Mittwoch, 25. Januar 2017

Brief 277 vom 23./24./25.1.1942


Mein liebster Ernst!                                                                   Konstanz , 23.1. 42                                   

Heute kam Dein lieber Brief vom 17. 1. Er ist also auch ziemlich lange unterwegs gewesen.
Ja, unsere Kinder haben nun die erste Woche wieder Schule. Bei Jörg geht es ziemlich vorwärts. Er lernt jetzt schon die großen Buchstaben. Bei Helga ist es so, daß sie alles noch einmal überholen müssen, da sie ja eine neue Lehrerin bekommen haben, die muß sich nun erst überzeugen, was sie schon können.
Mit dem Schreiben klappt es bei Helga immer noch nicht so. Das lateinische liegt ihr einfach gar nicht. Ich bin gespannt, ob es bei Jörg auch mal so wird.
Jetzt bei der großen Kälte ist es ja kein Vergnügen, den Schulweg zu gehen. In der Schule ist es auch nicht gerade so warm. Wenn sie wieder zuhause ankommen, sind sie ganz verfroren, vor allem die Füße sind eiskalt. Heute haben wir bereits 16 Grad Kälte.
Ich muß nachher auch noch fort zum einkaufen. Mir graust es schon. Da kann man sich vorstellen, wie es unseren Soldaten zu Mute ist, wenn sie bei noch größerer Kälte im Freien sein und oft auch kämpfen müssen.
Du hast recht, für uns alle wäre es nichts, längere Zeit ohne Betätigung zu sein. Wir sind das auch gar nicht gewöhnt. Mal so zwischen der Arbeit ein richtiges Ausruhen, das ist fein. Aber es darf kein Dauerzustand sein.
Wenn ich Vater mal einen Weg abnehmen kann, so freut es mich. Er ist eben doch auch schon älter. Mit dem Springen wie früher ist es ja nichts mehr. Trotzdem ist er für sein Alter immer noch ganz gut auf den Beinen.
Vater sollte nur einen richtigen Ofen in seiner Küche haben, denn Wärme kann er gut vertragen. Bei ihm ist es ja meist so kalt, daß man den Hauch sieht.
Die Maße von Jörgs Anzug sind: Hose  Schrittweite   35 cm, Seitennaht    42-43 cm, Bundweite    73 cm Jacke  Länge v. Schulter an  57 cm, innere Ärmelnaht     32 cm, Ärmelnaht über Ellbogen 41 cm. Wenn Du nun einen neuen Anzug machen läßt, muß er aber ein paar Zentimeter mindestens länger sein. Die neue Hose, die ich ihm gekauft habe, hat auch bereits eine 45 cm lange Seitennaht. Du weißt ja, der Anzug, den Du mitgebracht hattest und von dem ich jetzt die Maße genommen habe, war auch erst etwas zu groß. Jetzt ist bald das Gegenteil der Fall. Da er ja den neuen Anzug auch frühestens  im nächsten Herbst anziehen würde, muß er schon größer sein. Sonst wäre ja die ganze Ausgabe umsonst.
Jetzt wo es so kalt ist, halten es sogar die Kinder nicht lange draußen aus. Heute sind sie mal ganz drin geblieben. Jörg hat sich am vergangenen Sonntag Rindenstücke mitgebracht. Da hat er sich vorhin ein kleines Schiff geschnitten. Es sieht ganz nett aus. Jetzt sitzen Beide neben mir und machen Schulaufgaben. Ich will mich nun zum Fortgehen fertig machen, es wird sonst zu spät.
Es grüßt und küßt Dich recht herzlich Deine Anni.

