wo er nichts gemacht hat. Aber er hat öfter in dem kleinen Märchenbuch gelesen, das er zu Weihnachten bekommen hat und das ist genau so gut, als wenn er in seinem Lesebuch gelesen hätte und außerdem hat es ihm viel Freude gemacht. Helga hat sich ja um ihre Schulsachen nicht gekümmert, aber sie kann ja alles soweit und Aufgaben haben sie ja nicht auf gehabt.
Ich habe jetzt auch noch die Bücher „Lonny“ und „Der Mutterhof“ gelesen.  Sie haben mir beide sehr gut gefallen. Am meisten das letztere.
Übrigens, von der Munition für Jörg kannst Du ruhig noch welche besorgen. Wenn ich ihm die mal gebe, die ich noch aufgehoben habe, ist sie doch gleich alle. Wenn Du mal auf Urlaub kommst, will Dir Jörg doch sicher auch etwas vorschießen, damit Du siehst, was für ein großer Soldat er schon ist. Also kaufe noch ein paar Schachteln.
Nun laß mich wieder schließen. Ich will noch einen Brief an  Papa schreiben und mich für den Abreiskalender bedanken, der er mir mitgeschickt hat. Ich glaube, ich habe Dir davon überhaupt noch nichts geschrieben, oder doch? Er heißt „Deutsches Ahnenerbe“. Es sind ganz schöne Bilder drin. Du wirst es ja sehen, wenn Du wieder einmal heimkommst.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Sonntag, 1. Januar 2017

Brief 265 vom 01.01.1942


Mein liebster Ernst!                                                 1.1.42                   0.10 Uhr                            

Nun hat vor wenigen Minuten das Neue Jahr begonnen. Ich wünsche im Geist auch Dir ein frohes Neues Jahr. Wir wollen hoffen, daß wir uns alle gesund wiedersehen und daß wir noch recht viele Jahre miteinander erleben dürfen. Auch auf ein baldiges gutes Ende des Krieges wollen wir hoffen.  Vater  und ich sitzen jetzt hier am Tisch beisammen, ohne Alkohol. Vater hatte auf nichts derartiges Appetit und mir ist es auch so recht. Wir haben uns von Dir, Kurt, Deiner Mutter, meiner Mutter, Siegfried, Papa und Erna unterhalten. Es kommt einem an einer Jahreswende ja so manches in Erinnerung. Vater hat so manches von früher erzählt, auch  von Walter.
Die Kinder habe ich vorhin, auf ihren Wunsch, auch kurz geweckt und wir haben uns auch ein frohes Neues Jahr gewünscht.
Nun schlaf auch Du, mein lieber Mann, gut in das Neue Jahr hinein und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Lieber Ernst!                                                                  1.1.42 

Nun will ich Dir gleich die ersten Grüße im neuen Jahr übermitteln und alles Gut vor allem, daß wir alle gesund bleiben, wünschen. Meinen Brief wirst Du wohl inzwischen erhalten haben. Wir haben das Ende des Jahres und den Anfang des neuen Jahres ganz alkoholfrei durchgeführt und stattdessen einen Tee gebraut. Ihr werdet wahrscheinlich in Kameradschaft sitzen. Nun wollen wir hoffen und wünschen, daß der Krieg für uns siegreich dieses Jahr zu Ende geführt wird, Ihr alle gesund bleibt und ein frohes  Wiedersehen feiern können. Herzliche Grüße Dein Vater.

Mein lieber, lieber Ernst!                                                    Konstanz, 1.1. 42

