Sonntag, 1. Januar 2017

Brief 265 vom 01.01.1942


Mein liebster Ernst!                                                 1.1.42                   0.10 Uhr                            

Nun hat vor wenigen Minuten das Neue Jahr begonnen. Ich wünsche im Geist auch Dir ein frohes Neues Jahr. Wir wollen hoffen, daß wir uns alle gesund wiedersehen und daß wir noch recht viele Jahre miteinander erleben dürfen. Auch auf ein baldiges gutes Ende des Krieges wollen wir hoffen.  Vater  und ich sitzen jetzt hier am Tisch beisammen, ohne Alkohol. Vater hatte auf nichts derartiges Appetit und mir ist es auch so recht. Wir haben uns von Dir, Kurt, Deiner Mutter, meiner Mutter, Siegfried, Papa und Erna unterhalten. Es kommt einem an einer Jahreswende ja so manches in Erinnerung. Vater hat so manches von früher erzählt, auch  von Walter.
Die Kinder habe ich vorhin, auf ihren Wunsch, auch kurz geweckt und wir haben uns auch ein frohes Neues Jahr gewünscht.
Nun schlaf auch Du, mein lieber Mann, gut in das Neue Jahr hinein und sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Lieber Ernst!                                                                  1.1.42 

Nun will ich Dir gleich die ersten Grüße im neuen Jahr übermitteln und alles Gut vor allem, daß wir alle gesund bleiben, wünschen. Meinen Brief wirst Du wohl inzwischen erhalten haben. Wir haben das Ende des Jahres und den Anfang des neuen Jahres ganz alkoholfrei durchgeführt und stattdessen einen Tee gebraut. Ihr werdet wahrscheinlich in Kameradschaft sitzen. Nun wollen wir hoffen und wünschen, daß der Krieg für uns siegreich dieses Jahr zu Ende geführt wird, Ihr alle gesund bleibt und ein frohes  Wiedersehen feiern können. Herzliche Grüße Dein Vater.

Mein lieber, lieber Ernst!                                                    Konstanz, 1.1. 42

