Samstag, 7. Januar 2017

Brief 269 vom 7.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                       Konstanz , 7.1.42        

Heute habe ich Deinen lieben Brief vom 2.1. erhalten. Du merkst es ja auch an dem Briefpapier, das mit „zwischen den Zeitungen“ langt und das werde ich heute gleich einmal ausprobiere.
Wir haben heute wieder winterliches Wetter. Gestern war ja noch großer Matsch, das ist aber dann gefroren und der neu gefallene Schnee, ca. 15 cm hoch, ist liegen geblieben.
Natürlich fahren unsere Beiden schon wieder Schlitten.
Ich freue mich, daß Dir der Kalender von mir gefällt. Der Kalender von Papa ist kein ausgesprochener Taschenkalender. Du wirst ihn ja sehen, wenn Du auf Urlaub kommst. Ja, Krach macht Jörg ganz gern und das schießen hat ihm besonders imponiert. Na, augenblicklich habe ich ein ja ein bißchen Ruhe, da er seine Munition verschossen hat und von den 6 Schachteln, die ich noch in Reserve habe, weiß er ja nichts.  Die gefüllte Schokolade, in der einfachen Packung, war sehr gut. Die hat auch Helga nicht verschmäht. Sie hat mich immer wieder um ein weiteres Stück gebettelt. Jörg war nur auf die Füllung versessen. Die Schokolade drum rum konnte ich essen. Tu Dich bitte nicht ärgern, daß sie so teuer war. Sie hat ja viel Freude gemacht, das ist auch was wert.
Mit Vater ist schon alles wieder im rechten Gleis. Ab und zu muß er eben mal brummen. Aber es freut mich, daß ich nun weiß, daß es Dir recht ist, wie ich es mit dem Ausziehen der Kinder mache.
Mit dem Pudding mache ich es so, daß ich ab und zu, wenn ich nichts Vollwertiges zu Mittag habe, einen dazu gebe. Das füllt dann auf. Dabei bin ich auch immer wieder über den Zucker von Dir froh. Sonst müßte ich ja vielmals Süßstoff nehmen.
Mit der Kokosnuß hast Du ja was angerichtet. Als ich den Kindern die Stelle Deines Briefes vorlas, daß Du eine Kokosnuß schickst, da stürmten sie gleich mit Fragen auf mich ein: „Was ist das“, „Wie sieht sie aus?“, „Wie schmeckt sie“, usw. Als ich die Fragen soweit beantwortet hatte, da stürmten sie wieder auf mich ein, aber diesmal mit Küssen, die eigentlich Dir gelten. Mit dem Ruf „Vaterle ist aber lieb“ in dauernder Wiederholung, bin ich halb tot gemacht worden. Das ist ja nun auszuhalten. Da solltest Du unbedingt hier sein und mir wenigstens die Hälfte abnehmen. Aber warte nur, wenn Du auf Urlaub kommst, da wird es Dir auch nicht anders gehen. Mit Küssen haben sich die Kinder viel vorgenommen, Du kannst mir schon heute leid tun.
Jörg war wieder ganz glücklich, daß Du Dich über seinen Brief gefreut hast.
Du, da muß ich noch was erzählen.  Heute Morgen klingelt es und diesmal stand zur Abwechslung Frau Schwehr draußen.  Oben am Rücken ganz zerkratzt, ein Ohrring rausgerissen, ein Büchel Haar ausgerissen und eine Beule am Kopf. Frau Bolz hat sie so zugerichtet. Die Leute haben doch Sorgen.  Also, ich halte von Beiden nicht viel. Gestern kam Frau Bolz angesaust „Denken sie, der Hermann hätte bald das Haus angezündet, er hat mit Streichhölzern gespielt und Glut aus dem Ofen geholt. Haben das ihre Kinder auch schon gemacht?“ „Nein“, habe ich gesagt, „ich habe sie auch nie allein gelassen.“ Dann hat sie mir geklagt, daß sie ihn durchgehauen habe, aber das könnte sie nicht mehr. Sie sei ganz kaputt gewesen.  Dann ist sie gleich zur Frau Leimenstoll und hat dasselbe erzählt und vorher war sie bei der Frau Oexle und hat erklärt, warum der Hermann so geschrien habe. Ich finde das einen Quatsch. Was geht uns das an und wenn man seinen Jungen durchhaut, braucht man sich doch nicht im ganzen Haus entschuldigen. Ich lasse sie doch nie in die Wohnung, sondern fertige sie immer durch das kleine Fenster ab. Aber sie kommt doch immer wieder. Abends hockt sie jetzt meist bis um 11 bei Büsings. Da soll sie doch auch bei Tag ihr Leid klagen. Das ganze hängt einem schon zum Hals heraus. 
Ich habe heute auch schon eine Freude erlebt. Ich habe heute Morgen Schnee weggekehrt.  Als ich herein kam, empfingen mich Helga und Jörg schon an der Türe. Sie waren ganz ungeduldig und zapplig. Als ich in die Küche kam hatten sie schon das Eingebrockte für uns alle gerichtet, schon Zucker und Süßstoff dran getan und auch den Kaffee schon heiß gemacht und die Milch dazu gestellt. Ich habe mich sehr darüber gefreut.
Ich war doch am Montag in der Stadt. Da habe ich schon überall hingesehen, was ich Papa und Erna zum Geburtstag schenken könnte. Ich weiß gar nicht, was ich kaufen soll. Ein Paar Strümpfe wollte ich ihr schenken, aber ich konnte keine bekommen und mit was kann ich Papa eine Freude machen? Kannst Du mir nicht raten?
Nun laß mich wieder schließen. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

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