Ganz gut hat das neue Jahr angefangen, mit vielen lieben Grüßen von Dir, die ich heute erhielt, Deine 2 Briefe vom 27. und den vom 28.12. Ich habe mich so sehr gefreut. Die Kinder haben wirklich eine große Freude gehabt, daß sie von ihrem ersparten Geld etwas kaufen konnten. Wie ich Dir schon schrieb, haben sie auch wirklich schöne Sachen gekauft, über die man sich freuen konnte.
Vater war wirklich stolz, daß er mir die 40,- geben konnte. Er sagte auch, das hätte ich wohl nicht gedacht, daß er das schenken würde, aber wenn er verdiente, würde er auch nicht so sehr am Geld hängen. Wie ich Dir schon schrieb, habe ich das Geld auf die Sparkasse geschafft.  Wenn es Dir Freude macht, uns Mandarinen zu schicken, so will ich Dir diese natürlich nicht nehmen. Ich wollte nur nicht, daß Du Dir alles so absparst.
Die Sachen, die mir Papa geschickt hat, kann ich schon alle verwenden, wenn auch nicht auf einmal. Was  soweit gut ist, verarbeite ich für Kinder oder für die Puppen. Was nicht mehr viel taugt, gibt immer noch Sohlen für die Filzschuhe.
Beim Theater ist es schon so, daß man jetzt alles mit kritischeren Augen ansieht als früher. Den Kindern hat es genau so gut gefallen wie uns früher und das ist die Hauptsache. Deshalb geht man ja auch mit den Kindern hin.
Zur Wollsammlung gebe ich nun ab: 1 Trainingsanzug, 3 Paar Pulswärmer, 1 Paar Fasthandschuhe, 1 Muff, 3 Schals.
Es ist der Muff, den ich früher einmal für Helga gemacht habe. Es hat einige Stellen, an denen die Haare etwas weg sind. Aber das ist ja nicht das Wichtigste. Die Hauptsache, er ist warm.  Helga braucht ihn fast nicht und er liegt nur herum.
Dir stricke ich in nächster Zeit neue Fausthandschuhe.
Wegen der Beförderung muß ich Dir noch etwas Lustiges von Jörg schreiben, wenigstens habe ich lachen müssen. Wir kamen aufs Schenken zu Weihnachten. Da sagte Jörg: Vaterle hat Dir doch auch was Schönes geschenkt.  Er ist doch höher geworden und das „Betreter“ ist doch weg.“ Du hättest das mal hören sollen. Wie lustig das klang.
Das ganz kleine nachträgliche Weihnachtsgeschenk werde ich also aufheben. Wir feiern bei Deinem Kommen noch einmal ein wenig Weihnachten.  Ich frage mich jeden Tag, ob es wohl wahr wird, daß Du Mitte Januar auf Urlaub kommst. Das wäre ja so schön und dauerte nicht mehr lange.
Du bist ein ganz Schlimmer. Jetzt schreibst Du auch noch, daß es schade sein, daß wir nicht 2 Mädchen haben, dann brauchte ich nicht immer Dreiangel stopfen. Dabei bist Du doch ganz froh, daß wir so einen kleinen Bengel haben, nicht wahr? Aber mit dem Bravsein, das stimmt.
Jetzt hast Du dort also wieder Verdruß. Hört das denn überhaupt nie auf. Wieder von derselben Seit wie vorher? Vielleicht ist es am besten, Du erzählst es mir mündlich, wenn Du heim kommst. Aber traurig genug ist es, wenn es immer Streitigkeiten gibt. Das sollte doch nicht sein. Aber es gibt eben überall giftige Leute. Es ist mir lieb, daß Dir die Kleinigkeiten, die wir Dir schicken konnten, Freude bereitet haben.
Ein richtiges Weihnachtsfest hast du ja auch nicht gehabt. Pech war es ja, daß Du Graser nicht gleich angetroffen hast, sondern erst spät in der Nacht. Mit dem Tommy hast Du ja auch nur ein paar Stunden zusammen sein können.
Zu Sylvester hattest Du Dienst. Da war es also nichts mit dem feiern im Kreise Deiner Kameraden, wie wir dachten. Bei uns war es ja auch ruhig. Wir haben eine Weile gelesen, dann haben wir erzählt, meist Dein Vater, von früher. Auf Vaters Wunsch haben wir dann noch einen heißen Tee getrunken und ein Stück Stolle, die er zum Probieren mitgebracht hatte, gegessen. Um ¼ 3 Uhr ist er dann heim gegangen.
Schnee haben wir auch noch. Helga und Jörg sind wieder mit dem Schlitten draußen. Aber die Kälte hat ziemlich nachgelassen.
Ich danke Dir herzlich für Deine Neujahrswünsche. Diese decken sich ja vollkommen mit meinem, denn Gesundheit und ein baldiges, glückliches Ende des Krieges sind ja jetzt die wertvollsten Wünsche. Hoffentlich hast Du den Jahresbeginn wenigstens ruhig verleben können und es hat niemand Störungen verursacht. Elemente, die diese verursachen wird es ja immer wieder geben, denn es ist eben doch Feindesland, wo Ihr steht.
Von Papa und Erna erhielt ich heute auch einen Brief. Siegfried konnte nun doch nicht zuhause sein, er ist am 24. wieder nach Rußland abgefahren. So am 8.1.wird er wieder in Deutschland sein und hofft, Urlaub zu bekommen. Andernfalls soll ihn Erna in Dresden besuchen.
Am 1. Feiertag sind sie an Mamas Grab gegangen und später in den ernsten Film, in dem wir gestern waren. Am 2. Feiertag hatten sie Besuch von einer Kollegin aus seiner früheren Firma. Am 3. Feiertag hat Papa mit der Wollsammlung zu tun gehabt. Am Sonntag sind sie zur Weihnachtsfeier des Elternvereins gegangen.
Die 10,- wird Papa für die Gräber unserer beiden Mütter verwenden. 2 Bilder hat er mitgeschickt, die wir bei unserem Aufenthalt in Leipzig gemacht haben. Ich schicke sie Dir einmal mit. Sie sind nicht ganz deutlich geworden, aber es sind die letzten Aufnahmen, die von Mama gemacht worden sind.
Nun wieder Schluß für heute, mein lieber Ernst. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Brief 264 vom 30./31.12.1941