Ganz gut hat das neue Jahr angefangen, mit vielen lieben Grüßen von Dir, die ich heute erhielt, Deine 2 Briefe vom 27. und den vom 28.12. Ich habe mich so sehr gefreut. Die Kinder haben wirklich eine große Freude gehabt, daß sie von ihrem ersparten Geld etwas kaufen konnten. Wie ich Dir schon schrieb, haben sie auch wirklich schöne Sachen gekauft, über die man sich freuen konnte.
Vater war wirklich stolz, daß er mir die 40,- geben konnte. Er sagte auch, das hätte ich wohl nicht gedacht, daß er das schenken würde, aber wenn er verdiente, würde er auch nicht so sehr am Geld hängen. Wie ich Dir schon schrieb, habe ich das Geld auf die Sparkasse geschafft.  Wenn es Dir Freude macht, uns Mandarinen zu schicken, so will ich Dir diese natürlich nicht nehmen. Ich wollte nur nicht, daß Du Dir alles so absparst.
Die Sachen, die mir Papa geschickt hat, kann ich schon alle verwenden, wenn auch nicht auf einmal. Was  soweit gut ist, verarbeite ich für Kinder oder für die Puppen. Was nicht mehr viel taugt, gibt immer noch Sohlen für die Filzschuhe.
Beim Theater ist es schon so, daß man jetzt alles mit kritischeren Augen ansieht als früher. Den Kindern hat es genau so gut gefallen wie uns früher und das ist die Hauptsache. Deshalb geht man ja auch mit den Kindern hin.
Zur Wollsammlung gebe ich nun ab: 1 Trainingsanzug, 3 Paar Pulswärmer, 1 Paar Fasthandschuhe, 1 Muff, 3 Schals.
Es ist der Muff, den ich früher einmal für Helga gemacht habe. Es hat einige Stellen, an denen die Haare etwas weg sind. Aber das ist ja nicht das Wichtigste. Die Hauptsache, er ist warm.  Helga braucht ihn fast nicht und er liegt nur herum.
Dir stricke ich in nächster Zeit neue Fausthandschuhe.
Wegen der Beförderung muß ich Dir noch etwas Lustiges von Jörg schreiben, wenigstens habe ich lachen müssen. Wir kamen aufs Schenken zu Weihnachten. Da sagte Jörg: Vaterle hat Dir doch auch was Schönes geschenkt.  Er ist doch höher geworden und das „Betreter“ ist doch weg.“ Du hättest das mal hören sollen. Wie lustig das klang.
Das ganz kleine nachträgliche Weihnachtsgeschenk werde ich also aufheben. Wir feiern bei Deinem Kommen noch einmal ein wenig Weihnachten.  Ich frage mich jeden Tag, ob es wohl wahr wird, daß Du Mitte Januar auf Urlaub kommst. Das wäre ja so schön und dauerte nicht mehr lange.
Du bist ein ganz Schlimmer. Jetzt schreibst Du auch noch, daß es schade sein, daß wir nicht 2 Mädchen haben, dann brauchte ich nicht immer Dreiangel stopfen. Dabei bist Du doch ganz froh, daß wir so einen kleinen Bengel haben, nicht wahr? Aber mit dem Bravsein, das stimmt.
Jetzt hast Du dort also wieder Verdruß. Hört das denn überhaupt nie auf. Wieder von derselben Seit wie vorher? Vielleicht ist es am besten, Du erzählst es mir mündlich, wenn Du heim kommst. Aber traurig genug ist es, wenn es immer Streitigkeiten gibt. Das sollte doch nicht sein. Aber es gibt eben überall giftige Leute. Es ist mir lieb, daß Dir die Kleinigkeiten, die wir Dir schicken konnten, Freude bereitet haben.
Ein richtiges Weihnachtsfest hast du ja auch nicht gehabt. Pech war es ja, daß Du Graser nicht gleich angetroffen hast, sondern erst spät in der Nacht. Mit dem Tommy hast Du ja auch nur ein paar Stunden zusammen sein können.
Zu Sylvester hattest Du Dienst. Da war es also nichts mit dem feiern im Kreise Deiner Kameraden, wie wir dachten. Bei uns war es ja auch ruhig. Wir haben eine Weile gelesen, dann haben wir erzählt, meist Dein Vater, von früher. Auf Vaters Wunsch haben wir dann noch einen heißen Tee getrunken und ein Stück Stolle, die er zum Probieren mitgebracht hatte, gegessen. Um ¼ 3 Uhr ist er dann heim gegangen.
Schnee haben wir auch noch. Helga und Jörg sind wieder mit dem Schlitten draußen. Aber die Kälte hat ziemlich nachgelassen.
Ich danke Dir herzlich für Deine Neujahrswünsche. Diese decken sich ja vollkommen mit meinem, denn Gesundheit und ein baldiges, glückliches Ende des Krieges sind ja jetzt die wertvollsten Wünsche. Hoffentlich hast Du den Jahresbeginn wenigstens ruhig verleben können und es hat niemand Störungen verursacht. Elemente, die diese verursachen wird es ja immer wieder geben, denn es ist eben doch Feindesland, wo Ihr steht.
Von Papa und Erna erhielt ich heute auch einen Brief. Siegfried konnte nun doch nicht zuhause sein, er ist am 24. wieder nach Rußland abgefahren. So am 8.1.wird er wieder in Deutschland sein und hofft, Urlaub zu bekommen. Andernfalls soll ihn Erna in Dresden besuchen.
Am 1. Feiertag sind sie an Mamas Grab gegangen und später in den ernsten Film, in dem wir gestern waren. Am 2. Feiertag hatten sie Besuch von einer Kollegin aus seiner früheren Firma. Am 3. Feiertag hat Papa mit der Wollsammlung zu tun gehabt. Am Sonntag sind sie zur Weihnachtsfeier des Elternvereins gegangen.
Die 10,- wird Papa für die Gräber unserer beiden Mütter verwenden. 2 Bilder hat er mitgeschickt, die wir bei unserem Aufenthalt in Leipzig gemacht haben. Ich schicke sie Dir einmal mit. Sie sind nicht ganz deutlich geworden, aber es sind die letzten Aufnahmen, die von Mama gemacht worden sind.
Nun wieder Schluß für heute, mein lieber Ernst. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

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