Mein liebster Ernst!                                                                   Konstanz, 24.1.42

Als wir heute Morgen vors Haus kamen, waren wir doch erstaunt. Über 20 cm Neuschnee hatte es über Nacht gegeben. Es waren nur noch 11 Grad Kälte. Ich habe mich dann an´s Schneeschippen gemacht. Frau Leimenstoll kam auch gleich. So haben wir zusammen geschafft. Wo der Schnee nicht weggekommen ist, also auf Wiesen, lag fast 1/2 mtr. Schnee. Es hat auch bis zum Nachmittag geschneit. Da waren bald wieder alle Wege voll Schnee, so daß auch Nußbaumers noch zu schaffen hatten. Ich habe mit Frau Leimenstoll am Vormittag noch alle Wasserleitungsrohre mit Säcken und Papier umwickelt, denn im Nebenhaus ist das Wasser auch schon eingefroren. Am Nachmittag wurde es plötzlich windig, die Kälte ging auf 1 Grad herunter und es fing an mit regnen. Das tut es auch jetzt am Abend noch. Ich wollte mit den Kindern evtl. morgen Nachmittag wieder Schlittenfahren gehen, aber wenn das Wetter so weiter macht, haben wir vielleicht dann nur noch Matsch.
Für unseren Jörg war so viel Schnee eine große Freude. Wie ein Wilder hat er sich im Schnee herumgewälzt und ist in den höchsten Haufen herumgetanzt. Er wußte sich gar nicht zu lassen vor Freude. Er kam dann auch platschnaß herein. Helga muß sich noch mit ihrem Knie etwas in Acht nehmen. Es reißt immer wieder ein bißchen auf.
Kurt hatte doch nach Papiertaschentücher gefragt. Die kann ich ihm nun sicher auch nicht besorgen. Wo ich bis jetzt nachgefragt habe, sagten sie mir, daß diese für die Wehrmacht beschlagnahmt worden sind.
Gerade als ich schrieb, ging das Licht verschiedene Male halb aus und wieder an, um plötzlich ganz zu verlöschen. Wahrscheinlich kommt es von dem Wind. Nun sitze ich also bei Kerzenlicht hier. Die 2 Päckchen Deiner vorletzten Sendung mit Seife und Mandarinen sind noch nicht angekommen. Die letzteren werden wohl sicher kaputtgegangen sein, bis wir sie in die Hände bekommen.
Es ist doch allerhand, daß unsere U-Boote jetzt sogar vor der amerikanischen Küste Schiffe versenken. Ich hatte immer gemeint, sie könnten gar nicht bis dahin kommen. Das wird den Amerikanern einen Schrecken eingejagt haben.
Heute Nachmittag habe ich für morgen gebacken. Da habe ich auch eine kleine 62 mitgebacken. Die schicke ich Papa noch mit. Morgen werde ich ihm einstweilen einen Brief schreiben. Sonst meint er, ich habe gar nicht an ihn gedacht.
Ich warte immer auf Deinen Brief, in dem Du schreibst, wenn Du auf Urlaub kommst. Das sind aber böse Kerle, daß sie Dich gar nicht zu uns fahren lassen. Wir warten doch so sehr. Ich muß tatsächlich mal selber dorthin kommen und den Leute meine Meinung sagen, meinst Du nicht auch?
Jetzt brennt seit einer Weile wieder das Licht, aber ab und zu flackert`s doch mal wieder. Es ist eben ziemlich stürmisch draußen.
Nun will ich wieder Schluß machen, mein lieber Ernst. Sei recht herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner Anni.

Mein liebster Mann!                                                                  Konstanz, 25.1.42

