Donnerstag, 5. Januar 2017

Brief 266 vom 2./3.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                             Konstanz, 2.1.42                                 

Ich erhielt Deinen lieben Brief vom 29.12. und habe mich sehr darüber gefreut.
Die kleinen Puppen haben Helga wirklich sehr gefreut, aber konntest Du nicht eine bravere heraussuchen? Die größere, die die Augen zumachen kann, ist ja ein ganz schlimmer Kerl. Die tapst ins Essen rein, wirft alles um, sogar ins Klosett ist sie schon gefallen. Die Puppenmutter hat mir gerade heute ihr Leid geklagt.
Beim Zusammensetzen der Kanonen mußte ich schon noch mithelfen, denn da sind so kleine Schrauben dran, mit denen Jörg noch nicht ganz fertig wird.
In der einen Zeitungssendung war wirklich kein Brief. Ich habe alle anderen Schreiben und auch jede Seite der Zeitungen durchgesehen. Es ist wirklich manchmal so, daß man den Kindern zu wenig zutraut. Aber sie werden eben auch größer und selbständiger. Das ist ja kein Schade, sie wissen sich doch dann wenigstens auch zu helfen, wenn sie auf sich selber angewiesen sind. Das habe ich gerade beim Impfen gesehen. Jörg wollte mich nicht mit haben, da er sich selber aus- und anziehen kann. Aber es waren doch manche Mütter mit, die den Kindern geholfen haben. So sprach mich auch eine Frau an und fragte, ob ich nicht mit zum Impfen gegangen sei. Sie wäre dort gewesen, denn ihr Bub könnte sich doch noch nicht so anziehen. Jörg kann das ja alles. Auch die Schuhe kann er sich jetzt schon längere Zeit selber binden. Ich mag das nicht, wenn Kinder so unselbständig sind. Da habe ich direkt einmal lachen müssen, als mir Frau Leimenstoll erzählte, sie müßte dem Walter, der doch älter als Helga ist, beim waschen helfen, da er das noch nicht kann. Meine Mutter hat wirklich immer zugesehen, daß sie einem eine Freude machen konnte. Mit den Handtüchern, die ich jetzt habe, komme ich ja lange Zeit aus. Mit den weißen wahrscheinlich mein ganzes Leben, denn da habe ich außer dem Dutzend, das ich im Gebrauche habe und das noch gut erhalten ist, 24 neue. Wischtücher habe ich auch 6 Stück bekommen. Also Mangel habe ich nicht.
Der Schnee ist noch nicht getaut und die Kinder sind wieder beim Schlittenfahren. Vor allem Jörg tobt so im Schnee herum, daß er sich die letzten Tage immer noch mal umziehen mußte, weil Hose, Strümpfe und Schuhe ganz naß waren. Das Rumtoben ist für ihn direkt ein Fest. Helga ist ja ein bißchen vorsichtiger und hat es erst abends soweit gebracht, daß alles naß ist.
Der Maler Lotter von der Reichenau ist gestorben. Vor kurzem sind seine beiden Söhne gefallen und als er jetzt die Nachricht bekam, daß sein zukünftiger Schwiegersohn auch gefallen ist, hat er einen Herzschlag bekommen. Das ist doch traurig. Vergangene Woche ist auch eine Frau gestorben als sie die Nachricht erhielt, daß ihr Sohn gefallen ist.
Von Kurt kamen heute 2 Päckchen mit Sachen zum aufheben. 2 Bücher, die er zu Weihnachten erhielt und ein Fernglas, das er sich wieder gekauft hat. Er hatte auf das Päckchen „vorsichtig auspacken“ geschrieben. Das habe ich ja getan, aber auf dem Transport ist doch ein Stück von der Verschraubung der Gläser gebrochen. Viel macht es ja nicht aus, aber ich will es Kurt doch gleich mitteilen, damit er nicht meint, es ist bei uns passiert.
Als Vater zu Sylvester hier war, hat er einen schlimmen Schnupfen mitgebracht, den er mir gleich ererbt hat. Ich kann gar nicht genug Taschentücher haben. Aber  sonst geht es uns allen gut.
Sei wieder recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein lieber Ernst!                                                           Konstanz, den 3.1.42

Vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 30.12. Ich bin auch sehr froh, daß die Feiertage vorbei sind. So ist man wieder bei seiner regelmäßigen Arbeit.
Das Apfelmus, welches Du eingekocht hast, hat ja, wie ich Dir schon schrieb, prima geschmeckt. Wir haben ja noch welches da und werden beim Essen immer wieder an Deinen Urlaub denken und an die Mühe, die Du Dir gegeben hast.
Es geht mir also nicht allein so, dass ich den Schnupfen habe, sondern Du bist auch so ein Patient. Bei mir ist es ja jetzt schon wieder ein bißchen besser.
Wenn Du wieder Seife schickst, so kann ich sie schon brauchen, wenn auch nicht gleich. Aber gute Seife wird ja durchs liegen nur besser.
Denk Dir, ich habe gestern das ganz verkehrte Puppenkind bei Dir verklagt. Es ist doch das Baby, das so schlimm ist, die andere ist ganz brav. Als ich es Helga gestern sagte, daß ich Dir geschrieben habe, warum Du keine bravere geschickt hast, sage sie gleich, daß ich Dir aber schreiben muß, daß es nicht die ist, die die Augen zumachen kann, sondern die kleine.
Wir haben immer noch etwas kaltes Wetter, aber viel Kältegrade hat es nicht. Für die Kinder ist es gerade richtig zum draußen rumtollen. Schnee liegt ja auch noch, so daß sie dieses Vergnügen also auch noch haben können. Ich habe nun inzwischen auch gewaschen und einen Teil schon trocken. Es war nicht so viel, weil Vater diesmal keine Bettwäsche gebracht hat und ich auch nicht alles abziehen brauchte. Im Winter ist man ja froh, wenn man nicht so viel in dem kalten Wasser rummatschen braucht. Morgen werden wir sicher baden. Eigentlich war es heute schon vorgesehen, aber ich habe so viel zu tun gehabt, daß er nicht geklappt hat.
Nun fängt ja die Schule bald wieder an. Jörg hat ja ab und zu geschrieben und gelesen, aber manchen Tag hat er mir doch abgebettelt, wo er nichts gemacht hat. Aber er hat öfter in dem kleinen Märchenbuch gelesen, das er zu Weihnachten bekommen hat und das ist genau so gut, als wenn er in seinem Lesebuch gelesen hätte und außerdem hat es ihm viel Freude gemacht. Helga hat sich ja um ihre Schulsachen nicht gekümmert, aber sie kann ja alles soweit und Aufgaben haben sie ja nicht auf gehabt.
Ich habe jetzt auch noch die Bücher „Lonny“ und „Der Mutterhof“ gelesen.  Sie haben mir beide sehr gut gefallen. Am meisten das letztere.
Übrigens, von der Munition für Jörg kannst Du ruhig noch welche besorgen. Wenn ich ihm die mal gebe, die ich noch aufgehoben habe, ist sie doch gleich alle. Wenn Du mal auf Urlaub kommst, will Dir Jörg doch sicher auch etwas vorschießen, damit Du siehst, was für ein großer Soldat er schon ist. Also kaufe noch ein paar Schachteln.
Nun laß mich wieder schließen. Ich will noch einen Brief an  Papa schreiben und mich für den Abreiskalender bedanken, der er mir mitgeschickt hat. Ich glaube, ich habe Dir davon überhaupt noch nichts geschrieben, oder doch? Er heißt „Deutsches Ahnenerbe“. Es sind ganz schöne Bilder drin. Du wirst es ja sehen, wenn Du wieder einmal heimkommst.
Sei nun recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

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