Mein liebster Ernst!                                                                Konstanz, 30.12.41                      

Einen Brief habe ich heute nicht von Dir bekommen. Von Papa kam ein Briefpäckchen mit kleinen Sachen von Mama, eine kleine Stofftasche, Nähseide usw.
Wir alle drei sind heute morgen in die Stadt gegangen. Die Kälte hat etwas nachgelassen, es sind nur noch 3 Grad. Dabei hat es am Vormittag noch etwas geschneit. Es war schön zum laufen. Zuerst sind wir auf die Sparkasse gegangen. Da habe ich das Geld geholt und gleichzeitig bei uns 25,- und bei den Kindern je 7,50 und 1,-Mk von der Schulsparkasse eingezahlt. Dann sind wir auf die Post gegangen und haben 65,- Mk an Dich zur Absendung gebracht. Hinterher haben wir noch Gas- und Lichtmarken geholt, haben bei Tengelmann noch verschiedenes besorgt und sind dann heim gegangen. Jörg hat vorhin noch Aufgaben gemacht und nun ist er mit Helga beim Schlittenfahren. Die paar Tage bis zum Schulanfang wollen sie doch noch richtig ausnutzen, denn wenn sie später wieder Schulaufgaben machen müssen, ist doch der halbe Nachmittag vorbei. Gesund ist ja das Wetter. Beide kommen immer mit frischen, knallroten Backen herein.
Nachher besorgen sie mir noch einen Weg. Von den Bildern, die ich Dir geschickt hatte, habe ich nochmals Abzüge machen lassen. Die holen sie nachher und nehmen gleich den Brief mit auf die Post.
Hast Du eigentlich einen Herrn Mader vom Verkehrsamt gekannt? Der ist in den letzten Tagen auch gefallen.
Wenn Vater morgen zu uns heraufkommt, kann ich ihm die restlichen 30,- bezahlen. Unsere Schulden sind wir dann los. Da bin ich froh, denn wenn ich niemand etwas schuldig bin, ist es mir lieber. Das war ja auch nur einmal ein Ausnahmefall, sonst kommt das ja nicht vor.
Nun ist ja gleich das alte Jahr vorbei. Was wird es uns wohl bringen? Hoffentlich nicht zu viel Schmerz, sondern auch etwas Gutes. Aber es ist wohl am besten, man läßt alles auf sich zukommen und fragt vorher nicht zu viel. Es war schön, daß wir wenigstens am vergangenen Neujahr zusammen sein konnten. Diesmal ist es ja leider nicht der Fall, aber wir werden besonders fest aneinander denken. Und hoffen wir auf ein recht baldiges gesundes Wiedersehen.
Laß mich nun schließen und sei recht oft und herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein liebster Ernst!                                                            Konstanz, 31.12.41

Nun ist wirklich der letzte Tag des Jahres herangekommen. Ich hätte heute gern noch einen Gruß von Dir bekommen, aber leider brachte mir der Briefträger auch heute nichts. Vielleicht bringt er mir morgen einen ersten Gruß zum neuen Jahr.
Ich war heute mit den Kindern im Kino „Wetterleuchten um Barbara“. Es hat mir gut gefallen. Auch die Bergaufnahmen waren wieder gut. Der Film handelt noch vom Schuschnigg-Österreich. Die Heimwehr taucht überall auf und verhaftet die besten Bauern, um sie an den Galgen zu bringen und sich gleichzeitig in den Besitz der Höfe zu setzen. Im Film handelt es sich um das Schicksal eines Hofes und seiner Menschen. Am Schluß des Filmes steht der Einmarsch der Wehrmacht in die Ostmark. Die Wochenschau war auch sehr interessant.
Vorhin ist Vater gekommen und wir werden nun am Sylvester allein zusammen sitzen und an Dich und auch an Kurt und Siegfried, sowie an Papa und Erna denken. Meine Gedanken sind ja vor allen Dingen bei Dir und ich glaube, daß Deine Gedanken auch bei uns sein werden. Wahrscheinlich wirst Du mit Deinen Kameraden zusammen das neue Jahr erwarten.  Ich weiß ja noch nicht einmal, wie Du die Weihnachtsfeiertage erlebt hast, denn Dein letzter Brief war ja vom 23./24. Aber ich hoffe, daß ich bald wieder einen Brief von Dir bekomme.
Bei uns herrscht richtiges Winterwetter. Als wir heute Morgen aufwachten, hatte es schon etwas geschneit und bis heute Abend hat es damit noch nicht aufgehört. Die Kinder sind ja darüber sehr glücklich, wenn es auch den Soldaten draußen sicher nicht so recht ist, denn wir habe gerade heute in der Wochenschau gesehen, wie der Kampf dadurch erschwert wird. Nun unterbreche ich erst einmal den Brief und will die Kinder ins Bett bringen. Es ist bald 9 Uhr. Später schreibe ich noch weiter.