 Einen Sonntagsbrief habe ich heute von Dir erhalten, vom 19.1. Ich danke Dir vielmals dafür.
Was ist denn das für eine Organisation, daß Ihr nicht mal Kohlen zum heizen habt? Gibt es dort im Allgemeinen so wenig? Arbeiten werdet Ihr im kalten Zimmer ja auch nicht gut können. Euch müssen ja die Finger klamm werden.
Über Deinen Bericht von dem Abflußrohr an Deinem Waschbecken habe ich direkt lachen müssen. Ja gibt es auch so was, das Abflußrohr an das Rohr der Dachrinne  anschließen. Das ist mir wie ein Schildbürgerstreich vorgekommen. Für Dich ist es ja nicht so lustig, aber für mich ist es direkt voller Komik. Vielleicht ist es dumm von mir, aber ich habe gelacht wie lange nicht.
Das Folgende in Deinem Brief, die Urlaubssache, ist ja nun nicht lustig. Aber ich weiß nun wenigstens, warum Du noch nicht auf Urlaub kommen konntest. Wir wollen gern warten, bis die Sperre aufgehoben wird, wenn Du nur gesund bist. Das ist das allerwichtigste. Ich will aber ganz fest den Daumen halten, daß wir uns doch recht bald gesund wiedersehen.
Die Kokosnuß hat den Kindern erst nicht geschmeckt, aber als Kokosflocken war sie bald alle. Du kannst ja vielleicht sehen, ob Du noch eine bekommst, aber wenn sie teuer sind, so kaufe bitte keine. Das essen die Kinder nicht ab. Sonst würdest Du ihnen aber eine Freude machen.
Der Wetterumschwung von gestern hat angehalten. Es regnet immer noch. Die Straße ist ganz glatt. Dabei weht ein starker Wind. Ein ganz unschönes Wetter. Vor unserem Haus steht wieder ein ganzer See.
Als der Briefträger heute den Brief bracht, sagte er auch zur Frau Ehret, auf der Post lägen einige Päckchen für sie, er hätte es zufällig gesehen. Sie möchte sie sich doch holen, da er jetzt keine mitbringen könnte, wegen des Wetters. Seit vorgestern lägen welche da und würden erst ausgetragen, wenn er wieder mit dem Rad fahren könnte. Ich fragte, ob auch welche für mich da seien. Er wußte es nicht, da er die Päckchen noch nicht durchgesehen hat. Ich sollte morgen Mittag um 2 Uhr auch auf die Hauptpost kommen.
Ich werde auch gehen, denn sonst kann ich ja ewig warten. Sicher sind schon welche angekommen. Ich möchte doch auch bald das Paket an Papa wegschicken.
Helga hat jetzt doch eine neue Lehrerin bekommen. Die ist scheinbar ganz vernünftig. Sie hat gesagt, daß die ganze Klasse die Normalschrift sehr schlecht schreibt. Das käme daher, daß sie gleich auf einfache Linien geschrieben hätten. Nun haben sie sich noch Mal 2.-klässler Hefte anschaffen müssen. Helga hat heute zum ersten Mal drin geschrieben. Ich muß sagen, ich war ganz erstaunt. Prima hat sie geschrieben. Genau so gut wie bei der deutschen Schrift. Jetzt lernen sie`s doch wenigstens richtig.
Der Sturm hat gestern beim Starenhäuschen die ganze Dachpappe herunter gerissen. Ob Du das wohl in Ordnung bringen kannst, wenn Du heimkommst?
Nachher hole ich mir noch die Schreibmaschine vor und schreibe an Papa, Kurt und evtl. an Elsa. Die Durchschläge schicke ich Dir morgen mit. Heute könnte ich sonst Deinen Brief nicht mehr rechtzeitig fortschaffen.
Wie hat das eigentlich nur kommen können, daß die Soldaten vom Soldatenheim Typhus bekommen konnten. Das muß doch durch Essen gekommen sein. Ob es nicht sauber zubereitet war oder ob sonst jemand seine Finger dazwischen hat? Flecktyphus ist wohl wieder was anderes? Das wird doch durch Läuse übertragen. Deshalb  ist doch auch Siegfried dagegen geimpft worden, da er immer noch nach Rußland fährt.
Nun laß mich wieder schließen. Bleib mir  recht gesund. Ich hoffe, daß wir uns recht bald wiedersehen.
Viele herzlich Grüße und Küsse sollst Du, lieber Ernst, Du bekommen von Deiner Anni.

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